Denkwürdig: Freunde und Schüler kredenzen einen musikalischen Geburtstagsstrauß für Alexei Lubimov zum 80. Geburtstag

Alexei Lubimov & Friends zum 80. Geburtstag  Konzerthaus Berlin, Kleiner Saal, 20. September 2024

Alexei Lubimov © ecmrecords.com

C. Bechstein Klavierabend

Alexei Lubimov & Friends zum 80. Geburtstag – Konzert an historischen Hammerflügeln und am modernen Konzertflügel

Alexei Lubimov / Klavier
Viacheslav Shelepov / Klavier
Olga Pashchenko / Klavier
Olga Andryushchenko / Klavier
Tomasz Ritter / Klavier
Hubert Rutkowski / Klavier

Konzerthaus Berlin, Kleiner Saal, 20. September 2024

von Julian Führer

Im Kleinen Saal des Konzerthauses Berlin fand ein ganz besonderes Konzert statt, geprägt von familiärer Vertrautheit und Spielfreude. Anlass war der 80. Geburtstag des russischen Pianisten Alexei Lubimov, der so angemessen im Kreise von Schülern, Weggefährten und Freunden musikalisch gefeiert wurde. Besonders reizvoll wurde dieser Abend durch den Wechsel der Instrumente.

Den Anfang machte der Jubilar selbst mit Mozarts Fantasie d-Moll KV 397, vorgetragen an einem Hammerflügel von Mathias Müller von 1810. Das hochbetagte Instrument hat zumindest 2024 einen starken Nachhall und macht Mozart noch schwerer zu spielen als ohnehin schon, eine Saite schien noch mehr als beabsichtigt nachzuschwingen. Die d-Moll-Fantasie schlägt einen melancholischen Tonfall an, wobei anders als in dem späteren Rondo a-Dur KV 511 die Wendung nach Dur weniger verschattet und ephemer ist. Verminderte Arpeggien wie wenig später bei Beethoven zeigen einen Mozart, der gerade am Klavier die Grenzen des kompositorisch Möglichen erweiterte.

Das folgende Impromptu As-Dur op. 90 Nr. 4, D 899 von Franz Schubert fristet oft ein Dasein als Zugabe, wenn die eigentliche Konzentration des Publikums schon nachlässt. Wie schön, das Stück einmal am Anfang eines Abends erleben zu können! Man kann das Impromptu als Bravourstück für Tastenlöwen auffassen, dabei ist es doch ganz Schubert mit der ihm eigenen Verletzlichkeit im pianistischen Detail. Lubimov betonte, immer noch am Hammerflügel, die Basslinie, nahm die vermeintlich leicht perlenden Läufe in der rechten Hand erstaunlich zurück und blieb bei einem eher mäßigen Tempo.

Die folgenden Stücke von Cimarosa und Scarlatti bot Viacheslav Shelepov an einem modernen Fabrikat von Bechstein dar. Der Kontrast war überdeutlich, allein beim Bass im Kopfsatz von Cimarosa waren ganz andere Klangvolumina zu hören. Die ganze Brillanz des Instruments wurde bei Glinkas Variationen über das Lied «Die Nachtigall» von Alyabiev deutlich. Der Konzertflügel bietet die Möglichkeit, das Stück, das pianistisch anspruchsvoll alle Register des Instruments abdeckt, gleichmäßig transparent und doch an den entsprechenden Passagen wuchtig zu spielen, ohne jemals metallische Schärfe an den Tag zu legen.

In dieser Beziehung ist ein großer Bechstein anderen bekannten Konzertflügeln tatsächlich überlegen und überzeugt durch Durchschlagskraft ebenso wie durch Geschmeidigkeit – vorausgesetzt natürlich, ein Künstler von Shelepovs Format steht zur Verfügung. Die Variationen oszillieren zwischen lieblich-kantablen Passagen, grummelnden Bässen und einem Überschwang, den Glinka auch in der Ouvertüre zu «Ruslan und Ludmilla» in Musik gefasst hat. In Russland wird Glinka bis heute viel gespielt, in westlichen Ländern leider weit weniger.

Mit einem weiteren selten gespielten Juwel ging es weiter. Olga Pashchenko spielte, wieder am Müllerschen Hammerflügel von 1810, Beethovens Variationen über ein eigenes Thema WoO 80. Der Eindruck hier ganz anders als bei Mozart und Schubert zu Beginn, geschuldet dem unterschiedlichen Charakter der Komposition: Das Instrument verfügt durchaus über Tiefe, dennoch ist gegenüber dem modernen Bechstein-Konzertflügel der Eindruck zunächst der eines flacheren Klangbildes gegeben. Die zeitliche Nähe zu Schubert ist unverkennbar – und auch in Beethovens Komposition präsent. Wenn hier der Bass grummelt, ist es auf diesem Instrument mit seinem starken Nachhall eher wie ein entfernter Donner und kein Hämmern, wie es eine zeitgenössische Auffassung von Beethoven mitunter suggeriert.

Olga Andryushchenko brillierte dann, wieder am Konzertflügel, zunächst mit Tschaikowskys Meditation op. 72 Nr. 5, die gemäß Ausführungsvorschrift Andante mosso und cantabile beginnt, dann aber erheblich an Dramatik zunimmt, gleichwohl pianistisch meist verspielt bleibt, obwohl es sich um eines der letzten Werke Tschaikowskys handelt. Stupend allerdings die Brillanz, mit der sie die Rhapsodie espagnole von Franz Liszt präsentierte. Kantabel, rhythmisch, schwungvoll und immer tastenlöwiger steigert sich das Stück zu einem irrwitzigen Spiel, wie Liszt es zu unbestrittener Meisterschaft gebracht hat.

Rasend schnelle Figuren, die die eigentlich nur noch angedeutete Melodie umflirren, immer komplexere Akkordfolgen, die sich aufeinandertürmen und immer neue harmonische Aspekte bringen – All dies verlangt eine sichere Technik und pianistische Übersicht, doch zeigte Olga Andryushchenko zudem eine solche nicht nur technische, sondern auch intellektuelle Souveränität im Umgang mit dem schwierigen Stück, dass hier wirklich keine Wünsche offenblieben und man dem Aufbau der Komposition in selten gehörter Klarheit folgen konnte.

Die nach dieser fulminanten Darbietung zwingende Pause erlaubte die Konzentration auf Folgendes. Zunächst Chopin, gespielt von Tomasz Ritter aus Warschau an einem Érard-Hammerflügel von 1838. Der in der öffentlichen Wahrnehmung so oft deutschtümelnde Richard Wagner schwärmte über seinen Érard, den er sich extra aus Paris hatte liefern lassen, als ‘wundervoll weichem, melancholisch süssem Instrument’, und auch das Berliner Exemplar verfügt selbst in hohem Alter über einen ganz klaren Klang, in der hohen Lage singend, einen runden Bass. Ein faszinierendes Instrument.

Chopins Prélude Des-Dur op. 28 Nr. 15 wurde in recht zügigem Tempo und eher schlicht als bedeutungsschwanger gezeigt. Die folgende Mazurka in
a-Moll und die Ballade in As-Dur, technisch sehr viel anspruchsvoller, meisterte Ritter beispielhaft, gerade die chromatischen Passagen in der Ballade. In der ganz hohen Lage erwies sich der Érard im Vergleich zu einem modernen Konzertflügel dennoch als limitiert; vielleicht einer der Gründe, weshalb Chopin meist die Mittellage bevorzugte und eher selten die ganz hohen Bereiche einbezog – anders allerdings im Andante spianato et grande Polonaise Es-Dur op. 22, gespielt von Olga Pashchenko mit Brillanz und ‘Pranke’. In diesem Stück meint man schon Liszt herauszuhören.

Zum Schluss gab es noch einmal Schubert, die vierhändige Marche caractéristique Nr. 1 C-Dur D 968b, gespielt von Hubert Rutkowski und dem Jubilar Alexei Lubimov selbst. Im Vergleich zu Schuberts Marches militaires D 733 sehr viel anspruchsvoller, schneller, vielschichtiger – und viel weniger bekannt. Im Kopfteil donnert es im Bass vernehmlich, doch auch hier, ganz Schubert, hört man immer wieder Eintrübungen, melancholische Einsprengsel, vor allem natürlich im Trio als Mittelteil.

Was für ein vielschichtiger Abend – unterschiedliche Instrumente, unterschiedliche Generationen. Ein Abend, geprägt von familiärer Atmosphäre, von Spielfreude unter Schülern, Freunden und Kollegen, dazu mit Werken, die man viel häufiger hören sollte. Durch den Wechsel der Instrumente kam noch ein musikarchäologischer Aspekt dazu. Denkwürdig, langanhaltend. Beglückend.

Julian Führer, 8. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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