Mahlers „Symphonie der Tausend“ begeistert in Bremen mit klangvollen Szenarien

Gustav Mahler, Symphonie Nr. 8 / Bremer Jubiläumsaufführung  Bremer Konzerthaus  Die Glocke, 23. Juni 2025

Bremer Philharmoniker in der Glocke © Caspar Nessler

Um Mahlers „Symphonie der Tausend“ spektakulär zu inszenieren, genügen weniger als tausend engagierte Mitwirkende

12. Philharmonisches Konzert: „Symphonisches Feuerwerk“

Gustav Mahler   Symphonie Nr. 8 Es-Dur „Symphonie der Tausend“

Jacquelin Wagner, Sarah-Jane Brandon, Sarah Aristidou: Sopran
Jennifer Johnston, Natalie Lewis: Alt
Benjamin Bruns: Tenor
Birger Radde: Bariton
Albert Dohmen: Bass

Lettischer Staatschor Latvija (Einstudierung: Máris Sirmais)
Opernchor des Theaters Bremen (Einstudierung: Karl Bernewitz)
Knabenchor Unser Lieben Frauen Bremen (Einstudierung: Ulrich Kaiser)

Marko Letonja Dirigent
Die Bremer Philharmoniker

Bremer Konzerthaus  Die Glocke, 23. Juni 2025

von Dr. Gerd Klingeberg

Es würde wohl ziemlich laut werden, wurde im Vorfeld wiederholt gemutmaßt. Allein die minutenlange Aufstellung der drei Chöre und der mit mehr als 100 Instrumentalisten sehr groß besetzten Bremer Philharmoniker schien dies zu bestätigen. Aber was die Zuhörer im ausverkauften Großen Glockensaal tatsächlich erlebten, sprengte dann deutlich über die Maßen hinausgehend das, was üblicherweise den Lautpegel klassischer Musik ausmacht.

Zum Ende der 200. Spielzeit der Bremer Philharmoniker sollte und durfte halt nicht gekleckert, sondern mit einem „Symphonischen Feuerwerk“ richtig geklotzt werden. Und so hatte man sich entschieden für eine Bremer Erstaufführung von Gustav Mahlers Symphonie Nr. 8, besser bekannt als „Symphonie der Tausend“, wohl wissend, dass dies trotz deutlich weniger als tausend Ausführenden (wie derzeit bei der Uraufführung) eine immense logistische und organisatorische Herausforderung sein würde. Die indes exzellent gemeistert wurde, etwa mit einer Positionierung der Chöre, die neben der Bühne auch die Orgelbalustrade und Teile der vorderen Balkone mit einbezog und damit für ein außerordentlich breites räumliches Klangbild sorgte.

Ohrenbetäubendes Eingangs-Tutti

Als wahrhaft überwältigendes Spektakulum faszinierte eingangs der gigantische, von einem fülligen Orgelakkord eingeleitete „Veni, Creator Spiritus“-Ruf, ein markerschütterndes, ohrenbetäubendes Tutti aus dutzenden Kehlen und extrem fortissimo aufspielendem Orchester.

Sei’s drum, dass trotz sauberer Artikulation der Text nur bruchstückhaft zu verfolgen war: Der überwältigende, alle Dimensionen sprengende Gesamtklang schien geradezu wie vereinnahmend alles andere auszublenden. Sicher und souverän führte Chefdirigent Marko Letonja das große Ensemble durchs Geschehen.

Marko Letonja, Generalmusikdirektior Bremer Philharmoniker, Bremen, 2023.08.31 © Caspar Sessler

Es mochte zunächst zwar beinahe den Anschein haben, hier solle vorrangig mit maximalen Dezibelwerten überzeugen. Doch immer wieder setzte Letonja deutliche Akzente, erhöhte oder reduzierte den nachvollziehbar am Text orientierten Spannungsbogen durch kontrolliert variierende dynamische Intensität.

Das Zusammenspiel der drei Chöre und der durchweg ungemein stimmstarken Solistenriege mit dem großen Instrumentalensemble geriet ausnehmend gut ausbalanciert, auch wenn sich kompositionsbedingt kaum Möglichkeiten für feinere Nuancierungen ergaben. Dass das Lautstärke-Potenzial nach dem tosend donnernden Eingangspart noch immer nicht ausgereizt war, verdeutlichte die mit Strahlglanz und größter Emphase dargebotene Coda von Teil 1 mit einem überbordenden „Gloria Patri“.

Beeindruckend klangvolle Szenerien

Umso markanter wirkte der Kontrast zum kammermusikalisch zarten, von feinen Naturlauten geprägten Beginn von Teil 2, einer Vertonung der Schlussszene aus Goethes Faust II –  wohltuender Balsam für die Ohren, auch wenn der nächste dynamische Ausbruch nicht allzu lange auf sich warten ließ. Aber jetzt ergab sich die Möglichkeit, zumindest in einigen Abschnitten die einzelnen Chöre, die Solistenstimmen und wunderschön ausgestaltete solistische Instrumentalpartien differenzierter wahrzunehmen.

Foto © Frenz Jordt

Als nahezu unmöglich erwies es sich angesichts der unendlichen Vielfalt akustischer Impressionen, auch noch den ohnehin schwer verständlichen, da reichlich antiquiert anmutenden Goethe-Text zu verfolgen, zumal Mahler gelegentlich sogar zwei Chöre (mit unterschiedlichen Texten) gleichzeitig singen lässt. Die dramaturgisch auf viel Theatralik setzende Ausführung vermittelte dennoch nachhaltig die zugrunde liegenden irdischen und überirdisch mystischen Szenerien und nahm die Zuhörenden vollends in ihren Bann.

Foto © Frenz Jordt

Beeindruckend intonierten die hellen Stimmen des Knabenchores Unser Lieben Frauen den „Chor seliger Knaben“. Die Solisten brillierten stimmgewaltig und mit sonorem Timbre als Pater Ecstaticus (Bariton Birger Radde), als Pater Profundus (Bassist Albert Dohmen) und als Doktor Marianus (Tenor Benjamin Bruns). Gleichermaßen imponierten einzeln oder gemeinsam („Zu Drei“) die allesamt durchsetzungsstarken Frauenstimmen: Sopranistin Jacquelyn Wagner als Magna Peccatrix, Altistin Jennifer Johnston als Mulier Samaritana, Altistin Natalie Lewis in der Rolle der Maria Aegyptiaca, Sarah-Jane Brandon als Una poenitentium.

Für besonders effektvolle Momente sorgte Sopranistin Sarah Aristidou, die, vom „edlen Geisterchor umgeben“, als Mater gloriosa mit samtig glitzerndem Sopran ihren Part quasi aus dem Überirdischen von oben herab, nämlich vom Balkon aus, vortrug.

Den Höhepunkt erreichte die an Superlativen wahrlich reiche Aufführung mit dem äußerst wirkungsintensiven Schlusspart: Eingangs ein hauchzartes, unter die Haut gehendes Pianissimo des „Chorus mysticus“, der alles Vergängliche als ein Gleichnis, alles Unzulängliche als werdendes Ereignis bezeichnet. Und dann, in einem sehr lange vorbereiteten, sehr detailliert angegangenen Crescendo, zu überbordend apotheotisch-hymnischem Jubelgesang samt opulentem Orchestertutti anschwillt.

Foto privat

Noch kaum verklungen, setzte der wie befreiend wirkende, nicht enden wollende Schlussbeifall ein: Standing Ovations für eine rundum gelungene exorbitante Darbietung, wie man sie in diesem Ausmaß und dieser Qualität wohl nur alle Jubeljahre erleben darf.

Dr. Gerd Klingeberg, 24. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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