Ein Lob der Ohrfeige – oder hätten Sie den König geschlagen, Sir John?

The Constellation Orchestra, The Constellation Choir  Elbphilharmonie, Großer Saal, 7. Dezember 2024

Foto: Archiv/Bach: h-Moll-Messe / Sir John Eliot Gardiner © Daniel Dittus

…(Ich frage zwei Wochen zu spät, I do beg your pardon, I was afraid!!!)

The Constellation Orchestra
The Constellation Choir

MARIE LUISE WERNEBURG SOPRAN
ELINE WELLE MEZZOSOPRAN
PETER DAVOREN TENOR
ALEX ASHWORTH BASS

Dirigent Sir John Eliot Gardiner

Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Schwingt freudig euch empor BWV 36 (1731)

Marc-Antoine Charpentier (1634–1704)
Kyrie, Gloria und Credo
aus: Messe de minuit à 4 voix, flûtes et violons, pour Noël (1694)

Marc-Antoine Charpentier
Sanctus et Benedictus und Agnus Dei
aus: Messe de minuit à 4 voix, flûtes et violons, pour Noël

Johann Sebastian Bach
Unser Mund sei voll Lachens BWV 110 (1725)

Elbphilharmonie, Großer Saal, 7. Dezember 2024

von Harald Nicolas Stazol

Eure Lordschaft, Charles geschlagen zur Krönungsmesse? Seine frischgesalbte Majestät? Ging er doch zur falschen Seite ab, Camillawärts? Links um den Thron, mit der „Queen Consort“ im rotweißen Ornat? Auf dem Haupte die Krone Englands.

Es muss Sie gezuckt haben, your Grace.

Da hatten Sie schon „Zardoz the Priest“ und natürlich „God save the King“ unter ihren Baton gezwungen, in der Westminster Abbey, wie zuletzt Sir Thomas Beecham, zur Inthronisation Lilibeths, der Mann, der einer Cellistin des BBC Orchestra 1956 sagte, „You’ve an instrument between your legs, use it!“ – aber diese Zeiten sind ja dank metoo vorbei.

Und nun atme ich Ihre Luft, your Lordship, im brechend voll besetzten Saal des Juwels an der Elbe, und ich denke an Ihren Brahms zurück vor einem Jahr, und wie ich Ihnen da schon zu aristokratischen Füssen lag, besonders in dem Momente, als Sie, Your Grace, eine Husterin, Brahms zwei, Satz zwei, derart insinuierte, dass Sie fast abbrachen… und der Intendant zu 3+4 nächsten abends uns allen demonstrierte, wie man in eine Armbeuge niesen kann.

Sir John, ganz im Vertrauen, wurden Sie geschlagen? Wie Asquith, Churchill, ja, wie Edward Heath? Ich weiß es. Ja, Sie wurden es.

Die erste Ohrfeige, die ich erhielt, war die einer Klosterschwester, Schwester Constantia. Auf eines ihres irren katholischen Kicherns sagte ich, ich muss sechs Jahre alt gewesen sein, einen neuen Satz ausprobierend, „Lach nicht so blöd“. Da schlug sie mich. Eine katholische Klosterschwester.

Sir John, ich weiß wohl, dass Sie ihre Eltern genau für eine Stunde am Abend sahen, nach der Tea Time. Ihr Schicksal ist mir verständlich. Sie sind ein Kind des späten Imperialismus.

Da seh ich Sie bei Brahms – ich hatte den SPIEGEL informiert, keine Reaktion – und denke, DAS ist der Mann, dessen Namen Du schon mit 12 auf „Bayern 4 Klassik“ verehrst.

Lord Gardiner, ich verehre Sie, ja, Sie sind mir Vorbild. Nun gut, auch Ihres klangvollen Namens wegen. Erinnern Sie Timothy Garton Ash? DEN Political Analyst der London School of Economics?  Aber ich schweife ab.

Die vorletzte Backpfeife, die ich erhielt, war mit 14, als ich mich vor dem Stadttheater Ingolstadt an die Herrenhandtasche meines Vaters wagte, im Gehen, zu den 10 Mark für Thomas Quasthoff, einen Schubert Liederkranz, wenn ich es recht erinnere.

Ohrfeigen waren für mich, Sir, oft die einzige Möglichkeit, mich aus einer manischen Episode herauszuholen, einmal schlug mich mein Freund Kim, ein Baum von blondem Kelten, am Eingang eines Reeperbahn-Clubs an die Wand – ich hatte dort ein Glas zu Boden geworfen, weil Bronson, mein Geliebter ging, wurde rausbugsiert, und schrie: „This would never have been happened in London, I am Lord Darlington, you BASTARDS“ – und ich selbst habe hysterisch-ausflippende Demoiselles selbst schon entsorgt, WENN sie wohl freudianisch definiert, oder als Opfer ihrer Östrogene, zu Furien wurden im Salon, weil die Kalesche des Geliebten nicht eintrifft: „Johann, bringen Sie gnädiges Fräulein hinaus, sie vergisst sich. Und ruhig eine Ohrfeige“.

So wurde meine Großmutter bedacht, und auch Maman, wenn ihre Schilddrüse aussetzte.

Sir John, ich verstehe Sie. Nein wirklich, „If one Note in a Symphony is wrong, the whole Symphony is ruined“ sagt der Roboter in „Alien Covenant“ – bei Ihnen ist einfach kein Ton falsch.

Und von Johann Sebastian Bach wüsste ich Keinen, der ihn außer dem Windsbacher Knabenchor besser verstünde.

Nun also zum Konzert, zwei Wochen zu spät.

Free drinks for all – HA, jetzt dreht HNS durch, denken Sie? Doch weit gefehlt! Die gibt es, allerdings nur diesen schauerlichen Weiß Burgunder, denn seine Lordschaft, Sir John Eliot Gardiner, lässt noch auf sich warten, man avisiert 20.30 Uhr, sodass wir Hartgesottene Elphis es uns auf den Treppen bequem machen, als wäre Rudi Dutschke im Audimax.

Tatsächlich ist das nun hier die Weltpremiere eines Orchesters, des Ihren my Lord. Welche Ehre.

Dass sich gleich so überragende Orchester cum Choir, davon vier Solisten, drei Bachtrompeten, ein Lautist, und vier Traversflöten sind „wegen schlechten Wetters in Heathrow“ zu spät.

Und wer – ich frage SIE! – wäre, außer Sir John, in der Lage, noch einen Charterflieger klarzumachen, wer weiß, gerade hat er noch die Krönung dirigiert, aber HA! Der Papierkrieg, the paper wars seit Brexit – auf dessen Auswirkungen auf die Kulturlandschaften und -Politik ich einst in der KONKRET hinweisen durfte, „nun, jetzt sind auch die Koffer angekommen, und sie suchen nur noch ihr Gwand!“, es muss der Intendant sein auf der Bühne – und deswegen auch die Drinks aufs Haus…

Und dann zeigt ein britisches Spitzen-Ensemble uns allen, dem Tor zur Welt, und der besseren Welt, und der ganzen Welt, wie J.S. Bach geht, und wie Charpentier gleich mit.

Federnd kommt der Achtziger auf die Bühne, im schwarz-schillernd-samtenen Mao-Hemd, mit Knötchen vorn und rundem Kragen oben – so präsentiert er sein urbrandneues Ensemble in Weltpremiere, nein, nicht in London, sondern in der Hansestadt Hamburg unter tiefen Verbeugungen und einem Vorschussapplause, dessen sich der Schreiber dieser Zeilen anderenzeits nicht erinnert.

Zu behaupten, dass jener auch nur eines jener vier Werke mit den wunderbaren Psalmen kennt, wäre vermessen – aber sie nun kennenlernen zu dürfen, auf Knien vor einem Briten, der rein körperlich alle überragend musisch-musikalisch gerade alle überragt, un-er-mess-lich!

Sir John, Sie überraschen nie! Ich wollte sagen: Immer!

Dass Sie als waschechter Normanne durchgehen, auch im schwarzsamtenen Mao-Hemd, Sie schimmern bis in den 14.Rang – da zittere ich schon um jeden Sänger. Rechts gehen sie ab, die Solisten, rechts und links, und vor – und um Gottes Willen – schlägt er, oder schlägt er nicht?

Dabei wähnten wir seine Lordschaft doch auf seiner Farm in North Dorset?

Mitnichten.

„Mit seinem neu gegründeten The Constellation Choir & Orchestra bringt Sir John Eliot Gardiner am zweiten Adventswochenende schönste Barockmusik von Johann Sebastian Bach und Marc-Antoine Charpentier in die Elbphilharmonie. Es ist der erste Auftritt der neuen Ensembles, die auf die langjährige Expertise des Originalklang-Pioniers Gardiner zurückgreifen können.

Die »Messe de Minuit« von Marc-Antoine Charpentier setzt den lateinischen Messtext auf die Melodien zehn alter französischer Weihnachtslieder und folgt damit der Tradition des Landes, die frohe Botschaft mit tänzerischem Schwung und großer Fröhlichkeit zu feiern.

Mit den zwei folgenden Kantaten von Johann Sebastian Bach, einst entstanden für die Weihnachtszeit in der Leipziger Thomaskirche, präsentieren Gardiner und seine Ensembles den Komponisten, den der Dirigent mal als den für ihn wichtigsten überhaupt bezeichnet hat.

The Constellation Orchestra & Choir sind der Kern der von John Eliot Gardiner gegründeten Springhead Constellation. Mit ihnen möchte der Dirigent ambitionierte, multidisziplinäre Konzertprojekte realisieren und weltweit auf Tournee gehen.“

Sir –

Im Felde ungeschlagen.

Harald Nicolas Stazol, 20. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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