Frank Hilbrich © Daniel Nartschick
Oxana Arkaeva im Gespräch mit Frank Hilbrich, leitender Regisseur des Musiktheaters am Theater Bremen und designierter Generalintendant am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen über seine Visionen, sein Theater und die Förderung des künstlerischen Nachwuchses.
Frank Hilbrich (Jahrgang 1968) gehört zu den profiliertesten Opernregisseuren seiner Generation im deutschsprachigen Raum. Seine ersten Erfahrungen sammelte er als Regieassistent am Theater Bremen – dem Haus, an dem er heute erneut wirkt. Es folgten prägende Stationen als Spielleiter an der Oper Stuttgart sowie als Oberspielleiter und stellvertretender Operndirektor am Staatstheater Schwerin.
Seit 2002 arbeitet Hilbrich freiberuflich und inszeniert regelmäßig an renommierten Häusern wie der Komischen Oper Berlin, der Semperoper Dresden, dem Theater Basel, der Staatsoper Hannover, den Bregenzer Festspielen, der Ungarischen Staatsoper Budapest und dem Theater Freiburg, wo er unter anderem Wagners „Ring des Nibelungen“ auf die Bühne brachte.
Seit 2013 lehrt er als Professor für Szenischen Unterricht an der Universität der Künste Berlin. In der Spielzeit 2022/23 wurde er als Leitender Regisseur des Musiktheaters Teil der künstlerischen Leitung am Theater Bremen. Mit Inszenierungen wie Don Carlo, Hello, Dolly!, Ariadne auf Naxos, Doctor Atomic, Lohengrin und zuletzt Otello setzte er dort künstlerische Akzente und sorgte für überregionale Resonanz. Ab 2026/27 wird Frank Hilbrich Generalintendant des Musiktheaters im Revier (MiR) in Gelsenkirchen.
klassik-begeistert: Herr Hilbrich, wie geht es Ihnen aktuell? Sind Sie aufgeregt angesichts der bevorstehenden Veränderungen? Gibt es besonders viel zu organisieren?
Frank Hilbrich: Danke, mir geht es wirklich gut. Natürlich bin ich aufgeregt – aber ehrlich gesagt, bin ich das oft, und ich mag dieses Gefühl sogar. Im Moment gibt es eine Menge zu organisieren. Meine Berufung zum Intendanten ist noch frisch. Viele Menschen kommen auf mich zu, wollen mitmachen oder haben Fragen. Da kann ich noch gar nicht auf alles sofort eine Antwort geben – ich muss mich erst einmal richtig in Gelsenkirchen einarbeiten. Umso schöner ist es, dass ich dort gerade an einer lang geplanten Inszenierung arbeite. Ich sehe das als wunderbare Chance, viele neue Kolleginnen und Kollegen – und das Haus selbst – persönlich kennenzulernen.
klassik-begeistert: Was reizt Sie besonders an Ihrer neuen Aufgabe und diesem Theater?
Frank Hilbrich: Das Ruhrgebiet und das wunderschöne Haus! Es mag vielleicht merkwürdig klingen, aber ich habe nie davon geträumt, Intendant z.B. der Münchner Staatsoper zu sein. So beeindruckend dieses Haus auch ist – Gelsenkirchen interessiert mich viel mehr als Stadt und als Theaterstandort. Hier sehe ich ein großer Entscheidungspotenzial, um die Frage nach Bedeutung vom Theater von Heute für die Menschen vor Ort zu beantworten. Theaterpublikum verändert sich rasant. Es wird vielfältiger und kommt längst nicht mehr nur aus dem klassischen Bildungsbürgertum.
Neue Themen, neue Perspektiven und Erwartungen entstehen, die wir im Theater sichtbar machen und ansprechen müssen. Ich freue mich sehr, dass es in Gelsenkirchen ein kleines und ein großes Haus gibt – beide komplett dem Musiktheater und dem Tanz gewidmet. Hier können große Opern genauso stattfinden wie intime, spartenübergreifende Formate. Und gerade diese Flexibilität ist mir wichtig. Klassische Oper – so sehr ich sie liebe – reicht heute nicht mehr aus, wenn wir die Herzen eines modernen Publikums erreichen wollen.
klassik-begeistert: Wie blicken Sie auf Ihre Zeit am Theater Bremen zurück, insbesondere als leitender Regisseur und künstlerischer Leiter? Welche Ihrer Arbeiten waren für Sie persönlich ein Meilenstein – und warum?
Frank Hilbrich: Ich blicke vor allem mit großer Dankbarkeit zurück. In Bremen hat für mich alles angefangen. Hier bin ich das allererste Mal in die Oper gegangen, und habe bei den Jungen Akteuren – damals Jugendclub– den Einstieg gefunden. Daher war es ein emotionaler Moment, als mir Jahre später die Leitung der Sparte Musiktheater übertragen wurde. Es ist nicht leicht für mich zu sagen, welche Produktion ein Meilenstein für mich war.
Don Carlos zum Beispiel war wichtig, weil wir damit klar machen konnten, dass auch große Opern eine gesellschaftliche Relevanz haben kann. Hello Dolly war meine erste Musicalproduktion, bei der ich unglaublich viel gelernt habe. Es hat mir großen Spaß gemacht – und mich gleichzeitig stark gefordert.
Als Meilenstein kann ich definitiv die Doctor Atomic Produktion bezeichnen. Wegen der Brisanz des Themas und weil die Oper bei dieser Produktion gezeigt hat, dass sie als Genre das Phänomen Oppenheimer tiefgehender, viel spannender erfasst als andere Medien.
Lohengrin dagegen war wichtig in einer Zeit zu inszenieren, wo die politischen Rechte an Zulauf gewinnen. Ich hätte gerne doppelt so viel Premieren gehabt, bin dennoch dankbar, dass wir es geschafft haben, das Musiktheater in Bremen in seiner Bandbreite darzustellen, vom Frühbarock bis zur Neuen Musik.
klassik-begeistert: Was ist Ihr persönlicher Ansatz, um Werke der Vergangenheit für heutige Zuschauer neu zu interpretieren?
Frank Hilbrich: Für mich ist klar: modernes Musiktheater muss gesellschaftliche Themen reflektieren. Dieser Anspruch treibt mich als Regisseur an. Theater ist ein Ort, an dem wir argumentieren, agitieren, nachdenken, zuhören, reflektieren, Utopien entwickeln und träumen.
Es geht immer um Menschen und um die Gesellschaft. Um den Widerspruch zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und persönlicher Freiheit, der oft brutal ist. Genau das muss und soll das Theater widerspiegeln: in all seinen schmerzhaften, manchmal auch absurd-komischen Facetten. Was meinen persönlichen Ansatz betrifft: Ich bekenne mich zur alten Schule der gründlichen Auseinandersetzung mit dem Stück. Zuerst lesen, lesen, und noch mal lesen. Immer wieder in die Musik hineinhören, die Partitur oder den Klavierauszug studieren. Und dann die zentrale Frage stellen: Berührt mich das? Hat das etwas mit mir zu tun? Was macht das Stück mit mir? Diese Ehrlichkeit sich selbst gegenüber ist entscheidend. Wenn ich keine Verbindung zum Stück spüre, lasse ich besser die Finger davon.
klassik-begeistert: Sie haben an renommierten Häusern im In- und Ausland gearbeitet. Wie prägen sie Ihre künstlerische Handschrift? Oder sind Sie fertig mit Lernen?
Frank Hilbrich: Nein, überhaupt nicht. Fortwährende Neugier und beständiges Suchen treiben mich an. Ohne die geht es nicht. Und das Reflektieren, das konstruktive Erinnern. Jede Station, jedes Haus, jede Zusammenarbeit hat mich geprägt.
Ohne die Begegnung mit Hans Neuenfels hätte ich als junger Assistent zum Beispiel nie wirklich verstanden, was es bedeutet, als Regisseur zu denken. Was es heißt, ein Werk zu erfassen und es umfassend künstlerisch zu realisieren. Gerade in meiner neuen Rolle als Intendant wird das entscheidend: Es geht nicht mehr nur um die eigene Regiearbeit, sondern darum, Kunst möglich zu machen – und sie aktiv zu schützen. Ich habe erlebt, wie wertvoll es ist, wenn genau das gelingt. Intendanten wie Michael Börgerding in Bremen, Alfred Wopmann in Bregenz oder Klaus Zehelein in Stuttgart sind diesbezüglich für mich große Vorbilder. Sie haben gezeigt, wie man künstlerische Prozesse nicht nur zulässt, sondern aktiv schützt und stärkt.
klassik-begeistert: Im Sinne von „I have a dream“: Was ist Ihre Vision für das Musiktheater der Zukunft? Was ist Ihre Rolle bei dessen Gestaltung?
Frank Hilbrich: Mein Traum – mein Ziel – ist es, Musiktheater als einen gesellschaftlichen Reflexionsraum zu etablieren, der von vielen Menschen getragen und weiterentwickelt wird. Ich habe den Traum vom Theater als einen Ort, den das Publikum für sich entdeckt, nutzt und als Erlebnisraum versteht. Wir müssen wegkommen von dem Bild, Musiktheater sei etwas Elitäres. Mehr neue Musik, neue Stücke und andere Ausdrucksformen entdecken, mutig in unsere Arbeit einzubeziehen. Meine eigene Rolle sehe ich darin, diese Prozesse immer wieder anzustoßen, neue Impulse zu geben und Rückfälle in künstlerische Starrheit oder bloße Zweckdienlichkeit zu vermeiden. Wenn eine Stadtgesellschaft, sich selbst in ihrem Musiktheater wiederfindet, wenn hier gemeinsam gefeiert, diskutiert und Fragen gestellt werden können, wäre viel erreicht.
klassik-begeistert: Sie sind Professor für szenischen Unterricht an der Universität der Künste Berlin: Wie beeinflusst diese Arbeit Ihren Blick auf das Musiktheater?
Frank Hilbrich: Sehr – und zwar auf mehreren Ebenen. Die Arbeit mit z.B. der Generation Z verändert meinen Blick auf das Musiktheater entscheidend. Diese jungen Menschen bringen andere Werte, neue Erwartungen und ein verändertes Verständnis von Autorität mit. Sie fordern Beteiligung, Sinn und echte Augenhöhe. Das zwingt uns, unser Verständnis von Oper und Theaterbetrieb zu überdenken. Wie erreichen wir dieses Publikum? Wie arbeiten wir mit dieser Generation zusammen? Was können sie mit klassischen Texten und Formen anfangen? Wie sehen sie das? Wie schaffen wir ein Umfeld, in dem junge Künstlerinnen und Künstler sich entfalten und ihnen angemessen arbeiten können?
In der universitären Ausbildung erlebe ich mehr Offenheit und Innovationskraft als in vielen Theatern. Sogar in der klassischen Gesangsausbildung: an den Hochschulen reicht es längst nicht mehr aus, gut zu singen – man muss auch Texte sprechen, gestalten und künstlerisch eigenständig arbeiten können. Da müssen wir im Theaterbetrieb nachziehen.
Ein Beispiel: Das Vorsingen. Oft läuft es noch nach dem alten Muster – ein paar Arien singen, Vertrag für zwei Jahre, fertig. Ich halte das für überholt. In Bremen gehen wir bewusst anders vor: Niemand wird ohne Arbeitsprobe und persönliches Gespräch fest engagiert. Wir suchen Menschen, die sich ins Ensemble einbringen, Verantwortung übernehmen – und wirklich etwas zu sagen haben. So vermeiden wir Fehlbesetzungen und schaffen ein Umfeld, das von Vertrauen, Austausch und Neugier lebt.
klassik-begeistert: Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen knappen Budgets und nachhaltiger, zukunftsorientierter Förderung von Sängerinnen und Sängern? Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Frank Hilbrich: Ein richtiges „Erfolgsrezept“ gibt es, ehrlich gesagt, nicht. Aber zwei Dinge halte ich für wesentlich: Kontinuierlich arbeiten zu können, das heißt also längerfristige Festverträge abzuschließen und eine Haltung der Offenheit, Neugier und Inspirationsbereitschaft zu fordern und zu leben. Wenn dies beides gegeben ist, kann einiges gelingen.

Gerade bei der Arbeit mit Nachwuchs ist es entscheidend, geduldig zu sein. Die Besetzung von Partien erfordert neben musikalischem Gespür auch ein hohes Maß an Erfahrung, Sensibilität und Voraussicht. Es geht darum, zu erkennen, welche Sängerin oder welcher Sänger in einem bestimmten Moment was singen kann – und was vielleicht noch nicht. Wann ist Unterstützung gefragt? Wann sollte man jemanden fordern, wann besser noch warten oder auch mal loslassen? Diese Form von Aufmerksamkeit gehört für mich zu den Grundpfeilern einer nachhaltigen Nachwuchsförderung – übrigens auch im finanziellen Sinn.
klassik-begeistert: Wie sieht Ihr Wunschpublikum aus, und welche Erwartungen oder Hoffnungen verbinden Sie mit den Menschen im Zuschauerraum?
Frank Hilbrich: Mein Wunschpublikum ist eine möglichst breit gemischte Gruppe von Menschen – jung und alt, divers in jeder Hinsicht. Ein Publikum, in dem sich jede und jeder willkommen fühlt und Teil einer kulturellen Gemeinschaft wird. Das Theater hat vielleicht doch noch die Chance, die die Kirche längst verspielt hat: Ein Ort zu sein, an dem Menschen zusammenkommen, um innezuhalten, sich zu spiegeln – und miteinander in Verbindung zu treten, auch wenn man sich im Alltag eher aus dem Weg geht. Gerade weil wir insgesamt immer digitaler leben, sind diese konkreten Begegnungen sehr wichtig. Und wenn unsere Arbeit Widerspruch erzeugt und Diskussionen auslöst, umso besser – solange wir einen respektvollen Raum haben, um uns darüber auszutauschen.
klassik-begeistert: Bremen ist Ihre Heimat. Welche Bedeutung hat die Stadt für Sie persönlich und für Ihre künstlerische Entwicklung? Gibt es ein Wiedersehen mit Ihnen als Regisseur am Theater Bremen?
Frank Hilbrich: Bremen ist für mich ein besonderer Ort – persönlich wie künstlerisch. Hier bin ich aufgewachsen, hier habe ich meine ersten Schritte im Theater gemacht. Die Stadt hat meine Entwicklung entscheidend geprägt, und das Theater Bremen war über viele Jahre mein kreatives Zuhause. Natürlich würde ich sehr gerne wieder als Gastregisseur hier inszenieren – keine Frage. Aber das liegt nicht allein in meiner Hand.
Ab der Spielzeit 2026/27 werde ich Intendant in Gelsenkirchen und in Bremen wird voraussichtlich 2027/28 ein neues Leitungsteam die Verantwortung übernehmen. Für beide Seiten braucht es da bestimmt erst einmal etwas Abstand, sich erst einmal vor Ort einzufinden. Eine vorerst letzte Produktion in der Spielzeit 2026/27 ist in Bremen noch geplant – sie fällt offiziell in die letzte Spielzeit unter der Intendanz von Michael Börgerding. Und ich hoffe, dass das klappt. Ob danach noch etwas kommt, werden wir sehen.
klassik-begeistert: Vielen herzlichen Dank für das Gespräch und viel Erfolg bei Ihren neuen Aufgaben!
Oxana Arkaeva, 9. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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