25. April 2024, Philharmonie Berlin
Mandelring Quartett, Foto ©
Haydn, Schickedanz, Brahms
von Kirsten Liese
Als Sebastian, Nanette und Bernhard Schmidt 1983 das Mandelring Quartett gründeten, erlebten sie noch die goldenen Zeiten der Kammermusik. Zahlreiche berühmte Streichquartette prägten damals das Konzert- und Musikleben entscheidend mit, allen voran das legendäre Amadeus Quartett, das sich 1987, nach 40 Jahren auflösen sollte. Das La Salle Quartett, das sich ein Jahr später auflöste, und das Melos Quartett (1965-2005) schafften es ebenfalls auf 40, das Alban Berg Quartett (1970-2008) nicht mehr ganz auf 40 Jahre bis zu ihrer Auflösung. Mit der Zahl 40 hat es also etwas auf sich, eine Art verflixtes Jahr, könnte man meinen.
Das Mandelring-Quartett, das jetzt sein 40-jähriges Bestehen feiert, bewegt sich nun schon in ähnliche Richtung wie das Tokyo String Quartett (1969-2013), das es immerhin auf 44 Jahre schaffte. Chapeau! Die Geschichte des in Neustadt an der Weinstraße verorteten Ensembles ist damit schon eine der längsten, zumal die drei Gründungsmitglieder allesamt noch an Bord sind. Auch ihr Bratscher Andreas Willwohl ist schon lange dabei. Zum Vergleich kann das Juilliard String Quartett – seit 1947 existent und damit eines der ältesten Quartette – zwar auf die noch längere Geschichte von 77 Jahren zurückblicken, aber seit 1997 ist in dieser Formation keines der ursprünglichen Mitglieder mehr von der Partie, und ein bisschen still geworden um das Juilliard ist es auch.
Zwar haben sich über die Jahre zahlreiche jüngere Streichquartette formiert, aber das Interesse an der Kammermusik seitens des Publikums hat erschreckend abgenommen, wie auch an diesem Abend mit dem Mandelring im Berliner Kammermusiksaal zu erleben, in dem Blöcke komplett leer blieben. So etwas ist immer sehr schade. Daran zeigt sich, wie erbärmlich die Musikerziehung in den Schulen versagt. Kammermusik erschließt sich nicht so einfach wie Oper oder sinfonische Musik, die kleine intime Form muss man sich erarbeiten.
Die Gemeinde an Kennern, die sich hier versammelte, wusste umso mehr diesen dramaturgisch klug gestalteten, nicht ganz gewöhnlichen Abend zu würdigen.
Den Anfang machte Joseph Haydns Opus 76/2, das nicht zufällig den Beinamen „Quintenquartett“ trägt, da das titelgebende Intervall im Allegro vom ersten Takt an munter durch alle Stimmen wandert. Ein Clou des Komponisten, schließlich sind die Saiten auf Violinen, Violen und Violoncelli in Abständen von Quinten gestimmt. Mit Verve gehen die Mandelring-Vier zur Sache und machen deutlich, dass sie Haydn nicht nur als kleine Einspielübung begreifen. Ihr erster Satz tönt straff – schroff das Menuett, dessen markantes Thema hohe und tiefe Streicher einen Takt versetzt energisch gegeneinander anstimmen und damit die Musik aus der Balance bringen. Ein kurzes, aber kratzbürstiges Streitgespräch nimmt hier seinen Lauf. Das Andante tönt im Kontrast dazu graziler und verspielter inmitten schnörkelreicher Figuren und Triller. Ein herrlicher Kehraus dann mit dem volkstümlich angehauchten Finale, dessen Hauptthema auch wieder mit einem Quintsprung beginnt, flott und doch nicht überhetzt interpretiert von einem Ensemble, das klanglich und dynamisch so aufeinander eingeschworen wirkt, wie es wohl nur möglich ist, wenn man über lange Zeit miteinander vertraut ist.
Zeitgenössische Musik gehört fast regelmäßig zu den Auftritten des Mandelring Quartetts dazu. Statt der oft eher kurzen Stücke und Miniaturen sollte es diesmal zum feierlichen Anlass ein gewichtigeres Stück werden, das als „Quarten“-Quintett augenzwinkernd auf Haydns „Quinten“-Quartett anspielt, aber in gänzlich andere Gefilde führt.
Geschrieben hat dieses Stück, das hier zur Uraufführung gelangte, Christoph Schickedanz.
Der Komponist ist den Musikern schon seit ihren Studienzeiten freundschaftlich verbunden, erzählt Primarius Sebastian Schmidt in einer kurzen Einführung, Schickedanz ist auch Musiker und hat in dem Quartett schon am Pult der zweiten Geige mitgewirkt, wenn Nanette zeitweise ausfiel.
Das „Quartenquintett“ mit zwei Bratschen ging dem Urheber, wie er im Programmheft bekennt, sehr schwer von der Hand, mit den Anfängen war er lange Zeit nicht zufrieden. Es war dann der Krieg in der Ukraine, der ihn dazu inspirierte, das Stück in Gedenken der Opfer dieses Krieges zu schreiben. Drei von vier Sätzen ist ein Zitat des Humanisten Friedrich Schiller vorangestellt.
Es beginnt mit einem gehetzten, aufwühlend, aufgeregten Treiben, schrill und kratzig, teils explosiv. Sehr plastisch beschreibt dieses Tongebilde den Wahnwitz des Krieges, sein Wüten und Toben. Mit dem Sterben wird es dunkel im Saal, raffiniert verstärkt die in die Komposition einbezogene Lichtregie das Verlöschen des Lebens. In einem Grave wird die Musik schwerer, führt bildlich auf ein Schlachtfeld mit Heerscharen von Toten. Eine Weile gibt es kaum Bewegung unter all den Clustern, aber dann bahnt sich die Elegie mühsam den Weg ins Leben zurück und im Saal wird es wieder hell. Jedoch: Nach einer Steigerung mit scharf punktierten Rhythmen sackt die mühsam gewonnene Energie wieder in sich zusammen und verfällt in die düstere Grundstimmung des Anfangs.
Auch wenn mir der erste Teil des Kriegstreibens in seiner Wild- und Sprödigkeit etwas zu lang vorkam, so konnte ich mir doch bildlich sehr gut vorstellen, was für Impressionen der Komponist in Töne zu fassen gesucht hat. Dem Mandelring Quartett gelang jedenfalls eine packende, hochemotionale Interpretation.
Für den Part der zweiten Bratsche in diesem Auftragswerk wie auch im Quintett von Johannes Brahms op.111, ein Meilenstein der Kammermusik-Literatur, hat sich das Quartett einen anderen langjährigen Weggefährten, den Bratscher Roland Glassl, dazu geholt.
Tonlich ging es mit dem Romantiker Brahms noch einmal in andere Gefilde, seidiger und geschmeidiger nahmen sich da vor allem die kantablen Stellen, und bei aller Leidenschaft, wie sie etwa das Cello im ersten Satz Allegro non troppo mit seiner melodischen Führung einbringt, pflegte das Ensemble doch stets einen schlanken Klang von großer Eleganz. Am stärksten hat mich das Adagio mit seinem schmerzreichen Thema berührt, das mich an den langsamen Satz in Brahms’ dritter Sinfonie erinnert. Beseelt aber nicht pathetisch sollte es klingen, und genau diese Balance gelang dem wunderbaren Ensemble, das hoffentlich noch viele Jahre der Musikwelt erhalten bleibt. Herzlichen Glückwunsch zum 40-jährigen Bestehen!
Mandelring Quartett
Sebastian Schmidt, Violine
Nanette Schmidt, Violine
Andreas Willwohl, Viola
Bernhard Schmidt, Violoncello
Roland Glassl, Viola
Joseph Haydn: Streichquartett d-moll op.76/2 „Quintenquartett“
Christoph Schickedanz: „Quartenquintett“, UA
Johannes Brahms: Streichquintett op. 111