Foto: Sebastian Hänel (c)
Philharmonie Berlin, Großer Saal, 14. Juni 2018
Krystian Zimerman – Klavier
Sir Simon Rattle – Dirigent
Berliner Philharmoniker
von Regine Neudert
Spannung liegt in der Luft in der beinahe ausverkauften Berliner Philharmonie. Viele sind trotz sommerlicher Temperaturen gekommen, um den Chefdirigenten mit seinen Philharmonikern ein vorletztes Mal im Großen Saal der Philharmonie zu erleben. Dieser verabschiedet sich am 19. und 20. Juni mit Mahlers 6. Symphonie endgültig von den Berlinern. Die Ankündigung des Rücktritts von Sir Simon Rattle als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker liegt bereits fünf Jahre zurück. Mit dem Ende der Saison 2017/2018 legt er sein Amt nieder und übergibt die musikalische Leitung des Orchesters an Kirill Petrenko. Ein Ereignis, auf das man mit nicht wenig Spannung seit geraumer Zeit wartet.
Es ist das erste von drei Konzerten mit einem Programm, das sich zusammensetzt aus Werken, die dem Dirigenten (laut Programmheft) besonders am Herzen liegen. Im ersten Teil des Konzerts erklingt Bernsteins 2. Symphonie mit dem Starpianisten Krystian Zimerman am Klavier. Als literarische Vorlage diente Bernstein Wystan Hugh Audens Poem „The Age of Anxiety. A Baroque Eclogue“. Entstanden unter den Eindrücken des Zweiten Weltkriegs, behandelt die Dichtung Themen wie Einsamkeit, Ängste und existenzielle Fragen.
In der Symphonie kommt Bernsteins brillant eklektischer Stil zum Ausdruck, wenn er das Orchester, das im Dialog mit dem Klavier die Geschichte erzählt, durch (zuweilen jazzige) Extreme schreiten lässt. Ein besonders starker Moment ist gleich zu Beginn der einsame Einstieg der Klarinetten.
Die perfekt aufeinander eingespielten Philharmoniker stehen in ununterbrochener Kommunikation mit ihrem Dirigenten. Reibungslos manövrieren sie sich gemeinsam durch die Partitur, und trotz des düsteren Themas ist eine gemeinsame Freude am Musizieren unverkennbar.
Auch die Kommunikation zwischen Rattle und Zimerman – stetiger Blickkontakt bestätigt dies – lässt auf eine enge wohlwollende Zusammenarbeit schließen. Es ist eine Freude, diesem eingespielten Team beim Musizieren zuzuschauen! Der Solist des Abends spielt souverän und mit einer Leichtigkeit, die den Anspruch der Partitur vergessen lässt. Ihm gelingt es, sich gleichmäßig in das Orchestergefüge einzufügen und büßt dadurch nichts von seinem Solistenstatus ein. Ganz im Gegenteil.
Der zweite Teil des Abends ist in zwei Blöcke unterteilt. Zu Beginn präsentiert Sir Simon Rattle im Rahmen seiner „Tapas“-Reihe für neueste Musik drei kurze Auftragswerke der an diesem Abend anwesenden Komponisten Magnus Lindberg, Andrew Norman und Brett Dean. Alle drei scheinen beim Komponieren den vollen Orchesterklang der Philharmoniker im Ohr gehabt zu haben. Bevor es losgeht, greift der Dirigent selbst zum Mikro und bittet das Publikum, erst am Ende des Blocks zu applaudieren.
Mit Präzision, Überzeugung und Engagement leitet Rattle die Uraufführungen, bei denen besonders Brett Deans „Notturno inquieto“ hervorsticht. Die heraufbeschworene nächtliche Atmosphäre mit verzerrten Klängen und Geräuschen bildet einen schönen Bogen zur thematisierten Angst in Bernsteins Symphonie.
Nach anspruchsvollster Kost, die genaues Zuhören und Konzentration erforderte, folgt im letzten Teil des Konzerts Filmmusik von Scott Bradley und Erich Wolfgang Korngold. Das Publikum und auch das Orchester atmen sichtlich auf. In diesem letzten Block erlebt man die Philharmoniker noch einmal in Höchstform.
Die Musik zur Zeichentrickserie „Tom and Jerry“ spicken die Aufführenden mit kleinen Slapstick-Showeinlagen, ausgeführt von Orchestermusikern. Hier liegt der Fokus ganz auf den vielen Facetten des Schlagwerks, was allen Beteiligten sichtlich Spaß bereitet. Das erleichterte und dankbare Publikum schenkt tosenden Applaus.
Eine Fanfare leitet Korngolds Musik zum Hollywood-Film „The Adventures of Robin Hood“ und gleichzeitig das Ende eines spannungsvollen Abends ein. Mit energischen Klängen, mit Pauken und Trompeten sowie einer Portion Romantik verabschiedet sich das spürbar gelöste Orchester samt Chefdirigent von seinem Publikum.
Was für ein Programm – was für eine wohldurchdachte Dramaturgie! Über einen thematisch ernsten Beginn führt Sir Simon Rattle sein Publikum an neueste Musik heran, die immer auch anspruchsvolles Hören voraussetzt; um am Ende gemeinsam mit dem schunkelnden Publikum ausgelassen den Spaß an der Musik zu zelebrieren. Sir Simon tut dies selbstverständlich den ganzen Abend über mit zurückhaltender Leidenschaft.
Regine Neudert, 15. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de
Leonard Bernstein, Symphonie Nr. 2 »The Age of Anxiety« für Klavier und Orchester
Magnus Lindberg, „Agile“ für Orchester
Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker, Uraufführung
Andrew Norman, „Spiral“ für Orchester
Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker, Uraufführung
Brett Dean, „Notturno inquieto“
Auftragswerk der Stiftung Berliner Philharmoniker, Uraufführung
Scott Bradley, Musik zur Zeichentrickserie „Tom and Jerry“
Erich Wolfgang Korngold, „The Adventures of Robin Hood“, Symphonisches Porträt für Orchester, arrangiert von John Mauceri (Auszüge)