Derart düster und dramatisch hat man Schuberts „Kreis schauriger Lieder“ selten erlebt

Musiktheater: Schubert, Winterreise  Theater Bremen, Premiere, 7. Dezember 2024

Winterreise, Simon Zigah, Nadine Lehner, Fania Sorel, Christoph Heinrich © Jörg Landsberg

Musiktheater: Winterreise

Liederzyklus von Franz Schubert
Text von Wilhelm Müller

In einer musikalischen Bearbeitung von Thomas Kürstner/Sebastian Vogel

Lukas Ziesché   Musikalische Leitung

Armin Petras   Regie und Szenarium

Nadine Lehner, Fania Sorel, Christoph Heinrich, Simon Zigah, Fabio Toraldo   Darstellung und Gesang

Theater Bremen, Kleines Haus,  7.Dezember 2024 Premiere

von Dr. Gerd Klingeberg

Es ist ein öde, bizarre, düster schwarz-graue Szenerie, die die Besucher empfängt: Mittig die Andeutung eines vereisten Flusses, eine raumhohe Projektionsleinwand als hintere Begrenzung, rechts hat sich das kleine Musikensemble postiert, links steht ein Schlagzeug. Das nahezu ausnahmslos dunkle Outfit sowie die in fahlem Hellgrau geschminkten Gesichter der Akteure verstärken den Eindruck tiefster Tristesse. Franz Schuberts Liederzyklus , üblicherweise für Singstimme und Klavier vorgesehen, wird in einer musikalischen Bearbeitung von Thomas  Kürstner und Sebastian Vogel zum Bühnenstück.
Ungewöhnliche Instrumentalkombination

An die Stelle des Klaviers treten diesmal Vibraphon, Klarinette, Viola und Kontrabass. Eine ungewöhnliche Kombination, durch die indes – das wird bereits beim Eingangslied „Gute Nacht“ deutlich – Schuberts harmonische Formen aufspaltet werden, sie damit zugleich aber auch durchhörbarer werden lassen. Simon Zigahs Gesang erfolgt mit nur wenig Stimme und wirkt in seiner gewollt ausdrucksarmen, geradezu wie mechanisch ruhepulsierenden Darbietung eher wie ein beiläufig anmutendes Selbstgespräch. Spätestens ab jetzt dürfte jedem eingefleischten Freund des „Winterreise“-Liedzyklus klar sein, dass diese Aufführung wenig bis nichts mit einem gewohnten romantischen Liederabend gemein hat.

Winterreise, Nadine Lehner, Fania Sorel, Simon Zigah © Jörg Landsberg

Das bestätigt auch der Auftritt von Sängerin Nadine Lehner, die ihren Schmerz in wütender Verzweiflung anfangs mehr herausschreit als singt. Das Schaurige, wie Schubert dereinst sein Werk charakterisierte, es kommt hier nicht nur hintergründig heraus, es ist nicht überdeckt von betörenden Harmonien. Christoph Heinrich setzt seine sonore Bassstimme gleichermaßen intensiv gestaltend ein. Nicht der Schönklang der menschlichen Singstimme ist gefragt, sondern die nachvollziehbare theatrale Darstellung des Weltschmerzes, des Grauens, der Dramatik und der unabänderlichen Vergänglichkeit des Seins, von denen die Texte Wilhelm Müllers durchdrungen sind.

Und genau dies wird hier umgesetzt auf eindringliche, mitunter gewiss auch etwas übertriebene Weise. Denn unzählige Eindrücke gleichzeitig werden den Zuschauern dramaturgisch angeboten, die zudem in ihrer Symbolik nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Neben den allesamt ausdrucksstark dargebotenen, teils verfremdeten Liedern ist es die vorwiegend nur aus ruhigen Bewegungen zusammengesetzte schauspielerische Performance; dazu laufen auf der rückwärtigen Leinwand eine Vielzahl von zumeist gut gezeichneten Stop Motion Filmszenen, die die Liedtexte bildhaft plastisch verdeutlichen, dazu neue Impulse vermitteln, aber auch ein gehöriges Maß an Aufmerksamkeit fordern.

Irre, heulende Hunde, um ein simples Beispiel zu nennen, sind, in Großformat skizziert, zweifellos weitaus furchterregender als ein klangvoll vorgetragenes Lied. Dass bei der Fülle der optischen Eindrücke der instrumentale Part eher als Hintergrundgeräusch wahrgenommen wird, geht indes in Ordnung, zumal sich das Instrumentalensemble insgesamt ohnehin sehr zurückhaltend präsentiert.

Winterreise, Christoph Heinrich © Jörg Landsberg

Kippende Stimmungen

Durchbrochen wird die Düsternis des Geschehens beim wohl bekanntesten Winterreise-Lied „Der Lindenbaum“, das Lehner, Heinrich und Zigah gemeinsam mit Fania Sorel in Quartettversion in trauter Viersamkeit anstimmen. Ein Hoffnungsschimmer? Vielleicht; denn die „kalten Winde“ der dritten Strophe blasen diesmal nicht. Die düstere Atmosphäre ändert sich ebenfalls, als die Darstellung beim Lied „Die Post“ eine geradezu alberne Note annimmt bei dem letztlich erfolglosen Versuch, dem Inanen des eigenen Daseins auf irgendeine Weise entrinnen zu wollen. Und ein weiteres Mal kippt die Stimmung, als die Musik urplötzlich hardrockig wird: Gleich zwei Schlagzeuge hämmern los bei „Hotellounge (Be the Death of me), einem Song der Band dEUS. Das ist zwei, drei Besuchern wohl doch allzu unschubertig; sie verlassen den Saal.

Verständlicher sind hingegen die Spots auf der Leinwand, die etwa die „Nebensonnen“ mit der Explosion einer Atombombe als Gegenwartsbezug assoziieren. Noch direkter ist (zum Lied „Der Wegweiser“) das Bild zweier Wegweiser, beschriftet mit einem etwas befremdlichen, aber verständlichen „glyk“ und „unglyk“, die in einem häufigen Wechsel erscheinen.

Keine Frage: Diese gut einstündige „Winterreise“ ist eine Herausforderung mit durchgehend hoher Spannungsintensität und einer riesigen Fülle neuer Eindrücke, die schwerlich bei nur einmaligem Erleben rezipiert werden können. Ob diese Bearbeitung der Schubert’schen Intention tatsächlich gerecht wird, vielleicht auch allzu überzeichnet daher kommt, darüber darf man durchaus geteilter Meinung sein. In Bremen wurde sie jedoch zu Recht mit starkem Beifall bedacht. Aber jedem Zuschauer dürfte zudem klar sein: Nach dieser sehr beeindruckenden Performance wird er, wird sie die romantische Originalfassung wohl niemals wieder wie zuvor erleben können.

Dr. Gerd Klingeberg, 8. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Giacomo Puccini, La Bohème Theater Bremen, 30. November 2024 PREMIERE

Richard Wagner, „Lohengrin“, Premiere am Theater Bremen 15. September 2024

Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Paavo Järvi, Dirigent Bremer Konzerthaus Die Glocke, 30. November 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert