Foto: (c) Sheila Rock licensed to Warner Classics
Philharmonie Berlin, 20. Juni 2018
Berliner Philharmoniker, Dirigent: Sir Simon Rattle
Gustav Mahler, Symphonie Nr. 6 a-Moll
Von Peter Sommeregger
Nach 16 Jahren heißt es nun Abschied nehmen von Sir Simon, der die Berliner Philharmoniker 2002 von Claudio Abbado übernahm. Es war von Beginn an eine fruchtbare, kreative Zeit für alle Beteiligten. Man konnte schon bei Rattles Gastdirigaten vor 2002 spüren, dass die Chemie zwischen ihm, dem Orchester und auch dem Publikum stimmte. Dass diese Ära – man kann es getrost so nennen – nun zu Ende geht, mag wehmütig stimmen, aber letztlich ist es immer klug, die Dominanz einer künstlerischen Persönlichkeit zeitlich zu begrenzen. Gerade in Berlin kann man gegenwärtig erleben, wie sich ein unlimitiertes Festhalten an einer Position negativ auswirken kann. Sir Simon hat bereits eine neue Aufgabe beim London Symphonie Orchestra gefunden, die Berliner Philharmoniker warten ungeduldig auf den Amtsantritt ihres designierten Nachfolgers Kirill Petrenko.
Dass Rattle, der vor nicht sehr langer Zeit einen kompletten, auch auf CD veröffentlichten Zyklus aller Mahler-Symphonien dirigierte, für sein letztes Konzert ausgerechnet Gustav Mahlers 6., auch (nicht von Mahler selbst) als „Tragische“ bezeichnet, wählt, ist auf den ersten Blick befremdlich. Ein Blick in die Aufführungschronologie des Orchesters bringt die Antwort: am 14. November 1987 stand dieses Werk auf dem Programm des ersten Konzerts, das Rattle bei den Berliner Philharmonikern dirigierte.
Vor dem letzten regulären Konzert Sir Simons an diesem schwülen Mittwochabend kann man vor der Philharmonie mehr Kartensuchende als sonst vor einem Konzert sehen. Der Saal ist bis zum letzten Podiums- und Stehplatz ausverkauft. Sieghaft, beinahe martialisch wirft sich Rattle in den gewaltigen Kopfsatz der Symphonie, „sein“ Orchester folgt ihm nur allzu willig. Über 80 Minuten breiten Dirigent und Orchester den Klangteppich dieser etwas sperrigen, aber höchst raffiniert instrumentierten Partitur höchst differenziert aus. Über das breit, aber trotzdem konzentriert und angespannt genommene Andante entzündet Rattle im kräftigen Scherzo ein wahres Feuerwerk an instrumentalen Feinheiten. Im letzten Satz schließlich spielt das Orchester wie entfesselt auf, als wolle es seinem Dirigenten im Triumphzug aus der Philharmonie geleiten. Die berühmten Hammerschläge setzen einen symbolischen Schlusspunkt für eine großartige, fruchtbare künstlerische Gemeinschaft.
Nicht enden wollender Jubel für Sir Simon und das Orchester beschließen den Abend. Ganz unsentimental und knapp dankt dieser seinem „wunderbaren Berliner Publikum“. Gemildert wird der Abschied durch die Tatsache, dass die Familie Rattle weiterhin ihren Wohnsitz in Berlin behalten wird. Auch Termine für künftige Gastspiele sind bereits vereinbart. „Goodbye and Hello, Sir Simon!“
Peter Sommeregger, 20. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de