Teatro alla Scala – Baby schreit, Intendant schreitet ein

Teatro alla Scala – Baby schreit, Intendant schreitet ein

Kommentar von Dr Charles E. Ritterband

Selbst (und gerade dort) in der vornehmen, altehrwürdigen Scala, im Parkett, wo die samtenen Sitzplätze am bequemsten und am teuersten sind, halten sich ältere Damen, angetan mit ihren mehrreihigen Perlenketten, gerne und ohne falsche Skrupel das leuchtende Display ihres „Telefonino“ vor die Nase.
Das scheint dort niemanden (außer den Verfasser dieser Zeilen) zu stören – aber, oho: Wenn sich kurz nach der Halbzeit von Pietro Mascagnis so dramatisch-tragischem Einakter „Cavalleria rusticana“ ganz oben rechts in einer Loge ein leises Wimmern bemerkbar macht, das sich ausgerechnet in der vom Mezzo-Weltstar Elīna Garanča vorgetragenen Arie „Voi lo sapete, o mamma“ in einem Crescendo zum Fortissimo eines ausgewachsenen Baby-Weinens steigert, dann platzt selbst beim Scala-Publikum die Geduld: „Silenzio“ und mehrstimmige Zischlaute ertönen aus mehreren Richtungen des prunkvollen Zuschauerraums.

Da hätten die Platzanweiserinnen einschreiten, das (übrigens britische) Paar samt Baby höflich aus dem Saal eskortieren und draußen, außer Hörweite, vor einen Bildschirm platzieren sollen.

Doch nichts dergleichen geschah. Auch die Eltern mochten nicht freiwillig auf ihr teuer erkauftes Musikerlebnis verzichten. Weshalb sich der (bereits von der Wiener Staatsoper bekannte) Intendant Dominque Meyer von seinem Platz im Parkett erhob, zu besagter Loge aufstieg und Paar plus Baby höchstpersönlich aus dem Saal verwies.

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Die kleine Episode wurde alsbald in Milaneser Kulturkreisen gewissermaßen zum Stadtgespräch – bis sie von einem anderen, wohl relevanteren Thema abgelöst wurde: Der Nachfolge Meyers, der ab August kommenden Jahres das illustre Haus verlassen wird. Neuer Scala-Direktor wird (nach längerem Hin und Her, was wohl in Italien gleichsam zum guten Ton gehört) der Verdi-Spezialist und bisherige Intendant des legendären Teatro la Fenice, Fortunato Ortombina.

Dieser ist nicht nur Italiener, sondern stammt praktischerweise gleich auch noch aus der Lombardei – Anlass genug für Kulturminister Gennaro Sangiuliano zum Entzücken darüber, dass nun endlich die 18-jährige Fremdherrschaft über die weltberühmte Scala (welche die Milanesi allerdings der Fremdherrschaft der österreichischen Herrscherin Maria Theresia zu verdanken haben…) ihrem Ende zu gehen wird.

Dr. Charles Ritterband, 21. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gioachino Rossini, Guillaume Tell Teatro alla Scala, Milano, 10. April 2024

Giuseppe Verdi, Don Carlo Teatro alla Scala, 7. Dezember 2023 Premiere

Giuseppe Verdi, Orchestra e Coro del Teatro alla Scala, Riccardo Chailly Wolkenturm, Grafenegg, 2. September 2023 

2 Gedanken zu „Teatro alla Scala – Baby schreit, Intendant schreitet ein

  1. Lieber Kollege,
    mich stören schon auch Besucher, die während einer Vorstellung an ihren hell erleuchteten Handys herumspielen, aber – sofern die Handys zumindest auf stumm geschaltet sind – stören mich schreiende Babys, die die Musik übertönen, noch mehr. Das ist natürlich nicht Schuld der Säuglinge, sondern der rücksichtslosen Eltern, die die absurde Entscheidung getroffen haben, sie mitzuschleppen. Das Thema kam in Klassik-begeistert schon mehrfach auf, nur dass das Publikum mit diesem Problem in Deutschland weitgehend alleine gelassen wird. Ich habe jedenfalls noch nie erlebt, dass ein Intendant eingeschritten wäre, eher muss man in Deutschland befürchten, als kinderfeindlich abgestempelt zu werden, wenn man einem Unmut Ausdruck gibt.
    In Italien und auch in der italienischen Schweiz ist das insgesamt besser geregelt, so erlebte ich es einmal sogar im Kino auf dem Filmfestival in Locarno, dass ein Paar, das permanent schwatzte, von Platzanweisern zur Ruhe ermahnt wurde. Es geht also.
    Kirsten Liese

  2. Lieber Charles,

    herrlicher Schwank! Warum dem Paar überhaupt der Zutritt gewährt wird, stellt mich schon vor eine intellektuell unlösbare Aufgabe. Säugling: no way! Kleinkinder bei Mozart sind schon grenzwertig. Auch, wenn man den Nachwuchs natürlich mit der Klassik in Berührung bringen muss. In vielen Fällen ist spotify aber eher zu empfehlen. Rein aus Rücksicht des Publikums wegen. Ein schmaler Grat zwischen Musikvermittlung und Hausverstand. Naja: Fehler passieren!

    Jürgen Pathy

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