CD-Besprechung:
Johann Adolf Hasse
Serpentes ignei in deserto
Les Accents
Thibault Noally Geige und Dirigat
Erato 5021732399045
von Peter Sommeregger
Dieses geistliche Oratorium Johann Adolf Hasses entstand in Venedig, und wurde dort um 1740 uraufgeführt. Es behandelt thematisch die „feurigen Schlangen“ mit denen das Volk Israel bei seinem Marsch durch die Wüste von Gott geprüft wurde.
Ursprünglich war das Werk für verschiedene Stimmtypen vorgesehen, für die aktuelle Einspielung wählte man vier Countertenöre, einen Sopranisten und einen weiblichen Sopran. Es ist ein eindrucksvoller Beweis für die Entwicklung des Stimmfaches Countertenor während der letzten Jahrzehnte. Das individuelle Timbre, die Phrasierungskunst der Sänger hat heute eine Qualität erreicht, die von der Virtuosität der einstigen Kastraten wohl nicht mehr weit entfernt ist. Diese Tatsache hat der Klassikszene die Wiederentdeckung und Neugewinnung eines lange in den Archiven verstaubten Repertoires ermöglicht.
Für die Besetzung der Aufnahme gelang es, gleich vier der prominentesten Counter zu gewinnen. Jakub Józef Orliński, Carlo Vistoli und David Hansen führen in eindrucksvoller Weise die unglaubliche Bandbreite vor, die Vertretern dieser Stimmlage zur Verfügung stehen.
Jedes Timbre ist individualisiert, die Unterscheidung der Stimmen gelingt mühelos. Nicht gut beraten war der „Altmeister“ Philippe Jaroussky, sich freiwillig der Konkurrenz mit diesen, schon zu einer anderen Generation gehörenden Stimmen auszusetzen. Seine einst frische, agile Stimme ist matt und stumpf geworden, sein Moyses ist die schwächste Leistung des ganzen Ensembles. Bruno de Sá setzt mit seinem klaren Sopran ein Gegengewicht zu den Countertenören, Julia Lezhnevas virtuose Stimmführung als Angelus setzt noch einmal ein besonderes Ausrufungszeichen.
Hasse wusste, wie man für virtuose Stimmen komponiert, seine glückliche Ehe mit der Primadonna Faustina Bordoni, für die er zahlreiche Werke schrieb, war mit Sicherheit seinem Gespür für Stimmen dienlich. Tatsächlich sind auch diese „Serpentes“ ein wunderbares Vehikel für die Entfaltung hoher Gesangskultur.
Der Geiger und Dirigent Thibault Noally schafft mit dem von ihm wiederbelebten Ensemble Les Accents eine sichere Basis für die außerordentlichen Gesangsleistungen.
Man wird Ohrenzeuge eines friedlichen Sängerwettstreites, bei dem sich die einzelnen Solisten förmlich überbieten, und dabei ihre jeweilige individuelle Note in die Interpretation einbringen. Die Einzelleistungen bündeln sich zu einem fulminanten Ergebnis, das dieses fast vergessene Oratorium zu einer aufregenden Entdeckung macht. Eine ansprechende, fast luxuriöse optische Gestaltung des Doppelalbums rundet den positiven Gesamteindruck ab.
Peter Sommeregger, 13. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at