Ein herausragendes Ensemble macht Tschaikowskys Eugen Onegin zum großen Opernerlebnis

Peter I. Tschaikowsky, Eugen Onegin, lyrische Szenen in sieben Bildern  Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme, 14. April 2024

Elbenita Kajtazi (Tatjana) und Dovlet Nurgeldiyev (Wladimir Lenski) (Foto: RW)

Und wie Elbenita Kajtazi ihre Rolle darstellerisch und stimmlich charakterisiert, geht tief unter die Haut. So eine Tatjana habe ich auf der Bühne bisher nicht erlebt. Je nach Seelenverfassung zeigt sie eine weiche samtige Stimmfärbung oder golden aufblühende Töne, um dann in den leidenschaftlichen Ausbrüchen in der Höhe einen Saphirglanz zu verströmen, der betroffen macht. Onegin wäre ihr rettungslos verfallen, wenn er sie, statt ihren Brief zu lesen, beim Singen hätte belauschen können.

Eugen Onegin, lyrische Szenen in sieben Bildern
nach Alexander Puschkins Briefroman

Musik von Peter I. Tschaikowsky

Philharmonisches Staatsorchester
Leitung   Finnegan Downie Dear
Inszenierung nach Adolf Dresen in den Bühnenbildern nach Karl-Ernst Herrmann

Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme, 14. April 2024


von Dr. Ralf Wegner

Eugen Onegin ist kein einfaches Werk, eines, welches sich gleich nach dem ersten Sehen erschließt. Es fehlen die großen dramatischen Gefühlsausbrüche wie bei Wagner oder Verdi, ebenso die sich sofort in die Ohrwindungen einbrennenden ariosen Melodien. Dafür zeigt Tschaikowskys Meisterwerk eine Tiefenspannung, die sich mit jedem neuen Sehen weiter festigt.

Anders als es der Name der Oper vermuten lässt, steht die Sängerin der Tatjana musikalisch stärker im Vordergrund als der titelgebende Onegin. Und diese mutige Seele, die sich einem ihr eher aus der Ferne bekannten Mann mit Liebesschwüren öffnet, wurde von Elbenita Kajtazi mit einer inneren Hingabe gesungen, die ihresgleichen sucht. Kajtazi vermag es zudem, mit ihrem Gesang, die jeweiligen Partner zu Höchstleitungen anzustacheln. Das war bei Benjamin Bernheim in Manon so, aber auch in La Traviata mit Artur Ruciński.

Bei der gestrigen Vorstellung erweckte sie selbst in dem eher still agierenden Alexey Bogdanchikov eine Leidenschaft, die von vorhergehenden Sängerinnen der Tatjana bei ihm nicht hervorgerufen werden konnte. Dabei ist Bogdanchikov stimmlich über jede Kritik erhaben. Sein kräftiger, farbmodulierter Bariton verfügt über eine Schönheit, wie sie nur wenige Sänger seines Fachs aufweisen, erwähnt sei das Arioso am Ende der Gartenszene, als er Tatjana über die Unvereinbarkeit einer Ehe mit ihm belehrt.

Nach dem 4. Bild: Janina Baechle (Filipjewna), Elbenita Kajtazi (Tatjana), Alexey Bogdanchikov (Eugen Onegin), Dovlet Nurgeldiyev (Wladimir Lenski), Kristina Stanek (Olga), Katja Pieweck (Larina), Peter Galliard (Triquet) (Foto: RW)

Elbenita Kajtazi war Tatjana, die schüchterne, über sich selbst hinaus wachsende junge Frau, die etwas wagt, daran scheitert, aber für ihr Gefühlsleben Kostbares im Herzen einschließen kann, eine innige Liebesempfindung; anders als offensichtlich ihre Amme Filipjewna (Janina Baechle) oder wohl auch ihre Mutter Larina (Katja Pieweck).

Und wie Kajtazi diese Rolle darstellerisch und stimmlich charakterisiert, geht tief unter die Haut. So eine Tatjana habe ich auf der Bühne bisher nicht erlebt. Je nach Seelenverfassung zeigt sie eine weiche samtige Stimmfärbung oder golden aufblühende Töne, um dann in den leidenschaftlichen Ausbrüchen in der Höhe einen Saphirglanz zu verströmen, der betroffen macht. Onegin wäre ihr rettungslos verfallen, wenn er sie statt ihren Brief zu lesen beim Singen hätte belauschen können (dabei fällt mir als Beispiel Andrej Bolkonskij aus Tolstois Krieg und Frieden ein, der die junge Natascha Rostowa von seinem Fenster aus singen hört und ihr ab dem Moment verfallen ist).

Wie soll man Kajtazis Stimme noch beschreiben; wie gekonnt sie ein leicht flirrendes Vibrato einsetzt, um Tatjanas bebenden Seelenzustand zu charakterisieren; und ihre Stimme trägt weit in den Raum hinein, und bleibt selbst im Forte ohne jede Schärfe. Ihre eigentliche Leistung ist es aber, nicht nur die komponierten Melodien formvollendet zu singen, sondern mittels Klang die innere Empfindung Tatjanas unmittelbar in das Herz der Zuschauer zu senken. Solange Sängerinnen wie Elbenita Kajtazi auf der Bühne stehen, wird die Kunstform Oper nicht sterben.

Alexey Bogdanchikov (Eugen Onegin), Elbenita Kajtazi (Tatjana), Finnegan Downie Dear (musikalische Leitung), Dovlet Nurgeldiyev (Wladimir Lenski), Alexander Roslavets (Fürst Gremin) (Foto: RW)

Dovlet Nurgeldiyev sang mit seiner umwerfend schönen lyrischen Tenorstimme wieder Wladimir Lenski und anstelle von Alexander Tsymbalyuk war die Rolle des Fürsten Gremin diesmal mit Alexander Roslavets besetzt. Die große Arie im sechsten Bild hatte zwar nicht den weichen Schmelz, mit dem Tsymbalyuk Jubelstürme auslösen konnte, dafür verfügte Roslavets Bass über mehr dramatischen Kern und auch über die notwendige Schwärze. Beide wurden am Ende ebenso wie Kajtazi und Bogdanchikov von einem enthusiasmierten Publikum lange umjubelt, ebenso wie der das Philharmonische Staatsorchester umsichtig leitende britische Dirigent Finnegan Downie Dear.

Aber auch die anderen Sängerinnen und Sänger gaben ihr Bestes wie Kristina Stanek als Olga, Andre Nevans als Vorsänger, Mateusz Lugowski als Hauptmann, Liam James Karai als Saretzki sowie Peter Galliard in seiner als Triquet unnachahmlichen Art, das Tatjana gewidmete Namenslied stimmlich leicht zu ironisieren.

Das Bühnenbild und die Inszenierung der 1979 premierten Aufführung gehören nach wie vor zum Besten, was auf der Hamburger Opernbühne zu sehen ist. Die deutschlandweite Erstaufführung von Eugen Onegin fand übrigens an diesem Hause 1892 bei Anwesenheit des Komponisten unter der musikalischen Leitung von Gustav Mahler statt.

Zwei weitere Vorstellungen in der herausragenden gestrigen Besetzung mit nahezu ausschließlich Ensemblemitgliedern gibt es noch am 18. und 20. April diesen Jahres.

Dr. Ralf Wegner, 15. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Eugen Onegin, Oper von Peter I. Tschaikowsky Staatsoper Hamburg, 14. Februar 2023

Eugen Onegin, Oper in drei Akten von  Pjotr I. Tschaikowsky Staatstheater Augsburg, Premiere  8. Oktober 2023

Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, Eugen Onegin Theater Lübeck, 2. September 2023, Premiere

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert