Klingelton mit Krähenrufen stört Konzert in der Kölner Philharmonie

Sol Gabetta, Finnish Radio Symphony Orchestra, Hannu Lintu,  Kölner Philharmonie

Foto: © Uwe Ahrens
Ein Abend voller finnischer Impressionen

Kölner Philharmonie, 19. März 2018
Sol Gabetta
Violoncello
Finnish Radio Symphony Orchestra
Hannu Lintu Dirigent

Igor Strawinsky – Symphony in Three Movements (1942–45)
Bohuslav Martinů – Konzert für Violoncello und Orchester Nr. 1 H. 196 (1955) 3. Fassung
Jean Sibelius – Sinfonie Nr. 5 Es-Dur op. 82 (1915–19)

Von Daniel Janz

Das Wesen der Musik ist die Wiederholung. Sie gibt Halt und Orientierung. Dem Zuhörer erschließt sich dadurch der Grundgedanke einer Komposition. Wie dieser rote Faden umzusetzen ist, das entscheidet jeder Komponist selbst.

Solch einen roten Faden ließ das finnische Radio Symphonie Orchester an diesem Abend wiederholt vermissen. Zum Einstieg brachten die skandinavischen Gäste unter Hannu Lintu (50) die so genannte „Symphonie in drei Sätzen“ des russisch-französisch-amerikanischen Komponisten Strawinskys zur Darbietung. Diese Kombination aus dem Vorzeigeorchester Helsinkis und dem Komponisten des weltberühmten „Sacre du printemps“ verspricht Großes.

Tatsächlich präsentiert sich diese 1946 uraufgeführte Komposition aber als ein wildes Potpourri. Chaotisch wirbeln da Rhythmen über die Bühne, die vor allem Pauke und Trommel einiges an Konzentration abverlangen. Starke Bässe dröhnen ein impressionistisches Gemälde aus Klangfarben nieder und zwischendrin sticht immer wieder das Klavier hervor.

Mit Elan scheuen die Musiker nicht davor zurück, Kontraste und Aufschreie noch härter auszugestalten. Lyrisch streichelnde Passagen in kammermusikalischer Besetzung erklingen wohlwollend und einfühlsam – dadurch erblühen einzelne Momente musikalisch geradezu. Damit präsentiert das Ensemble hier auf Hochniveau eine Ansammlung von Ideen, von denen jede einzelne bereits ausgereicht hätte, um eine große Komposition zu ergeben.

In dieser Form aber erschöpft sich das Werk selbst. Nur an zwei Momenten gibt es ein klares Wiederholungsmoment – am Ende des ersten Satzes, als sich erst die bewegte Klavierpartie und dann das Einstiegssignal wiederholen. Bis zu dieser Stelle ist aber schon so viel passiert, dass wohl nur der Komponist selber oder ein sehr geschulter Hörer dies erkennen dürfte.

Auch der Übergang zum dritten Satz geht pausenlos verloren. Ob dies an der Komposition oder an dem teilweise bizarr tänzerischen Dirigat des finnischen Dirigenten liegt, sei einmal dahingestellt. Die Auswahl dieses Werkes ist jedenfalls Geschmackssache, was auch der eher verhaltene Applaus des Publikums zeigt.

Einen völligen Kontrast dazu bietet das erste Cellokonzert des tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu. Obwohl dieses Werk aus dem Jahre 1930, zuletzt überarbeitet im Jahre 1955, charakteristisch dem Neoklassizismus zuzuordnen ist, klingt es doch wie eine heitere frühromantische Suite. Vielleicht entsteht dieser seichte Eindruck auch deswegen, weil die extra für dieses Solo-Werk angereiste Cellistin Sol Gabetta besonders die lyrischen Stellen herauszuarbeiten weiß.

Die 36 Jahre alte und mehrfach ausgezeichnete Argentinierin stellt damit auch einen Kontrast zum Orchester dar. Besonders der zweite Satz ist musikalisches Gold. Ein Trompetenthema zum choralartigen Spiel von Klarinetten und Fagotten übernimmt sie und streichelt es geradezu über ihr Instrument. Auch im verträumten, fast schon kitschigen Wechselspiel mit der ersten Bratsche offenbaren beide außerordentliches Feingefühl.

Manche Einsätze des Orchesters wirken dagegen allzu hart. Dass einzelne Themen dadurch mehr Kontur erhalten und damit den im ersten Werk vermissten roten Faden erkennen lassen, ist positiv. Negativ ist, dass die Solistin bei den technisch anspruchsvollen Stellen nicht den Ausdruck entfalten kann, den sie an sanften Passagen mühelos offenbart. Dafür muss sie zu sehr gegen die brachialen Tutti-Ausbrüche ankämpfen. Das ein oder andere Eingreifen des Dirigenten hätte für Abhilfe sorgen können.

Erschreckend, geradezu beschämend ist das unfreiwillige Mitwirken des Publikums. Erstaunlich oft stören Handysignale oder andere elektronische Geräte das Spiel auf der Bühne. Ein Klingelton mit Krähenrufen setzt ausgerechnet dann ein, als Gabetta ihre Solokadenz vollführt. Dieser Untermalung lässt sich im Bereich elektroakustischer Musik vielleicht etwas abgewinnen. Einem gestandenen und gebildeten Konzertpublikum sollte da aber mehr zuzutrauen sein.

Diese Störungen gehen anscheinend auch nicht spurlos an den Künstlern vorbei. Nach zwei netten aber nicht herausragenden Zugaben der Solistin im Zusammenspiel mit dem Orchester bzw. der Cello-Gruppe, steht Sibelius 5. Symphonie auf dem Plan. Sie zählt zu den wichtigsten und bekanntesten Werken des Komponisten und markiert gleichzeitig einen Wandel in dessen Schaffen. Ursprünglich zu seinem 50. Geburtstag im Jahre 1915 komponiert, überarbeitete er die Symphonie mehrere Male bis zu der heute gängigen, dritten Version.

Der erste Satz stellt ein langsames, abstraktes Auf- und Abschwellen des Orchesters dar, das von Blechbläsersignalen bis hin zu einem stürmischen Ausklang begleitet wird. Und das finnische Orchester demonstriert hier auch volle Perfektion. Nicht weniger ist bei der Darbietung ihres Nationalkomponisten zu erwarten.

Den Bruch erlebt das Orchester im zweiten Satz. Es hat den Anschein, als wäre es Lintu selber, der den roten Faden verliert. Einen Moment lang entsteht der Eindruck, als würde dem Dirigenten das Orchester davonlaufen. Und ab da passt es auch musikalisch nicht mehr. Der aus langen Orgelpunkten und eigentlich klaren, gezupften Motiven bestehende Satz wird plötzlich unsauber. Die Stimmführung verwäscht, manche Themeneinsätze gehen trotz langsamer Aufführungsgeschwindigkeit im Klangbrei unter.

Darunter leidet besonders der dritte Satz. Er ist bekannt für sein so genanntes „Schwanenruf-Motiv“ – eine zuerst von den Hörnern eingebrachte und später von anderen Instrumentengruppen aufgegriffene Signalmelodie. So jedenfalls in der Theorie.

In der Praxis gelingt den über den ganzen Abend hinweg großartig spielenden Hörnern hier ein prägendes Moment. Die Themenwiederholung in den anderen Instrumentengruppen misslingt stattdessen. Besonders in der letzten Hälfte des Satzes verschwimmen Flöten und Trompeten zu sehr, einzelne Phrasen wirken gar zerhackt. So bleibt von der eigentlich deutlichen Thematik nur eine bloße Ahnung übrig und bei manch einem Zuhörer das Gefühl, erneut um die Orientierung spendende Wiederholung betrogen worden zu sein. Schade.

Das Publikum bedankt sich für diese Aufführung mit Applaus, aber dies war eher ein durchwachsener Abend für die Interpreten.

Daniel Janz, 22. März 2018, für
klassik-begeistert.de

 

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