Tosca geht immer – zumindest in einer neoklassischen Inszenierung

Giacomo Puccini, Tosca  Staatsoper Hamburg, 13. Oktober 2024

Grzegorz Pelutis (Sagrestano), Ambrogio Maestri (Scarpia), Giampaolo Bisanti (musikalische Leitung), Carmen Giannattasio (Floria Tosca), Young Woo Kim (Mario Cavaradossi), Peter Galliard (Spoletta), Keith Klein (Sciarrone) (Foto: RW)

Vor allem ist das Orchester zu loben, welches unter der Leitung von Giampaolo Bisanti zu großer Form auflief. Selbst die häufig etwas langatmig lange Einleitung zum dritten Akt nahm diesmal gefangen. Man schien mehr geprobt zu haben als vor der Carmen-Serie. Das betrifft auch den überzeugenden Auftritt des Chores beim den ersten Akt abschließenden Tedeum.

Tosca
Melodramma in drei Akten
Musik von Giacomo Puccini

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, musikalische Leitung Giampaolo Bisanti

Inszenierung: Robert Carsen, Bühnenbild und Kostüme: Anthony Ward

Staatsoper Hamburg, 13. Oktober 2024
110. Vorstellung seit der Premiere am 15. Oktober 2010


von Dr. Ralf Wegner

Tosca geht immer, zumindest in der diskret dem Libretto angepassten Inszenierung von Robert Carsen. Auch nicht sehr mit Proben befasste Protagonisten reüssieren, denn welche gestandene Sängerin kann sich nicht in die eifersüchtige Floria Tosca oder welcher Schmelztenor nicht in den des edlen Helden Cavaradossi hineinversetzen? Bei der gerade auslaufenden Carmen-Serie von Herbert Fritsch war das noch anders. Nicht nur die opulent-farbige Bühnendekoration, sondern auch die Interpretation mit einer empathischen Carmen und einem eher tumben José erfordert doch eine intensivere Vorbereitung der Sänger.
Das gelang, zumindest bei der von mir gesehenen Wiederaufnahme von Bizets Oper, trotz vom Namen her ansprechender Besetzung, überhaupt nicht. Carmen und José stolperten geradezu in eine anspruchsvolle Inszenierung hinein und erwiesen sich als überfordert.

Das ist bei dieser Tosca nicht so. Das Bühnenbild zeigt im ersten Akt den Eckraum einer mächtigen Kirche mit zwei wuchtigen kannelierten Säulen, links an der rohen Backsteinwand das zu malende Madonnenbild und rechts hinten einen Theatervorhang, der sich am Ende des Tedeums öffnet und kurzzeitig den Blick auf ein monumentales Marienspektakel frei gibt.

Der Raum bleibt im zweiten und dritten Akt derselbe, wird allerdings nach hinten von einer profanen Zwischenwand abgeschlossen. Offenbar liegt dieses Arbeitszimmer Scarpias neben der Kirche, denn durch eine im Hintergrund offene Tür ist Toscas Cavatine zu vernehmen. Im dritten Akt fehlt die Zwischenwand, die Bühne ist leer, der Hintergrund verdunkelt. Wir befinden uns wohl auf dem Dach des Hauses. Man kann aber als Zuschauer auch ungezwungen die römische Basilika Sant’Andrea della Valle, Palazzo Farnese und das Dach der Engelsburg imaginieren. Von daher haben es mit den Rollen vertraute Protagonisten leicht, sich in das Geschehen einzufinden und in die Rollen der eifersüchtigen Geliebten, des heldenhaften Revolutionärs und des genusssüchtigen Machtmenschen hinzuschlüpfen.

Und das gelang auch bei der Besetzung mit Carmen Giannattasio als Floria Tosca, mit Young Woo Kim als Mario Cavaradossi und mit Ambrogio Maestri als Baron Scarpia. Die weiteren Rollen spielen in dem Puccini-Werk allenfalls Handlangerdienste. Man würde ihnen selbst Krächzen verzeihen, wenn sie gut spielen. So überzeugte Peter Galliard spielerisch vollkommen in der Rolle des sadistischen Spoletta. Grzegorz Pelutis machte mit kräftigem Bariton als Sagrestano auf sich aufmerksam.

Die aktuell vorwiegend im Spintobereich eingesetzte italienische Sopranistin Carmen Giannattasio hatten wir bereits 2019 als großartige Amelia im Maskenball erleben dürfen. Sie überzeugte stimmlich und darstellerisch auch als Floria Tosca, sowohl in den lyrischen als auch dramatischen Passagen. Ihr Timbre ist schwer zu fassen, ich empfand es als in der Farbe Tiefblau changierend, ließ mich vielleicht aber auch durch ihre blaue Robe beeinflussen. Giannattasio führte ihre Stimme bruchlos durch alle Lagen und blieb im Forte schönstimmig und ohne jede Schärfe, aber auch ohne wesentliche Farbmodulation. Für die innig gesungen Arie im zweiten Akt Vissi d’arte erhielt sie viel Zwischenbeifall.

Als Cavaradossi trat der südkoreanische Tenor Young Woo Kim auf. Was für eine Stimme, schon in der Eingangsarie Recondita armonia überzeugte er mit Farbreichtum, Stimmschmelz, Sinnlichkeit und lang gehaltenen Tönen. Irritierende schluchzerartige Trübungen der Tonsetzung konnte er völlig vermeiden. Und seine Vittoria-Rufe im zweiten Akt gingen unter die Haut.

Im dritten Akt hatte ich bei seinem Spiel zum ersten Mal den Eindruck, dass sich Cavaradossi, nach kurzem Aufflackern der Hoffnung, des nahen Todes gewiss wird. Wenngleich die Verlockung durch den Passierscheins groß ist, misstraut er der Symbolik der Hinrichtung à la Palmieri und schließt innerlich mit dem Leben ab. Für ihn ist Floria bereits der Engel, den er dereinst im Himmel wieder begegnen wird. Eine sowohl gesanglich als auch darstellerisch schöne Leistung.

Carmen Giannattasio, Young Woo Kim, Ambrogio Maestri (Foto: RW)

Vor allem ist auch das Orchester zu loben, welches unter der Leitung von Giampaolo Bisanti zu großer Form auflief. Selbst die häufig etwas langatmig lange Einleitung zum dritten Akt nahm diesmal gefangen. Man schien mehr geprobt zu haben als vor der Carmen-Serie. Das betrifft auch den überzeugenden Auftritt des Chores beim den ersten Akt abschließenden Tedeum.

Leider wurde Ambrogio Maestri dabei, im Wortsinne, überstimmt, so dass man ihn am Ende kaum noch hören konnte. Ob das an mangelnder Strahlkraft der Stimme liegt, die er allerdings bei den tonalen Ausbrüchen im zweiten Akt zeigte, oder an der sich mit dem Chor und dem Orchester verschmelzenden Stimmfarbe, vermag ich nicht hinreichend zu beurteilen. Jedenfalls waren andere Sänger des Scarpia wie der hier zuletzt gehörte Franco Vassallo deutlich besser zu vernehmen. Dennoch agierte und sang Maestri überzeugend. Vielleicht auch zu schön, mit nur wenig Biss für den sich der Lust hingebenden, bösen Charakter des Barons Scarpia.

Es handelte sich um eine Nachmittagsvorstellung mit einem Publikum, welches am Ende noch schnell zum Abendessen zu Hause sein wollte. Der Beifall war daher nicht so rauschend und lang wie sonst, aber dennoch angemessen. Denn selbst nach Cavaradossis Eingangsarie gab es, was häufig unterbleibt, Zwischenbeifall und nach Toscas großer Arie im zweiten Akt und Cavaradossis Schlussgesang E lucevan le stelle sowieso. Weitere Aufführungen in dieser Besetzung: 15. und 19.10.2024.

Dr. Ralf Wegner, 15. Oktober 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeiestert.at

Giacomo Puccini, Tosca Staatsoper Hamburg, italienische Opernwochen, 21. März 2024

Giacomo Puccini, Tosca Staatsoper Hamburg, 5. November 2023

Giacomo Puccini, Tosca Staatsoper Hamburg, 5. November 2023

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert