Siegfried, Deutsche Oper Berlin, Ricarda Merbeth und Clay Hilley © JF
So einen genialen Siegfried hat die Opernwelt noch nicht gesehen! Mit einer immer kurzweiliger werdenden Inszenierung legte Stefan Herheim auch im Siegfried nochmal einen drauf und ließ die samt zwei Pausen von Wagnerianischer Länge sechsstündige Oper in einem Augenzwinkern vergehen. Auch musikalisch war der Siegfried eine Fortsetzung der Walküre: Wie eine omnipotent herrschende Gesangsgöttin ragte Ricarda Merbeths Brünnhilde – heute als Einspringerin für Elisabeth Teige – aus einem allesamt herausragenden Gesangsensemble heraus.
Siegfried
Musik und Libretto von Richard Wagner
Deutsche Oper Berlin, 18. Mai 2024
von Johannes Karl Fischer
Ein als Clown verkleideter Alberich schleicht in alle Ecken umher wie ein neckisches Kind, während der Wanderer wie ein vom Himmel herabwachender Gott auf Mimes Hütte blickt. Unübersehbar omnipräsent türmen sich die Berge an Koffern, aus denen die Nibelungen einst das Rheingold auspackten. Das reine, verfluchte Gold will eben den Blick des Zuschauers nicht verlassen. Und Brünnhilde?
Während Siegfried die Furcht vor seiner großen Liebe scheinbar bis ans Ende nicht verliert, versinkt die restliche Bühne in einem Liebesrausch auf ihren ersten Ton. Die freizügig gekleideten Liebespaare – übrigens gegen- wie gleichgeschlechtliche – aus dem Rheingold kehren zurück und wieder einmal braucht man keine einzige Seite Lektüre zu lesen, um die Handlung auf Anhieb zu verstehen: Wotan und Alberich ringen um die Weltherrschaft, am Ende siegt die freie Liebe.
Musikalisch setzte vor allem Ya-Chung Huangs Mime ein ganz dickes Ausrufezeichen. Seine von Herheim überaus karikaturhaft gestaltete Rolle sang und spielte er souverän, lustig und im positiven Sinne lächerlich. Die freche Machtgier des Alberich-Tyrannen-2.0 drang von Beginn an gänzlich durch seinen begeisternden Charaktertenor hindurch, als würde stets ein „hehehehe“ in seiner Stimme stecken. Zum besonderen Highlight wurde sein Auftritt im Schmiedelied, als er Siegfrieds Todestrank brauend mit seinem Kochlöffel im Takt zu den Schmiedehammer-Schlägen seines Ziehsohns klopfte. Obendrein glänzte sein Gesang mit messerscharf präziser Textverständlichkeit, jedes Wort war in bester Diktion gesetzt wie ein auf musikalischen Melodien liegender Schauspieltext.
Auch Clay Hilley in der Titeltolle des Siegfrieds sang sehr gut. Stimmlich wie szenisch hatte er einen sehr kräftigen Auftritt, die hammerschwere Rolle rang er wie ein triumphierender Olympiasieger nieder. Zwar fehlte ihm im zweiten Aufzug ein ganz wenig der Übermut der Siegfried-Spitzenklasse-Konkurrenz, aber, naja, bei dieser maßlos fordernden Partie muss man seine Stimmkraft gut haushalten. Und das tat er bestens. Die Belohnung: Alle Spitzentöne, alle hohen As kamen souverän und sauber, die emotionalen Ausbrüche erweckten bis zum Ende grenzenlose Begeisterung im Publikum.
Doch bei allen gesanglich herausragenden Leistungen über zweieinhalb Wagner-Aufzüge mussten sich am Ende alle musikalisch beteiligten Ricarda Merbeths überaus dominierender und brillanter Brünnhilde geschlagen geben. Wie schon in der Walküre fesselte sie mit ihrem bissigen, intensiven Sopran den Saal fest an die Stuhlkanten und beherrschte die Bühne wie eine allmächtige Gesangskönigin. Weckte Siegfrieds Erschrecken vor der schlafenden Maid noch schmunzelndes Gelächter im Saal, so sorgte wenige Takte später ihr donnernder, herrschender Sopran für solch einen mächtigen Paukenschlag, dass selbst ein tapfer kämpfender Siegfried nur noch zuschauen konnte.
Auch Iain Patersons eigentlicher Gott namens Wotan – gut, hier in der Gestalt des Wanderers auftretend – beherrschte mit röhrendem Bariton omnipotent die Musik und den Zwerg Mime. In diesem Wanderer steckte noch sehr viel Wotan, er sang, als hätte er seine Machtambitionen mit Brünnhildes Kuss nie aufgegeben und würde gleich Siegfried zum Duell auffordern.
Charakterlich – natürlich nicht musikalisch – erschien mir Mimes Versuch, gegen diesen Göttervater die Welt zu beherrschen wie ein Laienpianist vor Lang Lang. In der Rolle von Wotans Gegenspielers lieferte auch Jordan Shanahans Alberich mit rundem, dunklem Bariton ein mehr denn solides Duell mit seinem Bruder Mime und dem Göttervater Wotan. Sein freches, keckes Schauspiel hob die Partie nochmal deutlich aus dem Schatten einer kleineren Nebenrolle in den omnipräsenten Vordergrund.
Mit bärenstarkem und in allen Tiefen souverän textverständlichem Bass überzeugte auch Tobias Kehrer in der Rolle des Drachen Fafner. Bei all seinem mächtigen Gesang ragte dennoch die geniale szenische Umsetzung dieser Rolle über all seine Melodien hinaus. Wotan weckt Fafner aus dem Schlaf, doch statt einem Drachenrachen steigt aus der Unterbühne ein riesiger Tubatrichter empor.
Der Drache ist eben rein symbolischer Natur und Siegfried keine Märchenoper! Lindsay Ammann sang eine besonders am unteren Ende der Mezzo-Stimmlage tief durchdringende Erda und brillierte mit intensiver Stimme wie die Welt weiseste Sängerin. Als Waldvogel hatte man einen Solisten des Knabenchores der Chorakademie Dortmund besetzt, der auch in dieser sehr fordernden Rolle alle Noten bestens traf und seine Rolle mehr denn souverän erledigte.
Nicholas Carter ließ die in diesem Stück oftmals spaßige Orchestermusik mit viel Humor und ordentlich Tempo im Sattel erklingen. Auch die ernsteren, sonoreren Stellen kamen mit viel Liebe und Emotion aus dem Graben, die einzelnen Buh-Rufe waren auf jeden Fall unberechtigt.
Dennoch bleibt das Dauerproblem an diesem Haus namens Akustik: Denn diese dämpft weiterhin so einige Motive und gibt dem Klang einen edlen, weichen Anstrich. Da kann das Orchester noch so laut spielen, die von Wagner komponierte Orchesterflut zum Siegfried-Lichtmeer klingt an diesem Haus einfach nicht so mächtig überwältigend wie anderswo. Ich weiß nicht, ob und was man da machen kann… vielleicht auf 32 Geigen aufstocken?
Egal, dieser Siegfried legte auch auf die Walküre nochmal einen drauf. Was uns wohl im großen ersten Ring-Finale am Pfingstmontag erwartet?
Johannes Karl Fischer, 18. Mai 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Die Walküre, Musik und Libretto von Richard Wagner Deutsche Oper Berlin, 12. Mai 2024
Das Rheingold, Musik und Libretto von Richard Wagner Deutsche Oper Berlin, 11. Mai 2024
„Bissiger Sopran“ und „röhrender Bariton“. Solche Stimmen habe ich gottlob noch nie gehört!
Peter Sommeregger
Lieber Kollege,
Stimmen sind natürlich immer Geschmackssache. Ich persönlich finde, eine Brünnhilde kann und muss zu einem gewissen Grad ein bisschen „Biss“ haben, sonst nimmt man ihr die Rolle als widerspenstige Wotan-Tochter nicht ab. Ricarda Merbeth spielt eben eine Brünnhilde, die nicht nur immer auf den Tisch haut, sondern diesen stets gleich mit dem Speer zerschmettert. Und auch röhrende Stimmen können wahnsinnig viel Kraft ausüben, man siehe z.B. Falk Struckmann oder Franz-Josef Selig.
Und wer keine bissigen und röhrenden Stimmen mag, wird sicherlich bei anderen SängerInnen wie z.B. Klaus Florian Vogt und Camilla Nylund eher seinen Geschmack getroffen finden. Man kann das so oder so singen, ich finde, vor allem Frau Nylund und Frau Merbeth – welche ich in dieser Spielzeit beide als Brünnhilde gehört hab – standen sich gegenseitig um nichts nach.
Johannes Fischer
Der Autor hat die Stimme von Frau Merbeth ja nicht nur als „bissig“ beschrieben, sondern auch als „intensiv, donnernd und herrschend“. Diese Beschreibung kann doch jede(r) Leser(in) nach Geschmack interpretieren! Ich bin kein Fan der Stimme von Frau Merbeth (was freilich nichts daran ändert, dass sie eine hervorragende Sängerin ist). Von daher finde ich insbesondere das Adjektiv „bissig“ durchaus passend, wenngleich es sicherlich anders (als von mir interpretiert) gemeint sein dürfte.
Gerda Baumeister