Zwischen ätherischen Klängen und impressionistischem Fluss: Das London Symphony Orchestra spielt in Düsseldorf

London Symphony Orchestra, Sir Antonio Pappano, Janine Jansen  Tonhalle Düsseldorf, 24. April 2024

London Symphony Orchestra, Pappano, Jansen © Christian Palm

Tonhalle Düsseldorf, 24. April 2024

London Symphony Orchestra
Sir Antonio Pappano, Dirigent
Janine Jansen, Violine

Lili Boulanger – „D’un matin de printemps“ (1918)
Samuel Barber – Konzert für Violine und Orchester, op. 14 (1939/1940)
Sergej Rachmaninow – Sinfonie Nr. 2 e-Moll, op. 27 (1906/1907)

Zugaben:

Lili Boulanger – Nocturne für Violine und Klavier (1911)
Pjotr Tschaikowsky – Trepak – Russischer Tanz, aus „Der Nussknacker“ (1892)

von Daniel Janz

Wenn große Gäste, wie das London Symphony Orchestra durch Deutschland touren, ist das immer eine besondere Ehre. Bereits einen Tag zuvor warteten die mit zu den besten Orchestern der Welt zählenden Briten mit einem spannenden Programm in Köln auf. Heute folgte nun der zweite von mehreren Abenden im Rheinland mit einem Spitzenprogramm vor allem für Kenner. Besonders begrüßenswert dabei: Auf ihrer Tour scheinen sie sich vor allem weniger gespielten Klassikern und verkannten Genies verschrieben zu haben.

Als erstes Stück des Abends folgt daher auch direkt ein Werk, das eigentlich längst zu den Klassikern gehören sollte, jedoch (völlig zur Unrecht) nahezu unbekannt ist: Zu hören ist „D’un matin de printemps“ von Lili Boulanger. Und obwohl es sich hier nur um ein musikalisches Kleinod von wenigen Minuten Länge handelt, brillieren die Musiker von Anfang an. Ein fröhliches Flötensolo zu flirrenden Orchesterfiguren bietet Halt in eine Komposition, die vor allem durch ihren abwechslungsreichen Klangfarbeneinsatz Gänsehaut versprüht.

Wie beim Tanzen auf einer Blumenwiese fallen von Moment zu Moment neue Details auf – seien es einzelne Holzbläser, die aus dem Wechsel zwischen keck lebhaft und verträumt schönem Klangfluss hervortreten oder die Trompeten, die ein edles Finale krönen. Ein wenig mag dieser impressionistischen Kunst zwar der rote Faden fehlen, da gibt es nach Meinung des Rezensenten noch stärkere Werke von Lili Boulanger. Aber zugegeben – „D’un matin de printemps“ gehört zu dem Fröhlichsten, was dieses viel zu früh gestorbene Jungtalent hinterlassen hat. Und die ganz fabelhafte Wirkung kann man ihm auch nicht absprechen.

Samuel Barber ist indes vor allem für sein inzwischen schon fast zu Tode rezipiertes „Adagio for Strings“ bekannt – mit dem unangenehmen Nebeneffekt, dass andere Kompositionen komplett vergessen sind. So auch sein heute gespieltes Violinkonzert. Ein wenig lässt sich dieser Umstand nachvollziehen, denn auch dieses Werk fließt vor allem vor sich hin und bietet nicht so viele Momente, die Orientierung spenden. Es schmiegt sich ans Ohr an, tut sich aber schwer, in Erinnerung zu verweilen.

Und trotzdem sollen die Vorzüge dieses – eher klein besetzten – Juwels der Konzertliteratur nicht unter den Teppich gekehrt werden. Dazu gehören der romantische Einstieg in einen zwischen Wehmut, Trauer und Erhabenheit schwebenden ersten Satz und auch etliche – heute wunderbar prominent vorgetragene – Einwürfe des Horns, die das Spiel der Solovioline feierlich umranden.

Im Vordergrund steht dabei klar das Spiel der niederländischen Solistin Janine Jansen (46). Gerade auch im ersten Satz fällt die große Empfindsamkeit auf, die sie in diesem – immer wieder leisen und sensiblen – Stück an den Tag legt. In ihren Händen liegt es auch, diesen Satz zu einem versöhnlichen Ende zu führen, als nach einem zärtlichen Zusammenspiel mit dem Klavier ein – von Antonio Pappano (64) sehr gestenreich dirigierter – düsterer Ausbruch der Kontrabässe folgt.

Janine Jansen © Lukas Beck, Wiener Konzerthaus

Und auch die Kontraste der beiden anderen Sätze dieses Werks arbeiten Orchester und Solistin in nahezu ätherischer Weise heraus. Der zweite Satz beginnt elegisch, fast träumerisch. Eine wunderbar zelebrierte Cellomelodie rollt Janine Jansen den musikalischen Teppich aus, auf dem sie zu einem dramatischen Höhepunkt mit Trompetenstößen zuschreitet, bevor sie die Musik ins Stille hinausleitet.

Der dritte Satz ist dann jener, der am meisten Ohrwurmpotential hat. Frei von allen Fesseln werfen sich Orchester und Solistin gegenseitig ihre feurigen Rhythmen zu. In furiosem – dem Rezensenten aber teilweise zu hetzendem – Rasen finden sie schließlich zu einem tosenden Ende, dass vom Publikum gefeiert wird.

London Symphony Orchestra, Pappano, Jansen © Christian Palm

Dankend nehmen es die Zuhörer auch an, als Solistin Jansen mit Dirigent Pappano am Klavier ein weiteres Kleinod von Lili Boulanger – diesmal die Nocturne – zum Besten geben. Träumerisch-sensibel gleiten sie sich durch die Tonarten und beweisen ein zweites Mal, dass Boulangers Musik öfter in den Konzertsaal gehören würde. Das Werk überzeugt so sehr, dass einige Zuhörer übereifrig zu applaudieren beginnen, noch bevor der letzte Ton verklungen ist. „Das Düsseldorfer Publikum ist doch unmöglich“, lässt sich später ein Gast zitieren. Was er wohl zu Köln gesagt hätte?

Nach der Pause folgt mit Rachmaninow dann der Großmeister impressionistischer Klangkunst. Seine Musik hat immer etwas Fließendes, ist oft edel zurückhaltend und auf Feinsinnigkeit ausgelegt. Während andere Komponisten seiner Zeit besonders auf Dramatik und strahlende Höhepunkte gesetzt haben, überwiegt bei ihm raffiniert umwobene motivische Arbeit im Fluss der Empfindungen.

Exemplarisch dafür ist der erste Satz, der mit seinem polymelodischen Spiel in einen prächtigen Fluss entführt: Wie ein Wellengang ebbt es auf und ab. Strahlende Blechbläserakkorde treten als Fels in der Brandung hervor und führen in einen triumphalen, jedoch etwas verhaltenen Ausbruch mit Becken und Schlagwerk. Ausbrausend, wie zu Beginn, endet der Satz im Wellenbad voll klingender Streicher.

Der zweite Satz ist am klarsten von allen Stücken dieses Abends gestaltet. Das aufbrausende Hornthema, mit dem er beginnt, zieht sich hier wie eine schillernde Leitfigur bis zum Ende durch. Auch hier fallen ansonsten edle Bläsereinwürfe zum sehr breiten Spiel der Streicher auf. Weiteren Unterhaltungswert hat Pappanos stellenweise sehr ausladende Gestik beim Dirigieren. Es hält sich gerade noch so die Waage, dass er die Aufmerksamkeit dadurch nicht zu sehr von der Musik auf sich zieht.

Wunderbar lieblich zieht sich im dritten Satz dann die Klarinette solistisch durch die verschlungenen Strukturen der anderen Melodien. Empfindsame Ruhepole bereiten bereits auf das ruhige Ausgleiten dieses Satzes vor, auch wenn ein voller Höhepunkt zunächst für Leben sorgt. Dieser Satz wirkt in Verbindung mit dem finalen vierten Satz auch fast so organisch, wie eine Einheit; auch im Finalsatz finden sich Bezüge zum davor Gehörten wieder. Im Gegensatz zum dritten Satz dürfen hier dann aber auch die Bläser einmal aus dem Vollen spielen und mit pulsierenden Figuren in ein regelrecht feierliches Finale mit Beckenschlägen und Glockenspiel leiten.

Und diese Aufführung wird daraufhin auch verdient mit tosendem Applaus sowie stellenweise Stehenden Ovationen gewürdigt. Das bewegt die Künstler dazu, diese alles in allem tolle Leistung mit einer kleinen Zugabe zu krönen. Der „Trepak“ aus Tschaikowskys Nussknacker-Suite will zwar so gar nicht zum restlichen Programm des Abends passen. Andererseits aber verdient es große Anerkennung, dass sich dieses Orchester nicht an etwaigen absurden Zensur-Debatten beteiligt. In Summe war das damit also doch ein Abend, der noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Daniel Janz, 26. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

London Symphony Orchestra, Alison Balsom,Trompete, Sir Antonio Pappano, Dirigent Köln, Philharmonie, 23. April 2024

Isabelle Faust, Violine, London Symphony Orchestra, Sir Simon Rattle, Dirigent Dortmund, Konzerthaus, 6. März 2024

London Symphony Orchestra, Sir Simon Rattle, Mahlers 9. Berliner Philharmonie, 28. August 2023

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