Here we are tonight. Bayreuth, Oberfranken, 27 Grad. Kaiserwetter, als am Donnerstagnachmittag kurz vor 16 Uhr Menschen, die das Land führen, mit Karossen deutscher Provenienz eintreffen. Die Eröffnung der Festspiele.
Wie immer bleibt der Eindruck eines großen Abends im Bayreuther Festspielhaus. Die Bayreuther Festspiele sind state of the art für Wagner-Liebhaber. Die Akustik auf dem Grünen Hügel ist amazing. Die Oper an diesem Abend eine der schönsten dieses Planeten: „Tristan und Isolde“. Komponiert in Liebe zu seiner Geliebten Mathilde Wesendonck, auf deren Grundstück er in Zürich mit seiner ersten Ehefrau und Mathildes Ehemann lebte… Uraufgeführt am 10. Juni 1865 im Königlichen Hof- und Nationaltheater, München.
Anhaltenden Beifall bekam als einziger vor dem Festspielhaus vorfahrenden Prominenten der Sänger Roberto Blanco („Ein bisschen Spaß muss sein“), der das Bad vor der Menge genoss und vor den Fotografen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder posierte. Auch der Schauspieler Heiner Lauterbach sowie die Sängerin Vicky Leandros fuhren vor. Ex-Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hatte abgesagt, sie verfolgt mit Ihrem Ehemann Professor Joachim Sauer seit vielen Jahren die Bayreuther Festspiele. Mögen zukünftige Kanzlerinnen und Kanzler ein Quäntchen von Angelas Kultursinn übernehmen! Warum waren Sie nicht in Bayreuth, werter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz? Sie waren als Hamburger Bürgermeister doch auch regelmäßiger Besucher der Hamburgischen Staatsoper. Allein, das Haus an der Dammtorstraße in Hamburg ist verglichen mit Bayreuth eine Provinzbühne.
Fotos © Enrico Nawrath
Bayreuther Festspiele, 25. Juli 2024 (Eröffnung)
Richard Wagner, Tristan und Isolde
von Andreas Schmidt
Trotz einigen Medienrummels wegen der grünen Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Buhrufe!), die auch „Hänsel und Gretel“ im Bayreuther Festspielhaus aufführen lassen will – was einen Medien-Shitstorm nach sich zog…
… haben die Bayreuther Festspiele 2024 so begonnen, wie Wagner-Liebhaber aus aller Welt sich dies wünschten: Mit tollen Stimmen, einer
Jahrtausendliebesschmerzoper und – gut für die Eröffnung der Festspiele – nur starken Buh-Rufen für das Regie-Team.
Ja, es gab reichlich Bravi für ein hochromantisches Orchester, den feinfühligen russisch-amerikanischen Dirigenten Semyon Bychkov und Sänger, die alle weit über „Gut“ sangen.
Die Inszenierung des isländischen Regisseurs Thorleifur Örn Arnarsson fanden viele Gäste langweilig. Statisch, belanglos. Ein Riesen-Kleid der Isolde, Seile, die herabhängen, Nebelschwaden und Bodenlicht, Gerüms – so etwas wie im ersten Aufzug könnte man besser in Detmold oder Schwerin sehen. Bonjour Tristesse, warum kann die große Regisseurin Katharina Wagner nicht richtige Regie-Profis an ihr Haus binden?! Dieser hier ist eine Eintagsfliege, hat ja auch noch nix Großes bislang auf den Weg gebracht.
Die Personenführung war an diesem Abend mehr als langweilig und statisch, keine Bewegung, Langeweile, da wäre der australische Regisseur Barrie Kosky ein guter Ratgeber gewesen. Wie kommt so ein isländischer Unter-Durchschnitts-Regisseur ins Wagner-Mekka?
Richard Wagners gewaltige „Handlung in drei Aufzügen“ gilt neben seinem „Ring des Nibelungen“ als der Mount Everest für Sänger, Orchester, Regisseure. Musikalisch kamen die Zuschauer im Festspielhaus auf ihre Kosten.
Ein angenehmes Gefühl stellt sich bei „Tristan und Isolde“ wie bei Katharina Wagners letzter Inszenierung schon nach den ersten drei Takten des Vorspiels ein. Alles ist wie verwandelt: Raum und 2000 Menschen.
Nur ein paar Unverbesserliche laufen anfangs noch über die knirschenden Holzdielen.
Es war große Klasse, was Semyon Bychkov den europäischen Ausnahmemusikern des Festspielorchesters im Bayreuther Graben abzuverlangen vermochte. Schon beim Vorspiel des ersten Aufzugs, dessen Anfang zauberhaft leise und SEHR langsam den berühmten Tristan-Akkord zelebrierte, stellte sich Gänsehautgefühl ein. Auch die Hörner Anfang des zweiten Aufzuges hört man nirgends so gut wie in Bayreuth. Und die Streicher zu Beginn des dritten Aufzuges und das folgende Englischhorn-Solo des Hirten sind wegweisend.
Kommen wir zu den Stimmen:
Angetan war ich von Andreas Schagers Tristan, sein Tenor füllte den Raum, überstrahlte mit virilem, in der Höhe metallisch-glänzendem, unter die Haut gehendem Timbre das Orchester. Schager ging auch darstellerisch mehr aus sich heraus als seine Partnerin. Schagers überzeugend gesungenes „Isolde, Geliebte“ hob die ganze Aufführung auf ein höheres Niveau. Aber nicht nur im Forte, sondern auch bei den leiseren Passagen blieb Schagers Stimmklang angenehm und genügend modulationsfähig. Allerdings sang Schager vor allem im 2. Aufzug aber auch im 3. Aufzug nicht alle Töne richtig an. Zum Ende hin schwanden bei ihm im höchsten Register bisweilen die Kräfte. Publikumsapplaus: 7 von 10.
Camilla Nylund ist eine treffliche Isolde. Vor allem im ersten Akt läuft die Finnin zur Hochform auf, singt ihre große Erzählung über die zurückliegenden Geschehnisse um ihren Verlobten, den ermordeten König Morold, ihre ersten Begegnungen mit Tristan, als sie ihn heilte, und ihren Zorn darüber, nun an König Marke verschachert zu werden, mit schlanker Stimmführung, honigfarbenem Timbre und Spitzentönen, die sie fulminant wie Leuchtraketen abfeuert. Im zweiten Aufzug lässt sie in den Liebesduetten schöne Kopftöne hören, das „Mild und leise, wie er lächelt“ den dritten durchlebt sie mit träumerischer Zartheit.
Da wird der Liebestod zum Liebestraum. Im Piano schenkt sie dem Publikum einige der besten Momente des Abends. Allerdings ging Nylunds Gesang im Duett mit der Mega-Stimme Schager manchmal etwas unter. Und sie muss auf ihr Vibrato aufpassen – das war in der Höhe oft zu viel des Guten. Applaus 6 von 10, ganz wenige Buhs.
Christa Mayer als Brangäne bekam einen Publikumsapplaus 8 von 10. Für meine Ohren wird sie von Jahr zu Jahr schlechter, pardon Madame. Ihr Dauer-Vibrato ist für Ohrenmenschen wirklich nicht mehr schön .
Eine glatte 1 für Günther Groissböck. Ganz gleich, was er singt – einen verzweifelten König Marke oder einen draufgängerisch-chauvinistischen Ochs: mir vermittelt sich seine volle Stimme immer rollengerecht, immer packt mich seine enorme Bühnenpräsenz. Oh, wie schön, man kann sogar sein Deutsch verstehen… (bei Schager und Nylund leider nicht in Reihe 26, Platz 9, links, Parkett). Groissböck berührt mit seiner männlich-warmen Stimme. Er ist ein nobler Ritter der Gesangskunst. Herrlich! Applaus 5 von 10.
Mein Lieblingssänger des Abends war Ólafur Sigurdarson als Kurwenal, Applaus 7 von 10. Weltklasse dieser Sigurdarson. Was dieser kleine Mann an Energie, an Hingabe, an Vielfalt in der Klanggebung, an vollkommener Professionalität darbot, war von einem anderen Stern. Sie sind Power pur und stemmen vom piano bis zum fortissimo alles in Perfektion. Sie kommen mitten aus dem Meer, aus Island. Dass Ihr für deutsche Verhältnisse kleines Volk (380.000 Einwohner) einen so herausragenden Bariton hervorbringt, ist beachtlich und beneidenswert. 2000 Menschen waren aus dem Häuschen im Festspielhaus. Applaus 7 von 10.
So geht Wagner!
Andreas Schmidt, 25. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
mit Dank an AutorInnen von klassik-begeistert.
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Thorleifur Örn Arnarsson : „Im «Parsifal», den ich kürzlich inszeniert habe, habe ich eine sehr spirituelle und auch eine sehr gesellschaftskritische Oper gesehen. Aber im «Tristan» geht es um eine tiefmenschliche Problematik. Das ist bestimmt der menschlichste aller Wagner-Stoffe.
Ich denke einfach nicht so viel darüber nach. Und nein, Angst habe ich keine, auch nicht vor Buhs. Wir versuchen, sehr nah am Text und der Musik, an den Emotionen im „Tristan“ zu arbeiten und ich hoffe, dass dies verstanden wird. Das Schlimmste wäre für mich Gleichgültigkeit. Aber ich mache keine Art von Theater, die von der Provokation lebt. Das wäre mir zu billig.“
Der isländische Regisseur Thorleifur Örn Arnarsson wurde 1978 in Reykjavik geboren. Er studierte von 2005 bis 2009 Regie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Danach war er Chefregisseur am Konstanzer Stadttheater und leitender Regisseur am Staatstheater Wiesbaden. Von 2019 bis 2021 war Arnarsson Schauspieldirektor an der Volksbühne Berlin.
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Inwieweit fließen bei Ihnen Erfahrung von eigenen großen Lieben in die Rolle ein?
Camilla Nylund: Darum geht es ja eigentlich im Leben eines Menschen: zu lieben. Es ist das schönste, wichtigste Gefühl, das wir Menschen empfinden. Es geht um die Liebe zu unseren Eltern, zu unseren Kindern. Es geht um die Liebe zwischen zwei Personen. Es gibt auch Schwesternliebe. Aber in diesem Stück geht es natürlich um die Liebe zwischen Mann und Frau. Um Verletztheit, um Rache. Auf der einen Seite zuzugeben: Ich liebe diesen Menschen so sehr, ich kann es nicht lassen. Und trotzdem zu merken: Ich kann mit diesem Menschen in dieser Welt nicht leben, weil die Konventionen es unmöglich machen. Ich muss mit ihm in eine andere Welt ziehen und in den Tod gehen.
Quelle: BR-Klassik
Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 3. August 2023
TRISTAN UND ISOLDE, Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 3. August 2023
Richard Wagner TRISTAN UND ISOLDE Bayerische Staatsoper, München, 6. April 2023
Lieber Herr Schmidt!
Eröffnet ist’s – klingt, wohl beabsichtigt, wie ozapft ist’s. Das mag aus Hamburger Sicht so aussehen, ist doch alles südlich der Harburger Berge mindestens Süddeutschland, wenn nicht gar Balkan. Aber aus fränkischer Sicht ist eine Gleichsetzung mit Bayern eine nur schwer gut zu machende Beleidigung. Merke: Bratwürschte sind keine Weißwürschte!!!
Ansonsten teile ich (vieles) aus Ihrer Besprechung.
Prof. Karl Rathgeber
Lieber Herr Prof. Rathgeber!
Ach, die sollen sich net in die Hose machen diese Franken, Nordbayern, oder wie immer man sie bezeichnen möchte. Europa ist es. Sollte zumindest bei allen mittlerweile so angekommen sein, außer sie hängen Gauland an den Lippen.
Deshalb zu wichtigerem: Buhs für Sänger – geht ja gar nicht. Schämen sollte man sich dafür im Publikum! Nicht nur Nylund dürfte diese „Ehre“ zuteilgeworden sein, auch Groissböck hatte einige im Publikum gegen sich.
Jürgen Pathy
Die deutschen Bundesländer sind künstliche Bundesländer. Denken wir nur an Nordrhein-Westfalen.
Lothar Schweitzer
Geehrter Herr Schmidt,
Was oder wer gibt Ihnen eigentlich das Recht, so despektierlich über die Hamburger Staatsoper, das Landestheater Detmold und das Staatstheater in Schwerin zu schwafeln?
Wenn hier etwas nach einer Tristesse riecht, dann sind es ihre unqualifizierten Bemerkungen.
K. Klapp-Miltrup
Lieber Herr Klapp-Miltrup,
ich denke, Sie haben mich missverstanden: Ich sagte, die „Provinztheater“ (das ist ein gängiger Ausdruck in Deutschland) würden den Tristan besser inszenieren als Bayreuth. Na, und in Hamburg habe ich den Niedergang des Hauses unter Georges Delnon und Kent Nagano miterleben müssen – die letzten 2 Jahre aber mit aufsteigender Tendenz. Zum Glück fängt jetzt ein neues Führungstrio an.
Nagano und Delnon sind Vergangenheit…
Herzlich
Andreas Schmidt
Bitte wo hatten Sie Ihre Ohren? Herr Groissböck klang furchtbar – ein Schatten seiner selbst, rau, angestrengt, vokale Verfärbungen – und er hatte einige leider wirklich berechtigte Buhs einzustecken – ich verstehe Ihre Kritik einfach nicht – oder wir haben es hier mit einer großen Symphonie für einen Bass zu tun – der dringend stimmtechnisch an sich arbeiten sollte. Viele Jahre auf der Bühne gebe ich ihm so nicht. Und was er da mit seinem Kiefer macht das KANN gar nicht gesund sein.
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Jahnke