Tristan und Isolde © Bettina Stöß
Tristan und Isolde: eine düstere Oper voller Todesahnungen. Jede Szene ein Verweis auf eine andere Welt.
Tristan und Isolde: eines der leidenschaftlichsten Paare der Welt- und Opernliteratur.
Da knistert es, es fliegen die Funken und es verblasst die ganze Welt, wenn die beiden übereinander herfallen und ineinander vergehen.
„Tristan und Isolde“: eine uralte Geschichte, die von List und Trug, Zauber und Verfehlung – und von tiefer Menschlichkeit erzählt.
Auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin war in der Repertoireaufführung Ende Juni von dieser Vielschichtigkeit nur bedingt etwas zu erleben.
Tristan und Isolde
Richard Wagner
Musikalische Leitung: Juraj Valčuha
Inszenierung: Sir Graham Vick
Orchester, Chor und Statisterie der Deutschen Oper Berlin
Deutsche Oper Berlin, 30. Juni 2024
von Sandra Grohmann
Das lag vor allem an dem von Ricarda Merbeth und Michael Weinius verkörperten Paar, das – pardon – so sexy herüberkam wie die sprichwörtliche Schiesser Feinripp. Schuld daran war nicht allein die verfehlte Personenregie. Sondern vor allem, dass der Gesang des Titelpaares, das zugegebenermaßen zwei mörderische Partien zu bewältigen hat, mit wenigen Ausnahmen zu gezirkelt, zu korrekt, zu akademisch daherkam, um mitreißen zu können.
Und selbst das nur in den besseren Strecken. Die Anforderungen der Partie führten Ricarda Merbeth – die mit schöner Ausdifferenzierung und warmem Timbre begonnen hatte – zum Ende des ersten Aufzugs in ein erschreckend gepresstes Fortissimo, das von einigen Pausenbekanntschaften nur wenig übertrieben als „Schreien“ bezeichnet wurde. Glücklicher- und wundersamerweise erholte sie sich bereits zum zweiten Aufzug hin und dann vor allem bis zum Liebestod wieder. Den trug sie so sicher, so auf einem Bogen vor, dass er mir immer noch im Ohr ist. Da hörte man, warum sie vor vierzehn Jahren zur Österreichischen Kammersängerin geadelt worden ist.
In den Szenen mit dem Königlich Schwedischen Hofsänger Michael Weinius hingegen machte sich in meinen Ohren stilles oder eher ziemlich lautes Leid breit. Während Weinius’ Tristan im ersten Aufzug noch erstarrt auf einem Sofa sitzen musste und genauso sang, wurde die große Liebesszene im zweiten Aufzug von einer unausgegorenen Dynamik hinfortgerissen.
Immer wieder brachen ganze Passagen in den Bereich des hinter dem Orchester kaum noch Hörbaren ab, wurden von den Sforzati geradezu durchbohrt und emporgerissen, um sogleich wieder abzustürzen und schließlich unbetrauert zu versterben. Modulationen und Steigerungen wurden zeitweise völlig unverständlich. „Sublim“ (Verdi über den zweiten Akt) war da nichts. Ein gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Singen der beiden Protagonisten – das wellenartige Ineinandergreifen der Stimmen, das Umwerben, das Zueinanderstreben, die alle auskomponiert sind – teilte sich bis zu meinem Parkettplatz nicht mit.
Der Gesang erklang so unbeteiligt nebeneinander wie die Personenführung marionettenhaft und schematisch war: Als König Marke schließlich hereinschreitet, setzen sich die erwischten kleinen Schlingel nebeneinander auf das notorische Sofa, berühren sich nicht einmal, lassen die Köpfe hängen und teilen schließlich unvermittelt mit, dass sie jetzt übrigens auswandern werden. Also eben zum Tod oder auch woanders hin, mal gucken. So sieht wahre Teilnahmslosigkeit aus. Sagenhaft.
Während die beiden Titelpartien und insbesondere der Tristan also durchaus noch Luft nach oben (oder nach innen oder wohin auch immer) hatten bzw. hätten gebrauchen können, boten die Nebenrollen allesamt eine Ohrenweide.
Star des Abends war Ensemblemitglied Irene Roberts, die in Windeseile aus Bayreuth (wo sie die Venus singen wird) herbeigeeilt war, um als Brangäne für Annika Schlicht einzuspringen und das Publikum mit ihrem samtweichen, wunderbar geführten Mezzo zu betören. Der rätselhaft steifen Inszenierung zum Trotz verstand sie es, ihrer Darstellung Tiefe zu geben und uns Hörer nicht an der Darstellung, sondern mit der Figur leiden zu lassen.
Ähnliches gilt auch für Günther Groissböck. Ganz gleich, was er singt – einen verzweifelten König Marke oder einen draufgängerisch-chauvinistischen Ochs: mir vermittelt sich seine volle Stimme immer rollengerecht, immer packt mich seine enorme Bühnenpräsenz. Nur warum er als Marke so einen merkwürdigen Seitenscheitel tragen musste, erschloss sich mir nicht. Aber letztlich habe ich die ganze Regieleistung nicht verstanden. Macht nichts. Herrliche Stimme.
Begeistert hat auch der junge, äußerst vielversprechende Leonardo Lee, der an diesem Abend sein Rollendebüt als Kurwenal gab. Was für ein Talent, und wie schön zur Geltung gebracht. Ein schmelzender, wunderbar tragender Bariton, der sowohl den jungen Hardliner wie auch den alten besorgten Freund Tristans überzeugend verkörperte.
Und schließlich bot Ensemblemitglied Jörg Schörner, der seine Karriere als Bariton begonnen hat und später den Fachwechsel zum Tenor vollzog, mit seiner runden Darbietung des zweizüngigen Melot – der von Bariton- wie von Tenorstimmen gesungen werden kann – einen Genussmoment.
Das Orchester der Deutschen Oper Berlin, von Juraj Valčuha mit viel Ruhe sehr nachvollziehbar geführt, manchmal für meinen Geschmack insbesondere zum Ende des ersten Aufzugs hin etwas zu laut (aber mein Begleiter war anderer Meinung), bot insgesamt wie immer verlässlichen Hörgenuss. Vor allem Isoldes Liebestod stützte es durch sorgfältig ineinander verwobene Stimmen. Es wurde vom Publikum – wie übrigens das gesamte Ensemble – begeistert gefeiert.
Noch ein Wort zu Graham Vicks Regie von 2011, die mit stylischen Hinkelsteinen sowie mehreren selbsterfundenen Statistenrollen wohl das Archaische im Gegenwärtigen zur Geltung zu bringen sollte: Das zündete bei mir überhaupt nicht. Sicherlich fehlte mir die nötige Assoziationskraft, um alle Symbole auf der Bühne zu entschlüsseln. Ich gebe den Versuch auf.
Indiskutabel ist die oben bereits beklagte Personenregie, die alle Sänger in dieser leidenschaftlichen Oper zwang, szenisch geradezu einzufrieren (was durchaus einen Effekt auf die Stimmen gehabt haben mag). Ich bin ja kein Freund ausufernder Sexakrobatik auf der Opernbühne, weil ich das albern finde. Aber dass zwei Figuren, die völlig verrückt nach einander sind, ihrer Leidenschaft Ausdruck verleihen, indem sie die Nacht brav aneinander gelehnt auf dem Sofa verbringen und Händchen halten: Come on!
Das ist genauso albern. Auch die besondere Erotik, die darin bestehen soll, einander unmittelbar nach der Einnahme eines ekstatisierenden Liebestranks die Hände über einen Resopaltisch zu reichen, hat sich auf mich nicht übertragen. Nicht einmal, als sich Isolde später mit derselben Geste gegenüber dem herbeigesehnten und -phantasierten Tristan an diesen Moment erinnert. Aber bitte, alle Paare haben ihre eigenen kleinen Geheimnisse.
Was bleibt von dieser Vorstellung? Zunächst natürlich die reichlich banale Erkenntnis, dass wir gelegentlich mit den Stimmen der jüngeren Sängerinnen und Sänger besser bedient sind als mit derjenigen manch eines lang etablierten und hoch dekorierten Künstlers. Andererseits braucht man natürlich eine gewisse Reife und Kraft, um es überhaupt lebend zu überstehen, den Tristan oder die Isolde zu singen. Wenn hier jemand mal schwächelt, dann ist das nur allzu verständlich. Niemand will enden wie der erste Tristan, der ohne erkennbaren Grund knapp sechs Wochen nach der Uraufführung verstarb.
Und damit blieb es ein trotz allem schöner Abend. Mit der Zufriedenheit darüber, dass die Deutsche Oper Berlin immer wieder junge Leute ans Haus holt, die uns begeistern. Einige von ihnen starten von hier aus ihre Weltkarriere. Ihre Stimmen wie auch die anderer großer Sänger können wir an Abenden wie diesem, an dem das Titelpaar nicht vollständig überzeugt, glücklicherweise besonders genießen.
Sandra Grohmann, 3. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Tristan: Michael Weinius
Isolde: Ricarda Merbeth Brangäne: Irene Roberts
König Marke: Günther Groissböck
Kurwenal: Leonardo Lee
Melot: Jörg Schörner
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