Das sturmgepeitschte Meer © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Nach „Le Grand Macabre“ und „Animal Farm“ zeigt die Staatsoper mit „The Tempest“ von Thomas Adès erneut, dass sie auch zeitgenössische Opern in hoher und höchster Qualität auf die Bühne bringen kann und will. Das Publikum zeigte sich denn auch uneingeschränkt begeistert.
Thomas Adès
The Tempest
Text von Meredith Oakes nach William Shakespeare
Orchester der Wiener Staatsoper
Chor der Wiener Staatsoper
Musikalische Leitung: Thomas Adès
Inszenierung: Robert Lepage
Bühne: Jasmine Catudal
Kostüme: Kym Barrett
Licht: Michel Beaulieu
Video: Davic Leclerc
Choreographie: Crystal Pite
Choreinstudierung: Thomas Lang
Wiener Staatsoper, 12. Mai 2024
von Dr. Rudi Frühwirth
„The Tempest“ von Thomas Adès war im Jahr 2015 eine sehr erfolgreiche Produktion der Wiener Staatsoper, die – Direktor Roščić sei Dank – wieder auf dem Spielplan zu finden ist. Dem Publikum präsentiert sich ein wahres Gesamtkunstwerk, das musikalisch wie szenisch nichts von seiner Faszination verloren hat.
Die Musik von Thomas Adès spricht viele Sprachen, nimmt Anleihen aus verschieden Stilen und Epochen, und fügt sich doch wundersam zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Wie schon 2015 steht der Komponist am Dirigentenpult und leitet Orchester, Chor, die Sänger und die beiden Sängerinnen sicher durch die vielfältigen instrumentalen, stimmlichen und szenischen Anforderungen.
Die Hauptfigur der Oper ist Prospero, der von seinem Bruder Antonio vertriebene Herzog von Mailand. Mit seiner Tochter Miranda hat er auf einer einsamen Insel Zuflucht gefunden. Zu Beginn ist er beseelt vom Wunsch nach Rache für das erlittene Unrecht, szenisch wie musikalisch großartig illustriert durch den Sturm, der dem Werk den Namen gibt. Der Sturm spült das Schiff an Land, auf dem seine Feinde versammelt sind. Angesichts des trauernden Königs, der seinen Sohn Ferdinand tot glaubt, angesichts der Liebe, die Ferdinand in Miranda entfacht, vermag er seine Rachegelüste nicht aufrecht zu erhalten und ringt sich zur großmütigen Vergebung durch.
Einer der wenigen aus der Premierenbesetzung ist Adrian Eröd als Prospero, herrisch zu Beginn, nachdenklicher und sanfter werdend im Lauf der Handlung. Er ist nach wie vor ein großartiger Interpret, stimmlich und darstellerisch beeindruckend, wenn auch die Stimme etwas an Volumen eingebüßt hat. Er führt seinen Zauberstab stets mit sich wie Wotan seinen Speer im „Ring“. Wie Wotan versucht auch Prospero die Handlung zu lenken. Sie entgleitet ihm aber immer mehr, sodass seiner Rettung von der Insel und dem schließlichen Verzicht auf seine Zauberkünste ein gehöriges Maß an Resignation anhaftet, ganz wunderbar wiedergespiegelt in der Musik am Ende der Oper.
Prosperos Helfer ist der Luftgeist Ariel. Für die Sängerin hat sich Adés Koloraturen in extremen Höhenlagen ausgedacht – dagegen wirken die Arien der Königin der Nacht geradezu als einfache Etüden. Caroline Wettergreen bewältigt die Herausforderung in bemerkenswert sicherer Weise. Dass sie dazu noch schwierige Turnübungen zu bewältigen hat, hat meine Hochachtung vor ihrer Leistung noch gesteigert.
Prosperos Gegenstück und Gegenspieler ist Caliban, der frühere Herrscher der Insel. Er wird brillant gespielt und gesungen von Frédéric Antoun. Das wenig einnehmende Spiegelbild, das er Prospero vorhält, mag wohl auch zu Prosperos Wandlung beitragen. Kate Lindsey als Miranda und Hiroshi Amako als Ferdinand geben ein rührendes Liebespaar. Auch alle weiteren Rollen – der Usurpator Antonio, der König mit seinem schurkischen Bruder Sebastian, der treue Höfling Gonzalo und die Clowns Stefano und Trinculo – sind höchst zufriedenstellend besetzt.
Ein Glanzpunkt der Produktion ist die Regie von Ropert Lepage, geschaffen in Zusammenarbeit mit Ex Machina. Als Bühne für Prospero, den Regisseur und Fädenzieher der Handlung, dient passenderweise der ikonische Zuschauerraum des Teatro alla Scala in Mailand. Er wird aus drei Perspektiven betrachtet: gegen den Zuschauerraum im ersten Akt, gegen die Bühne im zweiten Akt, und als Querschnitt durch das Haus im dritten Akt. Lepages Einfallsreichtum ist stets im Dienst des Werks und lässt Prosperos Magie fast Wirklichkeit werden. In den Bühnenbildern von Jasmine Catudal mit dem Lichtdesign von Michel Beaulieu entstehen visuelle Kompositionen von berückender Schönheit, immer fein abgestimmt auf die Musik.
Auch die Kostüme tragen das ihrige zum grandiosen optischen Eindruck bei. Sie sind wild und exotisch für Caliban und das Ballett, blendend glitzernd für Ariel, barock üppig für den Chor. Der König und seine Höflinge tragen Uniformen, und die zwiespältige Stellung Prosperos – rechtmäßiger Herzog von Mailand ebenso wie Herrscher seiner Insel – wird durch sein Kostüm höchst anschaulich gemacht.
Gemeinsam mit der Musik entfaltet sich auf der Bühne ein Kunstwerk von ungewöhnlicher Tiefe und Geschlossenheit.
Nach „Le Grand Macabre“ und „Animal Farm“ beweist die Staatsoper erneut, dass sie auch zeitgenössische Opern in hoher und höchster Qualität auf die Bühne bringen kann und will. Das Publikum zeigte sich denn auch uneingeschränkt begeistert und geizte nicht mit Beifall.
Dr. Rudi Frühwirth, 14. Mai 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Prospero: Adrian Eröd
Ariel: Caroline Wettergreen
Caliban: Frédéric Antoun
Miranda: Kate Lindsey
Trinculo: James Lainh
Ferdinand: Hiroshi Amako
König von Neapel: Toby Spence
Antonio: Daniel Jenz
Stefano: Dan Paul Dimitrescu
Sebastian: Jack Lee
Gonzalo: Wolfgang Bankl
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