Schweitzers Klassikwelt 125: Wenn wir von Sängerinnen und Sängern, die wir gehört haben, nur mehr lesen können...

Schweitzers Klassikwelt 125: Wenn wir von Sängerinnen und Sängern …nur mehr lesen können  klassik-begeistert.de, 15. Oktober 2024

Marina Rebeka  © Tatyana Vlasova

…dafür aber sensationell Gutes, ist das erfreulich.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Gespannt waren wir, als auf der Bühne am Ring die Tür zum Mansardenzimmer aufging und Marina Rebeka als Mimì erschien. Es ist reizvoll, in dieser Rolle einer noch unbekannten, jungen Sängerin zu begegnen. Doch die Emotionen des Dichters auf der Bühne blieben bei uns auf der Galerie aus.

Dreieinhalb Jahre später schreibt Kollegin Eva Pleus über „Thaïs“ am Teatro alla Scala Milano, dass Rebekas glanzvolle Erscheinung für die Wandlung von der Sünderin zur Heiligen prädestiniert und sie auch gesanglich glaubhaft ist. Ein Jahr darauf schwärmt Kollege Gerhard Hoffmann anlässlich einer Aufführung an der Staatsoper Berlin von einer „Aida zum Niederknien“, von einer „Sopranstimme der Sonderklasse“, von „Höhenschwüngen in purem Edelmetall“. Und das Finalduett produzierte „unbeschreiblich-nachdrückliche Erlebnistiefen“.

 

Deborah Humble © Deborah Humble

Es war das erste Mal, dass wir für Amneris dank ihrer Stimme eine besondere Sympathie entwickelten. Das ereignete sich nach Abschluss einer wunderschönen Südseereise im Jahr 2013 in Melbourne. Nicht nur mehr Vogelgesang in den Baumkronen. Von der Saison 2023/24 lesen wir vom welterfahrenen Kollegen Klaus Billand über einen Ring-Zyklus in Brisbane Näheres. Der Mezzo Deborah Humbles als Göttergattin Fricka wird in „Das Rheingold“ als ausdrucksvoll und wortdeutlich charakterisiert und in „Die Walküre“ mit dem Eigenschaftswort „kultiviert“ versehen. In der Waltraute-Szene der „Götterdämmerung“ erfahren wir von einem klangvollen Mezzo. In der Rolle der Fricka wird ihre eindrucksvolle Gestik und in der Rolle der Waltraute ihre enorme spielerische Intensität gelobt.

Igor Golovatenko © YouTube

Nur einmal im Herbst 2020 haben wir den russischen Bariton Igor Golovatenko mit ukrainischen Familiennamen live als Marquis de Posa in der französischen Fassung „Don Carlos“  kennen gelernt. Es war etwas ungewöhnlich. Wir vermissten das Feinsinnige als Freund der beiden Rivalen Vater und Sohn. Mächtigkeit und Durchschlagskraft waren die Merkmale.

Durch die tenoralen Eigenheiten von Jonas Kaufmann bekam das berühmte Duett einen neuen, aber interessanten Klang. Auf seinen „Vater Germont“ wären wir neugierig gewesen, verpassten jedoch den einmaligen Auftritt. Mit einer Weltkarriere unterwegs trat er in weiteren Verdi-Partien bei uns erst in diesem Jahr wieder auf.  Susanne Wismühler-Glattauer lobt im „neuen Merker“ bei „I vespri siciliani“ seinen wohlklingenden, raumfüllenden Kavaliersbariton, nach ihrem Geschmack mit zu viel Metall unterlegt, und seine Legatokultur. Traude Steinhauser war neun Tage später von der Schönheit seines Baritons, aber weniger von der Subtilität seiner musikalischen Interpretation beeindruckt. Nach Johann Schwarz errang er als Jago am 16. Mai den größten Publikumserfolg. „Ausdrucksstark schmeichelt seine Stimme, ist aber in der Lage, in Sekundenschnelle in gefährliche Fortetöne auszubrechen, die erschauern lassen.“

Noa Beinart © Julian Baumann

Noa Beinart ist ein echter Alt und ist berufen für Partien wie die Maddalena (Rigoletto), die Gaea (Daphne), die Erda (Das Rheingold, Siegfried). Erst seit 2020/2021 Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper können wir frei nach dem vierten „Lied eines fahrenden Gesellen“ zitieren: „Sie ist ausgegangen (nach kurzer Zeit)… hat ihr niemand Ade gesagt…“ Sie sang an namhaften Opernhäusern. Vor Kurzem erhielten wir durch den Wagner-Experten Klaus Billand die Nachricht von einem „Götterdämmerung“-Abend an der Finnischen Nationaloper Helsinki und ihrer sehr guten Ersten Norn.

Andrea Carroll Foto: Wiener Staatsoper

Traurig stimmten uns die Zeilen von Eva Pleus über Andrea Carrolls „Norina“ in „Don Pasquale“ im Mai dieses Jahres an der Scala di Milano. Sie vermochte sich gemeinsam mit ihrem Partner im großen Saal mit seiner nicht immer glücklichen Akustik nur teilweise durchsetzen. Konnte sie ihren Arien noch Nachdruck verleihen, so ging sie in den Ensembles gnadenlos unter.

In der Wiener Staatsoper avancierte sie vom Sand- und Taumännchen zur Gretel in Humperdincks Märchenoper. In einer sehr gut besetzten „Don Giovanni“-Aufführung gewann sie als Zerlina den stärksten Beifall für sich und auch als Pamina wusste sie uns zu bezaubern. In der Uraufführung von Johannes Maria Stauds „Die Weiden“ an der Wiener Staatsoper waren wir Zeugen ihres Beitrags zum Erfolg dieses Stücks. Weit reisend sang sie laut Spielplanarchiv der Wiener Staatsoper seit dem Jahr 2021 nur mehr zweimal Donizettis Norina und einmal seine Adina. Würdest Du doch in Deiner früheren Heimat mehr singen!

Lothar und Sylvia Schweitzer, 15. Oktober 2024,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

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