Keri Alkema as Tosca and Alan Held as Scarpia. Photo by Scott Suchman
In unsrer Klassikwelt Nr. 40 „Der Reiz der Vielfalt der Stimmlagen“, die Sylvia und ich in Gemeinschaftsarbeit verfassten, schilderte ich diesen mir unvergesslichen Tosca-Besuch: „Im Lauf des ersten Akts trat ein dunkel gewandeter, nobel wirkender Herr auf. Seine dunkle Stimme, die zwischen Bass und Bariton klang, machte einen enormen Eindruck auf mich. Es handelte sich um Edmond Hurshell.“
von Lothar und Sylvia Schweitzer
Ein Jahr später wurde in Wien sein Sohn Michael geboren, heute Wahl-Dresdner, der eine erfolgreiche Dirigentenlaufbahn mit Lehrauftrag an der Hochschule für Musik Dresden einschlug. Er erfüllte seinen Traum und wurde Mitbegründer der Jüdischen Kammerphilharmonie dieser Stadt. Wir erfuhren, dass er von meinen Worten tief berührt wurde.
Von seinen Bösewichtern in „Hoffmanns Erzählungen“ schwer beeindruckt war der Wunsch groß ,Walter Berry auch in der Rolle des Scarpia zu erleben, was bald darauf geschah. Berry gestaltete die Rolle sehr dramatisch. Im Gedächtnis geblieben ist sein Te Deum mit zur Schau gestellter Frömmigkeit, indem er sich publikumswirksam auf beide Knie fallen ließ.
Es gab die Neugier, den verehrten „Rigoletto“ Aldo Protti in dieser ganz anders gearteten Rolle zu erleben. Protti war der erste echte Bariton italienischen Typs, während seine beiden Vorgänger Hurshell und Berry als Bassbaritone einzustufen waren. Trotz eines eindrucksvollen Te Deums blieb der Cremoneser weiter untrennbar mit dem Hofnarren, dem Jago oder dem René verbunden. Die Floria Tosca seiner Begierde sang übrigens die Wagner-Heroine Birgit Nilsson.
Aber auch der ideale Wotan und berührende König Marke, unser hochgeschätzter Hans Hotter, hinterließ nicht den erwarteten Eindruck bei seinem 33. Scarpia am 1. Juni 1968 in der Wiener Staatsoper.
Ganz im Gegenteil gefiel gerade der eher hellstimmige Bariton Juri Masurok, den wir bereits nach seinem Fürsten Jeletzki im Rahmen des Bolschoi-Gastspiels gerne im Ensemble der Wiener Staatsoper behalten hätten. Resümee des Abends: Ein fragwürdiger Charakter wurde nicht mit vordergründiger Gebärdensprache dargestellt, sondern blieb in nobler Haltung verborgen.
Tosca und Cavaradossi waren die auf der CD Ersichtlichen. Auch der Tenor Wladimir Atlantow wurde in Wien zum Publikumsliebling.
Es gibt Sänger*innen, die in kleineren Häusern besser aufgehoben sind und dort mehr Ausstrahlung besitzen. Wie viele schöne Abende genossen meine Frau und ich mit unsrem liebenswerten Bekannten Wicus Slabbert in der Wiener Volksoper. Pars pro toto wollen wir seinen Boris Godunow hervorheben. Wir wunderten uns, dass derselbe Künstler im größeren Haus am Ring als Polizeichef von Rom einen Misstrauen erweckenden, aber nicht auch stimmlich vorherrschenden Eindruck hinterließ.
Unseren nächsten Baron Scarpia nahmen wir einfach mit, weil wir Martina Serafin als Floria Tosca erleben wollten. Albert Dohmen an unsrem Haus sowohl als Wotan als auch als Hagen, als Holländer und Eremit, als Jochanaan und als Komtur bekannt betonte bewusst oder unbewusst den Bürokraten.
Nur zweimal war bis jetzt die Gelegenheit Kristīne Opolais, eine Tosca ohne Diva-Allüren, einfach als in den Maler Verliebte, an der Wiener Staatsoper zu erleben. Da haben wir einmal zugeschlagen.
Ihr Widerpart war auch wieder eine dunkle, schwertönende Stimme (griech. βαργς schwer, tief; τονος Klang) mit dem weniger bekannten und ungewöhnlichen Namen Marco Vratogna, der diese Partie zwischen 2007 und 2019 zwanzigmal in diesem Haus sang, doppelt so oft wie Amonasro, Gérard und Simon Boccanegra zusammen.
Lothar und Sylvia Schweitzer, 20. August 2024, für
klassik-begeisstert.de und klassik-begeistert.at
Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.
Lothar und Sylvia Schweitzer
Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“
Habe in Hamburg noch den tollen Tito Gobbi gehört.
Hartmut Funke