Tristan und Isolde 2023 © Enrico Nawrath, Bayreuther Festspiele
Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 3. August 2023
Tristan und Isolde
Musik und Libretto von Richard Wagner
Auch Bayreuth darf mal einen schlechten Tag haben. Vier Stunden lang kämpft Tristan gegen die Mammutpartie, weder eine leicht zurückhaltende Isolde noch die leblose Inszenierung findet dazu einen Ausgleich. Gerettet wird der Abend durch vier bärenstarke Nebenrollen. Und durch einen phänomenalen Liebestod!
von Peter Walter
Von ganz hoch oben schweben sanfte Bläserklänge durch den Saal, dass einem die Tränen ins Gesicht fließen. So wunderbar sanft und klagend habe ich dieses Englischhorn-Solo noch nie gehört, auch hat es wohl noch nie so viel Applaus für die Bühnenmusik gegeben. Kleine Rolle, große Wirkung!
Das kann man wohl auch über Markus Eiches Kurwenal sagen. Seine vergleichsweise wenigen Worte strahlt er mit starker Stimmkraft durchs Haus, fast könnte man meinen, er wäre der Held dieser Handlung. Georg Zeppenfeld ist seit Jahren Stammbass auf dem Grünen Hügel, sein König Marke schreitet mit königlicher Stimme über die Bühne. Wie kein anderer herrscht er über sein Volk, Tristan kann sich ihm nur zu Füßen werfen, als sein König ihn mit seiner Geliebten erwischt.
Auch Christa Mayers Brangäne bietet ihrer Herrin mit einem vibratoreichen Mezzo ein intensives Stimmpolster. Völlig ergriffen und verzweifelt steht sie vor Isoldes Forderung, ihr den Todestrank zu brauen. Einzig dank Brangäne geht diese Oper über den 1. Aufzug hinaus, sie herrscht über die Handlung wie kaum eine andere. Wenig Einfluss hat da leider Siyabonga Maqungos Seemann, doch wird auch seine zutiefst melodische Stimme stark im Gedächtnis bleiben. Seine Lieder segeln mindestens so sanft über die Masten wie der frisch wehende Wind!
Nun habe ich bislang die wichtigsten neunzig Prozent der Oper – Tristan, Isolde, das Orchester und die Inszenierung – komplett ausgespart. Dafür gibt es auch Gründe. Clay Hilley als Tristan kämpft mit der Titelpartie von Anfang bis Ende. Ja, ein Tristan muss auch zum Kampf und Streite ziehen, und den fast einstündigen Soloauftritt im 3. Aufzug wird wohl kaum ein Tenor kampflos überstehen. Aber dieser Tristan ist von Anfang an kaputt, als hätte er schon zu Beginn sich der Monsterpartie ergeben und wüsste wenig gegen die eigentlich sehr sängerfreundliche Akustik zu bieten.
In Ordnung, ja. Aber in den Reihen von Siegfried Jerusalem, Robert Dean Smith und Stephen Gould – die bis auf einzelne Umbesetzungen alle Tristane an diesem Haus seit 1993 (!) gesungen haben – wirkt er eher als eine passable Übergangslösung. Sein Siegfried war toll, sein Tristan wird es hoffentlich auch noch. Nur sollte er dringend aufpassen, mit solchen Monsterpartien seine Stimme nicht zu überfordern… zahlreiche Sänger sind ihrem übereifrigen Start bereits zum Opfer gefallen.
Weit erfahrener tritt Catherine Foster als Isolde auf. Scheinbar muss sie mindestens einen Gang zurückschalten, um ihren Tristan nicht zu überfordern. Doch hatte sie sicherlich schon bessere Tage, so fällt sie heute leider durch ein intensives, leicht schrilles Vibrato auf, welches ihre Textverständlichkeit um ein gutes Stück verdeckt. Aber: Ihr Liebestod ist der absolute Hammer und gefüllt mit intensiven, hohen Emotionen! Da muss sie auch auf keinen kämpfenden Tristan Rücksicht nehmen… und für diesen Show-Stopper gibt es – zurecht – natürlich immer einen mächtigen Applaus-Bonus.
Viel Beifall gibt’s es auch für Markus Poschners Dirigat. Warum? Weil es Tristan ist. Den Sog dieses rauschhaften Vorspiels kann man ehrlich gesagt kaum weg dirigieren. Aber: Poschner holt aus der eigentlich sanften Intensität dieser Partitur viele kantige Klänge. Sorry, aber im Tristan gibt es nun mal keine Speer-Spitzen zu fürchten. Zu allem Überfluss droht der zweite Aufzug mehrmals auseinander zu fallen. Chor und Orchester halten sich trotzdem wacker. Naja, wenn’s den Leuten halt gefällt…
Bleibt noch die Inszenierung, eine wortwörtlich sehr spontane Corona-Notlösung. In vier Wochen von null zum Bau des Bühnenbilds, das war wohl ein Regie-Weltrekord von Roland Schwab. Dennoch: Viel Leben findet man in dieser Inszenierung nicht. Vier Stunden lang passiert einfach gar nichts, ein paar kreisende Leuchtstrahler blenden das Publikum vor einem flirrenden Schwimmbecken. Aber die Emotionen der beiden Liebenden scheint diese Inszenierung kaum zu kennen. Vielleicht hätte man ausnahmsweise mal lieber auf eine Koproduktion setzen sollen? Die Bayreuther Publikums-Rezeption eines Calixto Bieito-Tristans wäre sicher spannend gewesen. Nur so als Vorschlag, wer weiß, wann es mal wieder eine spontane Notlösungsproduktion braucht…
Tristan und Isolde ist eine Dreipersonenoper. Sie besteht im Wesentlichen aus Dirigat, Isolde und natürlich Tristan. Wenn alle drei schwächeln, ist das leider kein Erfolgsrezept für einen gelungen Tristan-Abend. Die leblose Inszenierung kann daran nichts ändern. In Ordnung, nicht mehr, nicht weniger.
Peter Walter, 4. August 2023 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
TRISTAN UND ISOLDE, Richard Wagner Bayreuther Festspiele, 3. August 2023
Richard Wagner, Tristan und Isolde Bayreuther Festspiele, 12. August 2022
Blu-ray Rezension: Richard Wagner Tristan und Isolde klassik-begeistert.de