Geschmeidig und zerklüftet: Rachmaninow und Tschaikowsky beeindrucken in Freiburg

Yefim Bronfman, Alan Gilbert und NDR Elbphilharmonie Orchester  Konzerthaus Freiburg, 14. Oktober 2024

Yefim Bronfman © Frank Stewart

Nicht nur das Publikum applaudierte dankbar und reichlich, sondern auch das Orchester trampelte für seinen Dirigenten Applaus. Das große Konzerthaus Freiburg war ausverkauft. Bitte mehr davon!

Konzerthaus Freiburg, 14. Oktober 2024

Sergej Rachmaninow (1873-1943)  Klavierkonzert Nr. 3 d-Moll op. 30
Peter Tschaikowsky (1840-1893)  Symphonie Nr. 4 f-Moll op. 36

NDR Elbphilharmonie Orchester
Alan Gilbert / Dirigent
Yefim Bronfman / Klavier

von Julian Führer

Sergej Rachmaninow steht für den pianistischen Brückenschlag von Russland zur westlichen Welt, für neue pianistische Welten, hochartifizielle Klangkunstwerke, je nach Qualität der Umsetzung auch für musikalischen Kitsch: Das zweite Klavierkonzert ist so „schön“, dass man es schon oft als „Soundtrack“ für eine vordergründig passende sentimentale Handlung benutzt hat.

Doch Rachmaninow hat noch ein weiteres Klavierkonzert geschrieben, das man sehr viel seltener die Gelegenheit zu hören hat. Das NDR Elbphilharmonie Orchester ist mit diesem Programm auf Tournee gegangen und war unter Alan Gilbert im Konzerthaus Freiburg mit seiner hervorragenden Akustik zu Gast.

Die ersten Töne scheinen sich Allegro ma non tanto ganz natürlich zu ergeben, das Thema ist von der so schwierig zu bewerkstelligenden Einfachheit, die es dennoch erlaubt, den Faden weiterzuspinnen.

Ruhig und unprätentiös begann Yefim Bronfman seinen Part und trat an seinem Instrument in einen Dialog zunächst mit Fagott und Horn ein. Die große Kunst und das hohe Können des Orchesters bestand an diesem Abend darin, das Orchester ungemein leise spielen zu lassen. Angesichts der Länge des Klavierkonzerts (immerhin etwa 40 Minuten) war es erstaunlich, wie wenig der Solopart Bronfman anzustrengen schien. Im Gedächtnis bleiben die lange Kadenz und der Dialog mit der Flöte und das Pianissimo, das das Soloinstrument bei der Reprise anschlug – weniger gut aufeinander eingespielte Ensembles hätten das Klavier hier überdeckt; laut spielen ist oft nicht weiter schwierig, die Abstufungen des Leisen zeigen das wahre Können.

Yefim Bronfman © Dario Acosta

Dirigent und Orchester sahen ihre Aufgabe sichtlich darin, dem Solisten das freie Musizieren im gewählten Tempo und in der gewählten Dynamik zu ermöglichen, wie die häufigen Blickkontakte Alan Gilberts zeigten, während Bronfman meist voll auf sein (höchst anspruchsvolles) Spiel konzentriert war und dabei große Ruhe ausstrahlte. Dieses musikalische Miteinander auf höchstem Niveau steigerte sich im dritten Satz noch, als beispielsweise die Pizzicati in den ersten Violinen sehr exakt und ohne Nachklapp funktionierten und Gilbert zunehmend mit Leichtigkeit und Schwung dirigierte – eine sehr klug disponierte und nie überreizte Darbietung. Und noch etwas: Es gab vorher keine Ansage, keine Durchsage, keine Einblendungen, und das Publikum war ruhiger und konzentrierter als an manch anderem Ort.

Nach der Pause dirigierte Alan Gilbert auswendig Tschaikowskys dramatisch mit einem Hörnersignal beginnende f-Moll-Symphonie, wobei er auf sparsame Gesten setzte, die bei dem bestens aufgelegten Orchester große Wirkung erzielten.

Alan Gilbert © Peter Hundert

Das breit besetzte Orchester (acht Kontrabässe) reagierte flexibel und sparte auch nicht die humoristischen Momente aus, etwa wenn die Pauke in H und Fis wie eine leicht aus dem Takt geratene Kapelle agiert – ein Kniff, den Beethoven in der ‚Pastorale‘ anwendet und den auch Mahler und Schostakowitsch praktiziert haben. Der melancholisch auf einem Oboensolo aufbauende zweite Satz geriet in der gebührenden Ruhe. Fagotte und Bratschen fanden zu einer gewissen Lautstärke, dann wurde wieder scheinbar ganz selbstvergessen musiziert.

Wenn das Solofagott das Motiv der Oboe aufnimmt, klingt es wie eine morendo verklingende Reminiszenz. Ganz anders der kurze dritte Satz, in den Streichern ein reiner Pizzicatosatz. Beeindruckend die reduzierte Dynamik und wie leise das Orchester spielen konnte, damit bereits die Ausbrüche des Finalsatzes vorbereitend. Der vierte Satz dann ist sehr schnell und con fuoco, doch in kontrolliertem Tempo, so dass doch jede Note der schnellen Läufe gut zu hören war (eine ältere Aufnahme der Berliner Philharmoniker unter Herbert von Karajan schlägt ein noch sehr viel schärferes Tempo an).

Auch wenn sich der Satz zu einer Art Hexensabbat steigert, gibt es doch die im Kontrast beeindruckenden Ruhepunkte, wo dann auch ein russisches Volkslied zitiert wird (Auf dem Felde stand eine Birke, Во поле берёза стояла), und die Suche nach der Auflösung (in Takt 205 und 207 scheint die Musik wie an eine Mauer zu rennen). Das Horn sucht den Ausweg, der in der Reprise des sehr schnellen Tempos und einer weiteren Steigerung zum Schlussakkord mündet.

Nicht nur das Publikum applaudierte dankbar und reichlich, sondern auch das Orchester trampelte für seinen Dirigenten Applaus. Das große Konzerthaus Freiburg war ausverkauft. Bitte mehr davon!

Julian Führer, 9. Januar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Philharmonisches Orchester Freiburg, Duo Berlinskaia Ancelle, Jader Bignamini, Konzerthaus Freiburg, 26. Februar 2019

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