Mahler Chamber Orchestra/Yuja Wang © Daniel Dittus
Mit vier einzigartigen Yuja-Wang-Style-Zugaben und zwei über die Tasten flirrende Meisterwerke bringt die Wunderpianistin ihr für die Klassikwelt singulär lebendiges Klavierspiel in die Hamburger Elbphilharmonie. Auch das Mahler Chamber Orchestra lässt sich von dieser rauschenden Stimmung mitreißen und lässt Strawinsky im vollen Tanz durch den Saal schwingen!
Mahler Chamber Orchestra
José M. Blumenschein, Violine und Leitung
Yuja Wang, Klavier und Leitung
Werke von Igor Strawinsky, Maurice Ravel und Alexander Tsfasman
Elbphilharmonie Hamburg, 23. November 2024
von Johannes Karl Fischer
Nun ja, auf dem Programm standen offiziell drei Komponisten… so ganz eigentlich war das aber nicht mal die Hälfte des Konzerts. Denn nach einem bereits fulminanten offiziellen Programm griff Yuja Wang natürlich erneut in die Tasten und öffnete mit ihren vier eigenartigen Hammerzugaben den Weg in eine nochmal gänzlich neue Musikwelt. Noch nie hat eine klassische Künstlerin im quasi post-Konzert-Divertissement mit einem solch feurigen, rasch bewegtem Musizieren das etablierte Repertoire dermaßen in den Schatten gestellt!
Allein schon im Danzón No. 2 von Arturo Márquez tobte sich die Pianistin in der Musik mit feuriger Virtuosität regelrecht aus, der für diese Zugabe verpflichtete Klarinettist brachte die Stimmung im Saal an die Schwelle des Mitklatschens à la Radetzky-Marsch. Die wohltuenden Sonnenklänge dieser Musik schienen die draußen herrschende eisige Winterkälte in eine warme Sommernacht zu verwandeln… so ein süditalienischer Sonnenuntergang bei 28 Grad Luft, also zu mindestens für die Ohren.
So richtig an Fahrt nahm das Konzert allerdings nochmal mit ihrer Klavierbearbeitung des an Intensität kaum zu übertreffenden Allegros aus dem 8. Schostakowitsch-Streichquartett auf. Ihr fast schon hyperfurioses Klavierspiel holte eine völlig verrückte Energie aus den Tasten und zündete mit einer atemberaubenden Mühelosigkeit den Turbo der bereits entfesselten Applausstimmung. Fazit: Allein die Zugaben verdienen drei musikalische Michelin-Sterne, eine Reise wert!
Das Mahler Chamber Orchestra hatte die grenzenlose Begeisterung schon vor Yuja Wangs erstem Auftritt mitgerissen, so stimmte das Ensemble den Abend mit Strawinskys 15-Musiker-starkem Dumbarton Oaks-Konzert sichtbar schwunghaft ein. Die weitgehend im Stehen spielenden Streicher ließen ihren Spaß an dieser lockeren Musik im Saal strahlen, luftige Fagott-Soli und spaßige Bratschen-Einschübe schwippsten durch die Ränge. Im Programmheft war viel von den neobarocken Bach-Zügen dieses Werks die Rede, naja, eher Bach verjazzt und vertanzt. Als hätte die reale Außenwelt mit ihren allesamt nicht sehr freudigen Nachrichten sich in Luft aufgelöst.
In dieses locker-flockige Gefüge webte sich Yuja Wangs vorbeiflitzendes Klavierspiel völlig schwerelos ein. Das akrobatisch-pianistische Ravel-Klavierkonzert erledigte sie quasi mit links, ihre Finger flitzten wie ein vorbeisausender Windhauch über die Tasten. Die haarsträubenden Läufe und perfekt platzierten Akkorde fegte sie mit viel Spaß in den Saal, als könnte sie von diesem pianistischen Meisterwerk gar nicht genug bekommen. Als würde eine Akrobatin zu flotter Jazzmusik mit einem Lächeln an einem Seil in 15 Meter Höhe tanzen…
Auch Alexander Tsfasmans weit unbekanntere Jazz Suite für Klavier und Orchester servierten die Musiker mit Grandezza und luftiger Leichtigkeit. Angestimmt von Frau Wangs wieder einmal über die Tasten flirrendes Klavierspiel ließen sich auch die Solisten im Orchester ordentlich in Stimmung bringen. Insbesondere die Klarinettisten Vicente Alberola Ferrando und Mariafrancesca Latella brachten die volle Breite ihrer Instrumente zum Klingen und befreiten die Musik mit hohem Schalltrichter und leicht quietischigem Jazz-Klang aus der manchmal etwas rigiden Strenge der Klassik. Als würde man zwischen zwei deftigen Gängen in einem plüschigen New Yorker Penthouse-Dinner ein Gläschen perlenden Champagner serviert bekommen. Oder einfach den Auftakt zur großen Yuja-Wang-Zugaben-Show genießen…
Diese beispiellose Wunderpianistin reißt das Publikum und Orchester in eine neu entdeckte Spaß-Stimmung der Klassik, entsprechend lebendiger Applaus war die logische Folge. Ganz Yuja-Wang-Style war übrigens nicht nur die leicht verjazzte Schumann-Träumerei mit einigen frischen, musikalischen Einfällen verziert. Auch Frau Wang hätte einen Platz auf der Komponistenliste verdient…
Johannes Karl Fischer, 24. November 2024 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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