Così fan tutte Hamburg © Hans Jörg Michel
„Ist sie eine Asiatin?“ – „Nein, er ist ein Asiate!“ – Niels, mein Begleiter an diesem Abend, is flabbergasted – völlig überrascht, denn der Star dieser Aufführung ist der Countertenor Kangmin Justin Kim, der die Despina gibt in „Così fan tutte“, der offenbar auch noch eine Ballettausbildung hat, so sehr springt er/sie umher in schwarzen Lackhosen, die durchaus ans Studio 54 erinnern, und in dem psychedelischen Bühnenbild des Herbert Fritsch, – „Kennst Du Verner Panton?“ frage ich das junge Mädchen neben mir, „Nein – wir sind mit der Klasse hier, und das Bühnenbild verstehen wir nicht“, und ich sage, „Nicht verstehen, nur gucken, gucken!“
Denn da gibt es nun in der Tat viel zu sehen.
Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1791)
Così fan tutte
Text von Lorenzo Da Ponte
UA 26. Januar 1790, Wien (Altes Burgtheater am Michaelerplatz)
Chor und Orchester der Staatsoper Hamburg
Omer Meir Wellber – Musikalische Leitung
Herbert Fritsch – Inszenierung und Bühnenbild
Staatsoper Hamburg, 20. Juni 2024
von Harald Nicolas Stazol
Ganz in psychedelischen Farben ist diese Così, eine Oper, die man recht eigentlich als sexistisch und misogyn einstufen könnte, werden doch hier Frauen auf den Prüfstand der Treue gestellt wie Objekte, von Männern, die manipulativ ihre eigenen Gelüste auf ihre Frauen projizieren – so jedenfalls sehe ich es… Chao Deng als Don Alfonso, mit einer so wundersam-tragenden Stimme, dass man ihm den großen Zyniker abnimmt, und Despina in Countertenor-Gestalt… wie kann Kangmin Justin Kim mit seinen Stimmbändern alle staunenswert über die Maßen in seiner Kunst an Gunst das Publikums gewinnen, nach höchsten Höhen ausbrechend in diabolisches Lachen, ohne Bruch, von einer Sekunde zur anderen, ein Allround-Talent, das man einfach gesehen haben muss!
Und auch Ferrando, ein rank-schlanker 40-jähriger Martin Mitterrutzner ist hier bestens besetzt – sein Glitzeranzug im ersten Auftritt, die Kostüme ja alle (Victoria Behr) total Nineties, ich sage mal Dolce & Gabbana 1996, schon modisch eine Augenweide, das können sie mir als ehemaligem Fashion-editor des „stern“ schon unbesehen glauben!
Ich sehe die Opera buffa ja als eine Rebellion gegen Etikette eines gerade verblichenen Louis Quatorze, wie man dem sehr schlauen Programm entnehmen kann, als eine Revolution der Sitten, nach Mozarts ebenso allzu frühen Tode schon schwer umstritten. Ich denke, der Barock wollte sich auch ins Rokoko wandelnd nicht den Spiegel vorhalten lassen: Daher auch die Bezüge zu Chloderlos de Laclos’ Buch „Gefährlichen Liebschaften“, die auf Seite 18 weiß auf schwarz zu finden sind, von niemand Geringerem als Heiner Müller übertragen und aufgegriffen – mit den Liaisons Dangereuses ist ja die Intrige intrinsisch verwoben, nun hier kann man sie begreifen!
Und, Bild im Bilde, im Briefroman spielt ja auch die Oper eine entscheidende Rolle, man sehe sich den Movie mal an, mit einer wirklich fiesen Marquise de Merteuil der Glenn Close, die ja in der letzten Szene aus ihrer Loge gebuht wird – aus unseren Hamburger Logen nur Lob und Preis, auch zur hochträllernden Adriana González als Fiordiligi, zu der ich im Dunkel des Saales nur „schon so lange so hoch, dass man gerne fast ertaubt, doch nun wird an den leisesten Passagen sogar mein Kuli zu laut…“ aufkritzele.
Merke auch: Nicht zu viele Armbänder am Handgelenk, das klackert nur –doch das ist gar nichts gegen meine Nachbarin, denn merke auch: Je länger man ein Bonbon auswickelt, desto störender – schon als 16-Jähriger im Konzertverein Ingolstadt entriss ich es einer dieser Frevlerinnen – doch Vorsicht! Schon wieder lauert die Misogynie…
Dass Così jetzt einen festen Platz im Repertoire des Hohen Hauses hat, kann man nur als Glücksfall begreifen, und Herbert Fritsch ist ja auch im Bild visionär – und so spiegelt sich der Soldatenchor in NATO grün mit Maschinenpistolen an der sich stets hebend und senkenden Bühnendecke „Lustig ist das Sol-dat-enleheeeben!“ – und das schon seit 2018, der Leser wird mir zustimmen, dass die Welt da ja noch in Ordnung war?
In Unordnung die Gefühlswelten des Librettisten Lorenzo Da Ponte, in Ordnung die Gesellschaftskritik – außerordentlich Omer Meir Wellber am Pult und auch am Hammerflügel, ich kann ihn leider nicht sehen, von dem er so manche Impro hinfetzt, Jazz auf Speed, oder Speedy Jazz, erfrischend und unterhaltsam, das Orchester auch ganz außergewöhnlich!
Und als sie alle vereint sind, in human-humanistischen Einigkeit nach dem gesellschaftlichen Experiment, sagt Niels nur, wow, Hammer, und auch die Musikklasse neben uns fürchtet nun nur noch die Hausarbeit dazu – und vielleicht mögen diese Zeilen ja helfen – natürlich habe ich klassik-begeistert.de den Élèven nahegelegt, als Dauerpromo.
Dauerpromo also auch dieser Inszenierung, denn so „tun es alle“, und das ist ja auch eine Erkenntnis?
Meine Empfehlung der Mittwoch, 26. Juni, da wird Despina nochmal singend tanzen, im grellschönbunten Lichte des Carsten Sander.
Und ganz beschwingt gehen Niels und ich von dannen, ich noch immer ganz von hinnen, bis auf den heutigen Tag!
Harald Nicolas Stazol, 23. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Così fan tutte, Musik von Wolfgang Amadeus Mozart Staatsoper Hamburg, 20. Juni 2024
Wolfgang Amadeus Mozart – Così fan tutte Staatsoper Hamburg, 20. Juni 2024