ÜBER.LEBEN © Mekky
Die beeindruckende Aufführung geht nach einer Stunde dem Ende zu, die Bühne versinkt im Dunkeln, die Musik erstirbt. Dann brandet langer begeisterter Beifall auf: Die Botschaft ist offensichtlich angekommen.
ÜBER.LEBEN – ein Community Dance Projekt von DE LooPERS-dance2gether e.V.
Julio Fernández Dirigent
Wilfried van Poppel & Amaya Lubeigt Choreografie
IntoNation Chor der Hochschule Bremen
Kammerensemble Konsonanz
Theater Bremen, 22. Februar 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Leben ist Bewegung. Und die Welt ist Klang. Diese beiden Aussagen könnten wohl herhalten als Grundgedanken für das Community Dance Projekt „ÜBER.LEBEN“, das von DE LooPERS-dance2gether e.V. im Theater Bremen aufgeführt wurde.
Über Leben? Oder überleben? Durch die doppeldeutige Schreibweise wird bereits die Größe der Thematik verdeutlicht: Es geht um das Leben allgemein, vorrangig um das Leben des Menschen, das Überleben einer Menschheit, die unmittelbar Teil einer bedrohten oder gar bereits zerstörten Natur ist.
Zu Beginn der Aufführung bewegt sich eine einsame Tänzerin auf der stark abgedunkelten Bühne. Ganz für sich ist sie, entrückt, minutenlang vertieft in einen lautlosen Ausdruckstanz, der von den Zuschauern gebannt verfolgt wird. Einzelne Tanzende kommen von der Seite, kreuzen die Bühne, werden mehr und mehr, gruppieren sich in steter Bewegung, dieweil über allem ein zunehmend deutlicher vernehmbares, rhythmisch pulsierendes Atemgeräusch zu hören ist.
Gewollte Uneinheitlichkeit
Die einsetzenden Klänge des Orchesters, dazu der Silbengesang des Chores erfolgen straff, passend zu den mitunter wie mechanisch anmutenden Gesten und Schritten der Tänzer. Ihre Bewegungen folgen einem großen Gesamtmuster, sind aber nicht streng synchron; auch wenn die Kostümierung einigermaßen einheitlich ist, tritt jede Person als Individuum auf hinsichtlich Alter, Geschlecht, Hautfarbe, Größe und Körperbau. Und sogar, was die tänzerischen Fähigkeiten anbetrifft. Denn prinzipiell darf jeder mitmachen, der bereit ist, sich mit seinen Fähigkeiten in die Gruppe einzufügen. Dies ist erklärte Absicht seitens DE LooPers, und genau diese fehlende Perfektion, diese alles andere als zinnsoldaten-ähnliche Darstellung und Uneinheitlichkeit ist es auch, die den besonderen Reiz der Aufführung ausmacht. Damit kann sich jeder Zuschauer problemlos identifizieren.

Etwa 60 Tänzerinnen und Tänzer sind es, die diese Performance einstudiert haben. Was sie alle eint, ist die Begeisterung am Körpereinsatz und der Feuereifer, mit dem sie sich sichtbar einbringen. Nahezu unablässig sind sie in Bewegung, als Kleingruppe oder einzeln, formen Kreise, wirbeln herum, verdichten sich zu einem großen Pulk, folgen mit Gesten und Gebärden vorgegebenen Strukturen. Das ist wahrhaft pulsierendes Leben.
Die Musik untermalt die vielfältigen Tanzaktionen mit teils atmosphärisch schwebenden, teils düsteren, fast schon archaisch wirkenden Klängen und Geräuschen. Der Chorgesang beschränkt sich häufig auf Silben und Summen, dann wieder sind lateinische oder englische Wortfetzen erkennbar, wie Requiem, Pie Jesu, Blow the Wind etc. Einiges davon erinnert frappant an Gesänge aus Carl Orffs „Carmina Burana“. Die durch Chor, Orchester und Tanzgruppe intonierten Rhythmen und Klänge vermitteln intensive Stimmungen und Emotionen, die unter die Haut gehen.
Mit passenden, recht gut erkennbaren Gesten wird beispielsweise das Wachstum von Pflanzen und landschaftliches Arbeiten in stilisierter Form nachvollzogen, um damit die Lebensgrundlage der Menschheit zu verdeutlichen.

Gestörte Idylle und Ausnahmezustand
Doch die vermeintliche Idylle scheint plötzlich gestört, die Musik wird rauer, dissonanter zu hart pulsierenden Kontrabasstönen, die Bewegungen der immer wieder wie erschrocken zurückweichenden Tänzerinnen und Tänzer werden abrupter, spastischer; ihre Mienen deuten gleichermaßen Ängste wie Sehnsüchte nach einer heilen Welt an: Es ist eine Art Ausnahmezustand, der die Zerstörung der Natur und die Bedrohung allen Lebens charakterisiert.
Doch irgendwann finden sich Paare in gegenseitigem Trost. Und schließlich wird wieder, so wie eingangs, der sanfte, beruhigende Lebensatem wahrnehmbar. Sind Welt, Natur und Menschheit jetzt wieder im Lot?
Nicht alles von dem, was in dieser Performance thematisiert wird, ist vom Zuschauer tatsächlich unmittelbar zu entschlüsseln und nachvollziehbar, aber die grundlegende Zielrichtung lässt sich recht gut erkennen. Der Schluss lässt auch einiges offen: Glückliches Ende? Oder doch nur eine Atempause und die Aufforderung zu größeren Anstrengungen, um als Mensch, besser noch: als gesamte Menschheit nicht gegen, sondern mit der Natur gemeinsam zu agieren – und so zu ÜBER.LEBEN.
Die beeindruckende Aufführung geht nach einer Stunde dem Ende zu, die Bühne versinkt im Dunkeln, die Musik erstirbt. Dann brandet langer begeisterter Beifall auf: Die Botschaft ist offensichtlich angekommen.
Dr. Gerd Klingeberg, 23. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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