Cavalleria rusticana © Felix Grünschloß
Mit keiner der Hauptfiguren kann ich uneingeschränkt Mitleid empfinden.
Für keine der Hauptfiguren kann ich ausschließlich Unverständnis aufbringen.
Jeder ist sowohl Opfer als auch Täter. Es menschelt, allerdings in mörderischen Dimensionen.
Cavalleria rusticana
von Pietro Mascagni
Pagliacci
von Ruggero Leoncavallo
Inszenierung: Dietrich W. Hilsdorf
Bühne: Dieter Richter
Kostüme: Nicola Reichert
Badische Staatskapelle
Musikalische Leitung: Johannes Willig
Badischer Staatsopernchor und Extrachor
Badisches Staatstheater Karlsruhe, 8. Dezember 2024
von Kathrin Beyer
Man nehme: Einen Abend, zwei Opern, ein paar interessante Regieeinfälle, setze diese kreativ um, verwebe alles zu einem gemeinsamen Ganzen und…
…voilà… heraus kommt ein erfreulicher Opernabend.
Man finde: Ein tolles Sängerensemble, einen starken Chor und… voilà… heraus kommt ein überaus erfreulicher und beglückender Opernabend. Einer, der beeindruckt und Auge, Ohr und Herz der Autorin erfreut.
Es hat sich etabliert, dass beide oben genannten Kurzopern an einem Abend zur Aufführung kommen.
Spannend ist, dass in dieser Inszenierung aus zwei Geschehen eines wird, die Handlungen beider Opern werden miteinander verwoben.
Die Zuschauer erleben einen Tag (den 21. April 1946) in dem kleinen italienischen Dorf Vizzini, es ist der Ostersonntag, und gehen auf eine Reise in menschliche Abgründe – hervorgerufen durch Liebe, Eifersucht, Engstirnigkeit, religiösen Fanatismus, Gewalt, Besitzansprüche, Rache und Verrat – die betroffen machen.
Folgerichtig ist es, dass hier der Prolog aus Pagliacci dem gesamten Abend vorangesetzt wird, in dem es heißt… „und Sie sollen nicht unsere Kostüme betrachten, sondern die Menschen darunter…“
Weniger ist mehr
Das Bühnenbild ist genial, weil wirkungsvoll, dennoch so schlicht, dass es nicht ablenkt und mir Bewunderung abnötigt.
Zu sehen ist eine Piazza, sehr originalgetreu italienisch, ländlich einfach.
An einer Wand hängt eine überdimensionierte Uhr, die manchmal stillsteht und ein anderes Mal die Handlung rasend schnell vorantreibt, an deren Ende drei Menschen tot sein werden.
Mit Wandplakaten wurde den Dorfbewohnern eine Commedia dell’arte angekündigt, in der Pagliaccio (Clown) eine zentrale Figur ist.
Bewundernswert, diese Liebe zum Detail!
Die Kostüme sind schlichte Kleider. Dunkel gehalten, für den österlichen Kirchenbesuch, heller für den Besuch des Theaters am Abend. Diese Schlichtheit macht es einem leicht, die Menschen darunter zu sehen…
…und die zeigen sich mitunter als hässliche Fratzen.
Tatsächlich geht es in beiden Opern um Liebe, Eifersucht, Rache, verletzte Gefühle, Gewalt, Besitzansprüche, Verrat und Tod. In Cavalleria rusticana ist das sehr real, in Pagliacci wird die Realitätsebene in Frage gestellt. Es ist ein Schauspiel, in dem für das Publikum die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Schein verwischen; nicht mehr verlässlich erkennbar sind.
Das Verlassen der Realität zeigt sich nach der Pause; es ist laut Wanduhr keine Zeit vergangen, Pagliacci beginnt. Turiddu, der nach seiner Ermordung auf einem Tisch abgelegt wurde, liegt dort noch immer. Es folgt ein mystischer Totentanz, in dessen Folge Turiddu als Canio aufersteht und als dieser weiterlebt.
Ambivalentes Gefühlskino
Mit keiner der Hauptfiguren kann ich uneingeschränkt Mitleid empfinden.
Für keine der Hauptfiguren kann ich ausschließlich Unverständnis aufbringen.
Jeder ist sowohl Opfer als auch Täter. Es menschelt, allerdings in mörderischen Dimensionen.
So tut mir Santuzza unendlich leid, als sie exkommuniziert und von der Gemeinde ausgeschlossen wird, die Szene ist grandios, berührend und beängstigend.
Mein Mitgefühl hält sich jedoch in Grenzen, als sie den Vater ihres ungeborenen Kindes an Alfio verrät und in den sicheren Tod schickt.
(Hierbei schaurig schön: Der Totentanz der beiden Betrogenen).
Ich empfinde Abscheu und Zorn, als Turiddu Santuzza in den
Bauch tritt, als er allerdings die Arie „Mamma, quel vino è generoso“ singt, schmelze ich dahin, leider kommt seine Reue zu spät.
Ich bin empört, als Tonio Nedda zu vergewaltigen versucht, dennoch nehme ich Anteil, als er auf Grund seiner Infantilität und Missgestalt verlacht wird.
Jede der Hauptfiguren löst eine Bandbreite an Emotionen bei den Zuschauern aus, das ist ganz großes Musiktheater…
…und ein Verdienst grandioser Sänger.
Dorothea Spilger als Santuzza scheint beinahe eine Idealbesetzung zu sein. Ihr schöner, klarer, überstrahlender Sopran transportiert all ihre widersprüchlichen Gefühle, von Liebe, Angst, Hoffnung bis hin zu Hass. Atemberaubend!
Milen Bozhkov gibt sowohl den Turiddu als auch den Canio. Sein Tenor ist klar, kraftvoll, leidenschaftlich und ausdrucksstark. Ich las im Vorfeld, dass seine Stimme an die Enrico Carusos erinnere. Was für eine Übertreibung, dachte ich. Nun, mein Fehler, es ist die schlichte Wahrheit. Nicht nur seine Arie aus Pagliacci „Recitar! Mentre preso dal delirio“ ist zum Niederknien, aber diese besonders. Die anderen Zuhörenden teilen mein Empfinden, es gibt stürmischen Zwischenapplaus, in den ich dieses Mal einstimme. Sein schauspielerisches Talent ist beträchtlich, beide Rollen füllt er beeindruckend aus.
Als Alfio/ Tonio ist Kihun Yoon zu erleben und ein Erlebnis ist er, in der Tat.
Sein Bariton ist wundervoll dunkel, sehr kraftvoll, grollend und kann gleichermaßen angsteinflößend, wie auch sinnlich klingen.
Seine mimische Wandlungsfähigkeit ist beachtlich, er spielt den arroganten, aggressiven, dennoch liebenden Alfio genauso intensiv, wie den törichten, missgestalteten, aufdringlichen, zurückgewiesenen, zerstörenden Tonio.
Ralitsa Ralinova ist eine intensive Nedda, ihre Vogelarie zeigt ihren Lebenshunger und Wunsch nach Veränderung. Sie singt kristallklar, strahlend und bis in die letzte Ecke hörbar, ohne Schärfe.
Ihr Duett mit Silvio erzeugt eine Gänsehaut. Auch sie kann schauspielerisch überzeugen.
Alle anderen Rollen sind exzellent besetzt.
Berührt hat Melanie Lang als Mamma Lucia, insbesondere durch ihre ruhelose, fast getriebene Rolleninterpretation, die ihre Situation so gut zum Ausdruck bringt. Sie kann für ihren Sohn nichts mehr tun und gerät in ständigen Aktionismus.
Unbedingt erwähnenswert sind die Chöre, die hier viel zu tun haben und ihre Sache vortrefflich machen. Einige umwerfend intensive Momente dieses Abends, sind der Chorleistung zu verdanken!
Das Orchester unter ihrem Dirigenten Johannes Willig zeigt sein großes Können und komplettiert die besonderen Leistungen aller Mitwirkenden.
Zu guter Letzt
Manchmal nutze ich meine Begleitkarte, um jungen Menschen den Erstkontakt zum Medium Oper zu ermöglichen. Die junge Frau, die mir hier Gesellschaft leistete, war emotional so berührt, so begeistert von alledem, dass ich mir sicher bin, dass es zwar ihr erster aber nicht der letzte Opernbesuch sein wird.
Dies liegt zu einem guten Teil an der modernen, abgestaubten, in sich logischen Inszenierung, die sehr respektvoll mit dem Ursprungswerk umgeht.
Das Karlsruher Publikum teilt meine positive Einschätzung und wenn ich sage, dass alle Mitwirkenden begeistert gefeiert werden, ist das nicht übertrieben.
So schenkt Oper Freude!
Kathrin Beyer, 9. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at