Staatsoper Hamburg: „Ich will ein Weiberschicksal!“

Richard Strauss, Elektra  Staatsoper Hamburg, 13. November 2024

Elektra/Staatsoper Hamburg © Monika Rittershaus

Richard Strauss,  Elektra
Text   Hugo von Hofmannsthal 

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano / Dirigent

Staatsoper Hamburg, 13. November 2024

von Harald Nicolas Stazol

 …nana, so weit ist es noch nicht, meine sehr verehrten Damen und Herren, aber Elektra will es, was sag ich Elektra, hier, an der Hamburger Staatsoper, zugegebenermaßen und ausgerechnet in der 13. Aufführung – rien sans fortune!!! – Elektra?

IRÉNE THEORIN! Und wenn Sie jetzt glauben, die Majuscules reichten zur Beschreibung dieser Stimme, ja Heidewitzka, das erste Mal, denke ich, verdammt, jetzt zerspringt gleich mein Opernglas, bei ihrem des „Leeeeeebens freuen“ so rein hoch, so kristallklar, und dann ja wieder urplötzlich fast auf Sprechstimme, und dabei singt sie ja gefühlt zweieinhalb Stunden ohne Pause, was uns sofort zu Klytämnestra bringt.

Violeta Urmana – könnte man ihren Mezzo als Farbe bezeichnen, mir fiele nur Preußischblau ein, das zu Bleu mourant sich wandeln kann, das Ganze übergangslos, beim ersten Auftritt im knallroten Morgenmantel samt Hasenschlappen einen sehr langen Part singt, der ihre Alpträume und Gewissensbisse beschreibt. Und dabei spielt sie ja eine Gattenmörderin, was ich wiederum ziemlich emanzipiert finde, ich sage ja, Weiberwelt.

Elektra/Staatsoper Hamburg © Monika Rittershaus

Aber ich vergesse mich – „intensiv-flauschig“ finde ich in den Notizen noch zu La Theorin, auf dem Umschlag des wunderschönen Programmheftes, dessen längere Essays anspruchsvoll, der Text von Heiner Müller eine Trouvaille, und die Bildstrecken darin so sehenswert-schön – aber dazu kommen wir noch.

Ich habe ja schon länger den Verdacht, dass Kent Nagano sowas wie der Blitzableiter seines Orchesters ist, aber zu sehen, wie er da dieses Frauenhaus des Richard Strauss ja mit Einsätzen geradezu bombardieren muss – surfen hält fit? –, dass diese Komposition sich ja unablässig entfaltet, ja, in solchem Flusse, dass die Zeit ab Auftakt um Punkt 19.30 Uhr bis Vorhang 21.20 Uhr in eine Art Zeit-Raum-Kontinuum gerät.
Ich vergesse sogar das Rauchen, und da ich aus reiner Höflichkeit im Parkett 13/16 schon Platz nahm, zu der immer wieder wunderbaren Wuselei des sich einstimmenden Orchesters, und die Bühne ist offen, und seit langem zum ersten Mal denke ich, „so geht Oper!“, zum ersten Male möchte ich direkt einziehen!

Man stelle sich das weiß-goldene, in Crème und Mintgrün gehaltene Interieur der Gräfin Woronzow-Dashkova vor, die Photographie entnehme ich dem Band „Imperial Russia“ und füge sie bei, soviel Eleganz, und dann Mord, Totschlag, Rache – bei dieser Inneneinrichtung! Großes Kino, Dmitri Tcherniakov – und indem ich Ihren Namen der Besetzungsliste füglichst ab buchstabiere, wird mir klar, wie wahr die Aussage keine zwei Zeilen vorher war – Sie kennen diese Innenräume der Repräsentation! Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein!

 Wir erinnern uns (hoffentlich) an den Griechisch-Unterricht? Oder an „Sagen des klassischen Altertums“? Nein? Also gut, ich übergebe kurz an Heiner Müller:

 „Klytämnestra und Aigisthos töten Agamemnon, nach seiner Heimkehr aus zehn Jahren Krieg, im Bad mit Netz, Schwert, Beil. Elektra, zweite Tochter Agamemnons, rettet Orestes, ihren Bruder, vor dem Schwert des Aigisthos und schickt ihn nach Phokis.

Zwanzig Jahre lang, Magd unter Mägden im Palast der Mutter, wartet sie auf seine Heimkehr. Zwanzig Jahre lang träumt Klytämnestra den gleichen Traum: eine Schlange saugt Milch und Blut aus ihren Brüsten. Im zwanzigsten Jahr kehrt Orestes heim nach Mykene, erschlägt Aigisthos mit dem Opferbeil, nach ihm seine Mutter, die mit entblößten Brüsten vor ihm steht und um ihr Leben schreit.“ Müller Ende.

 Sie sehen: Ganz schön was los, n’est-ce pas? Da laufen sie also alle schnurgerade ab, die tragischen, verfluchten Schicksale, Orest erkennt Elektra nicht, sie schämt sich erst, sich zu erkennen zu geben, schon wird das Komplott geschmiedet, und es endet nach eben Mord und Totschlag und viel Blut, und am Schluss setzen sie die Leichen auch noch aufrecht an den Tisch, und Elektra tanzt und fällt zu Boden. Und schon brechen die „Brava“-Rufe, immer wieder, dann für alle, auch den Orest-Bariton Kyle Ketelsen, und die einfach dramatisch-wunderhohe Schwester der Elektra, Chrysothemis, Jennifer Holloway, Bravo, Bravi, und ich mache die Entdeckung, hinunterzustreben für einen Blick in den vollbesetzten Orchestergraben, wo sie wie Sardinen sitzen, die Prachkerl:innen, da kommen die Ovationen quasi von oben herab…

Viel zu wenige im Saal angesichts dieses Aufwandes.

Aber ich hoffe inständig, dass dieser Essay hinlänglich genügt, den geneigten Lesern Ansporn zum Hingehen geben. Ich kann nur sagen: Es lohnt sich.

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