Die Opéra Royal in Lüttich eröffnet die Saison 2024/25 mit “La Traviata” von Giuseppe Verdi

Giuseppe Verdi, La Traviata  Opéra Royal de Wallonie-Liège, 17. September 2024

Traviata © J. Berger / ORW-Liège

Als erste Produktion der neuen Saison spielt die Lütticher Oper den Opernhit “La Traviata” von Giuseppe Verdi. Es ist das erste Mal, dass die erprobte Violetta-Interpretin Irina Lungu in Lüttich auftritt. Ihr zur Seite stehen mit Dmitry Korchak und Simone Piazzola zwei erfahrene internationale Sänger. Die musikalische Leitung liegt in den Händen des musikalischen Leiters des Hauses, Giampaolo Bisanti. Trotz aller guten Voraussetzungen lässt der Opernabend einige Wünsche offen.

Giuseppe Verdi
La Traviata

 Opéra Royal de Wallonie-Liège, 17. September 2024

von Jean-Nico Schambourg

Die Opéra Royal in Liège eröffnet die Saison 2024/25 mit der Oper “La Traviata” von Giuseppe Verdi. Um einer festlichen Saisoneröffnung gerecht zu werden, verlegt der Regisseur und Bühnenbildner Thaddeus Strassberger in ein Cabaret-Theater mit Logen, Spiegeln, großer Treppe und Bühne. Die Bourgeoisie, die sich hier zum Amüsement trifft, soll nicht nur aktiver Teil der Feste sein, die hier gefeiert werden, sondern auch gleichzeitig Zuschauer seines eigenen Spießbürgertums. Die intimeren Momente im ersten Akt spielen im Backstage des Theaters.

Die Kostüme (Giuseppe Palella) sind aufwendig: funkelnde Kleider mit viel Glitzer; die Schleife an Violettas Kleid bedeckt fast die halbe Bühne.

Violetta ist fast nie alleine auf der Bühne. Sogar in der Schlussszene des 1. Aktes, wenn sie über Alfredos Liebeserklärung nachsinnt, wird sie vom Baron Douphol, hier als Cabaret-Direktor mit Tendenz zum Zuhälter, beobachtet. Trotzdem zeigt sich hier eine Künstlerin/Frau, die verzweifelt versucht, ihrer Einsamkeit zu entfliehen. Dies gelingt ihr aber nicht. Nur einen kurzen Moment scheint sie in einem bürgerlichen Pavillonhaus den Fünfzigerjahren entstammend, ihr Glück mit Alfredo zu finden. Wenn sie am Ende der Szene ihren Geliebten verlässt, wird auch das Haus von Gerichtsvollziehern geleert. Im letzten Akt stirbt sie im inzwischen vergammelten Theater, das die Bühne ihres Lebens ist. Der Verlust von Liebe und Glamour beschleunigt das Ende ihres Lebens mehr als ihre Schwindsucht.

Apropos Schwindsucht: Mir scheint an diesem Abend wieder einmal, einige Zuschauer leiden mehr daran als Violetta, sodass man, dank des andauernden lauten Hustens denkt, die Handlung der Oper wäre im Schlussakt in ein Sanatorium verlegt!

Vor dem Vorspiel wird ein kurzes Ballett aufgeführt als Referenz an die Uraufführung 1853 in Venedig, wo auch ein Ballett der Oper voranging. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass dies auf Wunsch von Verdi geschah! Auch nach dieser Aufführung in Lüttich bleibt die Feststellung: Absolut unnötig! Der Regisseur hat dabei auch noch die gute Idee, den Vorhang nicht vollständig zu öffnen, sodass die seitlich sitzenden Zuschauer, so wie ich, nur den vorderen Teil der Bühne einsehen können. Somit gebe ich hierzu keinen zusätzlichen Kommentar ab.

© J. Berger/ORW Liège

Irina Lungu als Violetta braucht einige Zeit, um in der Oper anzukommen. Soll sie szenisch zuerst eine distanzierte Haltung gegenüber Alfredo einnehmen, so tut sie dies aber leider auch musikalisch und kommt akustisch anfangs nicht allzu gut über die Rampe. Ihre große Arie am Ende des ersten Aktes singt sie zuverlässig, aber ohne große Inspiration. Die hohe Schlussnote wird als einzelner Ton mehr herausgeschrien als gesungen. Im zweiten Akt taut sie im Duett mit Giorgio Germont, gesungen von Simone Piazzola, auf. Das Duett “Dite alla giovine” gehört zu den besten Momenten des Abends, da es beiden Künstlern wunderbar gelingt, dem Publikum ihre Emotionen gesanglich zu vermitteln. Im letzten Akt singt sie ihre Partie mit sicherer Stimme. Hier gelingen ihr schöne Piano-Passagen.

Dmitry Korchak als Alfredo kommt von Anfang an besser über die Rampe als seine Partnerin, vielleicht auch, weil der Regisseur ihn meistens dorthin verbannt hat. Seine Rolle singt er mit sicherer Stimme. Vielleicht besitzt diese nicht die allerschönste Klangqualität, aber das wird weitgehend ausgeglichen durch das Bemühen des Sängers, viele Nuancen und Farben in seinen Vortrag einfließen zu lassen. Unverständlicherweise erntet er nach seiner sehr feinfühlig vorgetragenen Arie “De’ miei bollenti spiriti” nur braven Applaus. Seine nachfolgende Cabaletta, die er mit sicherem Spitzenton krönt, lässt dann aber die Hohe-Töne-Fetischisten im Publikum aufwachen und ihn mit begeisterndem Applaus von der Bühne gehen.

Simone Piazzola ist ein sensibler Germont-Vater, der mit sicher geführten Baritonstimme und guten Spitzentönen bei seiner Arie punkten kann.

Alle Nebenrollen sind dem guten Gesamtniveau der Lütticher Oper angepasst. Chor und Orchester unter der Leitung von Giampaolo Bisanti musizieren ebenfalls auf gutem Level, auch wenn sie mir an früheren Abenden schon besser gefielen. Einige Uneinigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben müssen allerdings erwähnt werden.

Vielleicht liegt es ja an mir, dass ich die große Begeisterung eines Teils des Publikums beim Schlussapplaus nicht verstehen kann. Bei “Traviata” will ich musikalisch aufgewühlt und an den Rand der Tränen geführt werden. Die Musik muss schwelgen, sodass ich mich auf die Zunge beißen muss, um nicht mitzusingen. Dieses Gefühl kam bei mir an diesem Abend, außer bei dem vorher schon erwähnten Duett Violetta-Germont im zweiten Akt, kaum auf. Der ganze Abend war professionell dargebracht, ließ mich aber kalt.

Sinnbildlich für den Abend der Schluss des Balles bei Flora: nach dem großen Ensemble-Concertante, geht Violetta enttäuscht, aber seelenruhig die Theatertreppe hinauf nach dem Motto:  The show must go on!

Jean-Nico Schambourg, 18. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Vincenzo Bellini, I Capuleti e i Montecchi Opéra Royal de Wallonie-Liège, 20. Mai 2024

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