Kernschmelze der Gefühle: „Cavalleria rusticana“ und „Pagliacci“ brodeln in Eifersucht

Pietro Mascagni: „Cavalleria rusticana“,  Ruggero Leoncavallo: „Pagliacci”   Staatsoper Hamburg, 9. April 2024

Ekaterina Gubanova © Gulbenkian Música

Pietro Mascagni: „Cavalleria rusticana“

Ruggero Leoncavallo: „Pagliacci”

Philharmonisches Staatsorchester der Hamburgischen Staatsoper
Musikalische Leitung: Daniele Callegari

Chor der Hamburgischen Staatsoper
Chorleitung: Eberhard Friedrich

Kinder- und Jugendchor
Leitung: Luiz de Godoy

Staatsoper Hamburg, 9. April 2024

von Dr. Holger Voigt

Pietro Mascagnis „Cavalleria rusticana“ und Ruggero Leoncavallos „Pagliacci” – sozusagen der “Doppel-Whopper” italienischer Opernliteratur – munden vorzüglich, sind aber mit Vorsicht zu genießen, schließlich ist die Überlebensprognose der meisten Rollenprotagonisten außerordentlich dürftig. In diesen zwei Opern ist „alles drin“ – Liebe, Verrat, Eifersucht, Rache und als deren Folge der finale Tod auf der Opernbühne (oder im akustischen Hintergrund). Wer das von einer Oper erwartet, wurde an diesem begeisternden Abend an der Hamburgischen Staatsoper fürstlich bedient.

Die Inszenierung von Giancarlo Del Monaco aus dem Jahr 1988 überzeugt auch heute noch in allen Facetten. Das für beide Teile einheitliche Bühnenbild (Bühnenbild und Kostüme: Michael Scott) katapultiert den Zuschauer unmittelbar in eine Welt sizilianischer Kleinbürgerlichkeit hinein. Unmittelbar auf dem Vorplatz des Doms entfaltet sich in unmerklich dramatischer werdenden Schritten das tragische Geschehen.

Dabei beginnt musikalisch alles mit einer friedlichen, warmtimbrierten sinfonischen Einleitung, die an Giacomo Puccini, Georges Bizet oder auch Arrigo Boito erinnert und das ganze Klangspektrum des Verismo auslotet. Ein gut aufspielendes Philharmonisches Staatsorchester unter der umsichtigen Leitung von Daniele Callegari erzeugte eine wunderschöne spätromantische Klangwelt. Das alles wurde zusätzlich getragen von wunderbaren Chören (Leitung: Eberhard Friedrich, Luiz de Godoy), deren Mitglieder sowohl gesanglich als auch darstellerisch begeisterten und mit riesigem Applaus bedacht wurden.

Steht im ersten Teil die Domplatzszene im Mittelpunkt des dramatischen Geschehens, so ist es im zweiten Teil eine Festplatzatmosphäre, die den Auftritt einer schaustellerischen Theatergruppe einrahmt. In Hamburg heisst ein derartiges Volksfest auch „Dom“ – so scheint es also wieder zusammen zu passen als Ort sozialer Begegnung.

Staatsoper Hamburg © Westermann

Im Zentrum der „Cavalleria rusticana“ entfaltet sich das Drama nur zwischen wenigen Personen. Im Mittelpunkt steht Santuzza, die durch die russische Mezzosopranistin Ekaterina Gubanova hervorragend dargestellt wurde. Sie zeigte in ihrer Stimme die klagenden Zwischentöne einer zerbrochenen, zu allem entschlossenen und doch am Schluss zusammenbrechenden betrogene Frau, der das Leben von Moment zu Moment immer weiter aus der Kontrolle entgleitet.  Sie sang mit wunderbarer, zu Herzen gehender Expressivität, die niemanden im Publikum kalt lassen konnte. „Brava“-Rufe und riesiger Schlussbeifall waren der verdiente Lohn für einen sängerischen Höhepunkt.

Die männlichen Partien konnten damit nicht mithalten, zeigten aber gleichwohl gute Leistungen. Marcelo Puente, Tenor, als Turiddu und George Petean, Bariton, als Alfio fehlten teilweise die entscheidende Prise „Feuer“, um an die Glaubwürdigkeit ihrer Kollegin heranzureichen. Die Frau, um die es bei der Affäre geht, ist Lola, die Ex-Geliebte Turiddus, gesungen von der österreichischen Mezzosopranistin Ida Aldrian. Ihre Stimme ist wohlklingend und jugendlich wirkend, was zu ihrer Rollendarstellung sehr gut passte und voll überzeugte. Auch für sie gab es viel Beifall.

Die Rolle Turiddus Mutter, Lucia, wurde sehr eindringlich von der deutschen Mezzosopranistin Renate Spingler gesungen, die ihre Rolle auch darstellerisch mit großer Glaubwürdigkeit  gestaltete. Die dramatische Schlussszene geht unter die Haut.

Fast wie ein lebendes Wimmelbild beginnt der zweite Teil des Opernabends nach der Pause. Das Volk ist in Festtagsstimmung, ohne zu ahnen, was bereits  im Hintergrund brodelt. Man erwartet voller Ungeduld die Ankunft einer fahrenden Schauspieltruppe. Als diese endlich kommt und ihre Wagen aufbaut, kennt die Vorfreude keine Grenzen mehr. Mit dabei ist der beliebte Darsteller Canio, gesunden von dem italienischen Tenor Vittorio Grigolo. Bereits sein erster Einsatz zeigt die Klasse seiner Stimme, die hell und strahlend das Operrund mühelos erfüllte. Auch darstellerisch überzeugte er durch eine bewegliche und natürlich wirkende Körpermotorik im Rahmen der rollenbezogenen Personenführung. Keinerlei Anzeichen eines aufgestellt wirkenden Posengesanges.

Nedda, die Herzensdame Canios und seine Ehefrau, gesungen von der russischen Sopranistin Anna Princeva, passte zur Rolle, Stimme und Persönlichkeit Canios, wie es besser nicht hätte sein können. Klar und hell mit fehlerfreien und schönklingenden Höhen bot sie eine überzeugende Leistung. Der emotionale Besitzanspruch Canios ist es, der letztlich alles in die Tiefe reißt. Seine Bajazzo-Arie („Vesti la giubba“) bringt er wohltimbriert und mit packender Intensität, aber eben nicht in Clowns-Kostüm, zu Gehör. Der Vorhang fällt bereits, bevor der Beifall aufbrausen kann.

Es ist letztlich Canios nicht beherrschbare Eifersucht, die aus ihm einen rächenden Mörder macht – der Ausgang ist tödlich.

Begeisterter Schlussapplaus mit mehreren Vorhängen, Bravi-Rufen und Ovationen für Vittorio Grigolo für eine fulminante Gesangesleistung. So schön kann eben nur Oper sein.

Dr. Holger Voigt, 19. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 Besetzung:

Santuzza: Ekaterina Gubanova, Mezzosopran
Turiddu: Marcelo Puente, Tenor
Alfio: George Petean, Bariton
Lola: Ida Aldrian, Mezzosopran
Lucia: Renate Spingler, Mezzosopran
Canio: Vittorio Grigolo, Tenor
Nedda: Anna Princeva, Sopran
Tonio/Taddeo: George Petean, Bariton
Beppe/Arlecchino: Seungwoo Simon Yang, Tenor
Silvio: Nicholas Mogg, Bariton

Peter I. Tschaikowsky, Eugen Onegin, lyrische Szenen in sieben Bildern Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme, 14. April 2024

Giacomo Puccini, Turandot, lyrisches Drama in drei Akten Staatsoper Hamburg, 10. April 2024

Cavalleria rusticana / Pagliacci Staatsoper Hamburg, 1. April 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert