Foto: Daniel Dittus (c)
Laeiszhalle Hamburg, Kleiner Saal, 29. Juni 2018
Martha Argerich Festival
von Leonie Bünsch
„Emotionale Reflexionen“ wurde der fünfte Abend des Martha Argerich Festivals genannt – und die gab es an diesem Freitag im Kleinen Saal der Hamburger Laeiszhalle zu spüren. Die Pianistin Martha Argerich ist in diesen Tagen für eine ganze Konzert-Woche zu Gast in der Hansestadt und hat zu diesem Anlass zahlreiche Gaststars mitgebracht. Den Abend „Emotionale Reflexionen“ widmet sie der Kammermusik Prokofjews, Schostakowitschs, Kodálys und Rachmaninows, die in ihren Werken unterschiedliche Lebensereignisse und Empfindungen verarbeiten.
Der Abend beginnt mit Sergei Prokofjews Symphonie Nr. 1, der „Symphonie classique“, in einer Bearbeitung für 2 Klaviere. Die Pianisten Evgeni Bozhanov und Akane Sakai haben sichtlich Spaß an diesem Werk. Ihr Zusammenspiel ist perfekt aufeinander abgestimmt und wirkt wie ein Dialog. Man spürt, sieht und hört die Freude der beiden.
Prokofjew gab seiner verhältnismäßig kurzen Symphonie nicht ohne Grund den Beinamen „klassisch“. „Wenn Haydn noch lebte, dachte ich, würde er seine Art zu schreiben beibehalten und dabei einiges vom Neuen übernehmen. Solch eine Symphonie wollte ich schreiben.“ Diese Worte Prokofjews bewahrheiten sich in seiner Musik. Die Hommage an Joseph Haydn ist deutlich hörbar durch musikalische und stilistische Bezüge zur Klassik. Gleichzeitig kombinierte er diese Bezüge mit modernen und slawischen Elementen, die besonders in den von den beiden Pianisten so vorzüglich herausgearbeiteten Verzierungen zum Tragen kommen.
Nachdem der Applaus für Bozhanov und Sakai verklungen ist, hört man einen Zuhörer leise murmeln: „Das war wohl jetzt die Vorband…“ Ja, man kann (leider) den Eindruck gewinnen, ist der Applaus beim Auftreten der nächsten Künstler doch spürbar kräftiger – und das noch bevor sie gespielt haben. Dazu kommt, dass sich neben Martha Argerich, Alisa Weilerstein und Guy Braunstein noch ebenso viele Kameraleute auf der Bühne eingefunden haben, was den Eindruck noch verstärkt, dass der Konzertabend jetzt erst richtig losgeht.
Bevor die drei loslegen können, muss Guy Braunstein dann kurz noch einmal bei seinen Kollegen im Nebenraum für Ruhe sorgen, die sich offenbar etwas zu laut über den vorangegangenen Auftritt austauschten (die Wände sind dünn…). Dann spielen Argerich, Weilerstein und Braunstein das Klaviertrio Nr. 2 von Dmitri Schostakowitsch, welches dieser seinem gerade verstorbenen Freund widmete. „Wir werden ihn nie wieder sehen“, schreibt Schostakowitsch 1944. „Es fehlen die Worte, um den großen Schmerz auszudrücken, der mein ganzes Wesen quält.“ Diesen Schmerz drückt Schostakowitsch in Musik aus, und er ist bereits in den ersten drei Tönen hörbar.
Alisa Weilerstein setzt alleine mit ihrem Cello ein. Hart und rau klingen die Töne, einsam in einem scheinbar leeren Raum schwingend. Als Guy Braunstein mit seiner Geige dazu kommt, scheint es, als ob die beiden in eine zweisame Totenklage einstimmen würden. Sie transportieren den Schmerz so eindrücklich, dass man fast mitleidet.
Im Verlauf der vier Sätze demonstrieren die drei Künstler ihre volle spielerische Bandbreite: Da ist viel Gefühl – Wut und Schmerz, da sind aber auch freudige Momente, virtuose Passagen und Augenblicke, in denen man denkt, die Zeit stünde still. Die drei nehmen die Zuhörer mit, das ist zu spüren in diesem Kleinen Saal der Laeiszhalle, der beinahe bis auf den letzten Platz belegt ist. Auch das dynamische Spektrum beeindruckt. Besonders Weilerstein zögert nicht, die leisen Töne ganz ohne Vibrato im Raum stehen zu lassen. Dem gegenüber steht der Höhepunkt des vierten Satzes, bei dem man sich kurz fragt, weshalb man jemals ein volles Orchester brauchen würde, so gewaltig ist der Klang, der diesen Raum erfüllt.
Nach der Pause kehren Weilerstein und Braunstein zurück auf die Bühne mit dem Duo für Violine und Violoncello von Zoltán Kodály. In diesem 1914 komponierten Werk verarbeitet Kodály zeitgenössische Elemente ebenso wie ungarische Folklore.
Das Duo gibt Braunstein und Weilerstein noch einmal die Möglichkeit, ihr wahrlich beeindruckendes Spiel vorzuführen. Auch zwischen diesen beiden scheint die musikalische Chemie zu stimmen. Sie agieren miteinander, reagieren aufeinander, sprechen mit ihren Instrumenten die gleiche Sprache. Und gerade Weilerstein vermag es, mit einem einzigen Ton alles auszudrücken. Dieser eine Ton, der sich über die Tondauer hinweg entwickelt und verändert, in dem so viel Kraft und Ausdruck steckt, der zieht einen unweigerlich in seinen Bann. Nur die zahlreichen Dissonanzen mögen eine Herausforderung für den ein oder anderen Zuhörer sein. Beim Applaus bedankt sich Braunstein bei seiner Kollegin mit Kniefall und Handkuss – das Publikum ist entzückt.
Den letzten Programmpunkt des Abends stellen die Symphonischen Tänze von Sergei Rachmaninow dar, eines der anspruchsvollsten Orchesterwerke, aus dem der Komponist eigens eine Version für zwei Klaviere verfasst hat. Diese werden gespielt von Lim Dong-Hyek und dem Star des Abends – Martha Argerich. Und hier erleben wir sie gewissermaßen in voller Blüte. Das Stück bietet erneut eine Vielfalt emotionaler und musikalischer Elemente. Das Zusammenspiel der beiden ist so perfekt aufeinander abgestimmt, dass man zwischendurch kaum zu unterscheiden vermag, wer was spielt. Die ausgefeilte Anschlagtechnik beider ermöglicht sozusagen alles, was man aus einem Ton herausholen kann – von knüppelhart bis samtweich. Insbesondere im dritten Satz zeigt sich das virtuose Können, bei dem Lim Dong-Hyek dem Weltstar Martha Argerich in nichts nachsteht. Diese hat sichtlich Spaß an ihrem Spiel. Belohnt werden sie mit tosendem Applaus und Standing Ovations – völlig zu Recht!
Leonie Bünsch, 30. Juni 2018, für
klassik-begeistert.de