Veronika Eberle © Louie Thain
4. Premieren-Abonnementkonzert „Aufbruch und Meisterschaft“
Programm:
Franz Schubert: Sinfonie Nr.1 D-Dur D 82
Johannes Brahms: Konzert für Violine und Orchester D-Dur op.77
Franz Schubert: Sinfonie Nr. 2 B-Dur D 125
Paavo Järvi Dirigent
Veronika Eberle Violine
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
Bremer Konzerthaus, Die Glocke, 9. April 2024
von Gerd Klingeberg
Seit genau 20 Jahren sind sie ein echtes Dreamteam: das Weltklasseorchester Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen und ihr Künstlerischer Leiter, der estnische Dirigent Paavo Järvi. Gemeinsam haben sie eine grandiose Erfolgsgeschichte aufzuweisen. Und so soll es auch in Zukunft weitergehen; Ideen gibt es noch zur Genüge – ein Menschenleben reiche dafür gar nicht aus, so Järvi. Näher ins Auge gefasst sei unter anderem das Opus Franz Schuberts. Was das in etwa bedeuten könnte, davon bekommen die Bremer beim Jubiläumskonzert in der Glocke einen ersten Eindruck.
Die Sinfonie Nr.1 D-Dur, ein Jugendwerk des damals 16-jährigen Komponisten, steht obenan. Das einleitende Adagio kommt dezidiert, nicht unbedingt feierlich-gravitätisch, sondern eher wuchtig und markant. Nicht lange, dann lässt Järvi das Orchester in einen quicklebendigen, forsch tänzerischen Modus wechseln. Der jugendliche Elan des Komponisten kommt so bestens zum Ausdruck. Manches Motiv, das man bislang vielleicht als eher simpel wahrgenommen hat, wirkt jetzt unerwartet spannend, aber zugleich unterhaltsam und frisch.
Der 2.Satz Andante erklingt innig melodiös, obwohl auf romantisierende Rührseligkeit verzichtet wird. Das nachfolgende Menuetto startet hingegen rustikal kraftvoll, fast schon ruppig, während das kontrastierende Trio lieblich einschwingend dargeboten wird. Zum Clou wird der Finalsatz: Leise, geradezu geheimnisvoll schnurrend wie ein gut geöltes Räderwerk geht es bei forciertem Metrum los, um nahezu unvermittelt in sattem Fortissimo zu erstrahlen. Das engagiert aufspielende Orchester setzt wie so oft auf ausgeprägte dynamische Kontraste bis hin zum fulminanten Schlusspart. So funktioniert ein entstaubter, überzeugend aufgepeppter, besser: ganz neu gedachter Schubert.
Im Mittelpunkt des Konzertabends steht dann das Violinkonzert von Johannes Brahms, „ein Musikstück von meisterhaft formender und verarbeitender Kunst, aber von etwas spröder Erfindung und gleichsam mit halbgespannten Segeln auslaufender Phantasie.“ Das konstatierte zumindest der dazumal einflussreichste österreichische Musikkritiker Eduard Hanslick. Eine Meinung, die heute allerdings kaum noch passend anmutet.
Gemeinsam mit der Deutschen Kammerphilharmonie lotet die weltweit gefeierte Violinistin Veronika Eberle intensiv aus, was dieses anspruchsvolle Werk an musikalischem Potenzial zu bieten hat. Nahtlos klinkt sich die Solistin nach der ausgedehnten, orchestral feierlich angegangenen Einleitung ein. Leichthändig und kraftvoll zugleich gestaltet Eberle die komplizierten Figurationen; die melodiöse Anschlusssequenz kommt berührend zart. Eberles Interpretation ist stimmig und packend, verbindet Dramatisches mit Ernst und stiller Heiterkeit, bei der immer eine Spur von Melancholie mitschwingt.
Der Klang ihrer Stradivari ist dabei auch im höchsten Diskant tragfähig. Das Orchester passt sich dem dezenten Rubato und den dynamischen Änderungen der Solistin nahezu perfekt an. Lediglich bei den Bläsern gerät der orchestrale Flor mitunter etwas zu dickflauschig.
Das berückend schöne, von der Oboe vorgetragene Thema des Adagio-Mittelsatzes wird in beseelter Ausdrucksintensität gefühlvoll von der Violinistin weitergetragen und sanft umspielt. Die Zeit scheint für Momente stehenzubleiben; man möchte am liebsten die Augen schließen, sich wegträumen in elysische Gefilde.
Beim Finalsatz drehen Solistin und Ensemble dagegen gehörig auf. Eberle imponiert mit einem virtuos gestrichenen, mitreißenden violinistischen Feuerwerk ohnegleichen; das emphatisch aufspielende Ensemble hält locker mit. Angedeutete Vorhalte befeuern das schwungvolle Treiben mit zusätzlicher Energie. Sekundenbruchteile nach den drei donnernden Schlussakkorden reagiert das Publikum mit lang anhaltendem frenetischem Beifall, heftigem Fußgetrampel und begeisterten Bravorufen.
Als humorvolle Zugabe präsentiert Eberle gemeinsam mit Konzertmeister Daniel Sepec das Pizzicato Nr.43 aus Béla Bartóks 44 Violinduos.
Nach der Pause steht erneut ein Schubert-Opus auf dem Programm, jetzt seine Sinfonie Nr.2 B-Dur. Järvis Herangehensweise ist jener bei der 1. Sinfonie in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, das Ergebnis wirkt indes noch eine Spur ausgeprägter, kontrastreicher. Das betrifft vor allem die beiden Ecksätze, bei denen teils koboldhaft dahinhuschende Pianissimo-Partien von beethovenesk donnernden Fortissimos konterkariert werden. Oder, wie bei Menuetto und Trio, Schroffes einer formvollendet grazilen Eleganz gegenübergestellt wird.
Das Auditorium zeigt sich offenkundig überaus angetan und geflasht von dieser so knackig frischen Schubert-Interpretation. Auf das angedachte Schubert-Projekt des munteren Dreamteams darf man zweifellos jetzt schon sehr gespannt sein.
Dr. Gerd Klingeberg, 10. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
„Intensive Begegnungen“ der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen Die Glocke Bremen, 9. Februar 2024
Kent Nagano, Veronika Eberle, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Elbphilharmonie, Hamburg