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Kritisieren kann jeder! Aber die Gretchenfrage ist immer die nach Verbesserung. In seiner Anti-Klassiker-Serie hat Daniel Janz bereits 53 Negativ-Beispiele genannt und Klassiker auseinandergenommen, die in aller Munde sind. Doch außer diesen Werken gibt es auch jene, die kaum gespielt werden. Werke, die einst für Aufsehen sorgten und heute unterrepräsentiert oder sogar vergessen sind. Meistens von Komponisten, die Zeit ihres Lebens im Schatten anderer standen. Freuen Sie sich auf Orchesterstücke, die trotz herausragender Eigenschaften zu wenig Beachtung finden.
von Daniel Janz
Musik von Frauen ist bis heute im Konzertbetrieb unterrepräsentiert. Gleiches gilt auch für Symphonien, die eine Orgel beinhalten. Was passiert also, wenn man ein Werk findet, das beides beinhaltet? Komponiert von einer Frau, geschrieben für Orgel und Orchester und obendrein noch wunderbare Musik? Die Kombination klingt nach einem Klassiker für die Ewigkeit. Betrachtet man die Spielpläne der Konzerthäuser dieser Welt sind wir aber weit davon entfernt. Zeit also, sich einmal mit Elfrida Andrée zu befassen!
Elfrida Andrée ist eine jener Komponistinnen des 19. Jahrhunderts, die sowohl musikalisch als auch politisch Maßstäbe setzten. Ähnlich wie Dame Ethel Smyth war auch Elfrida Andrée lange als Frauenrechtlerin aktiv. Als Schülerin von Ludwig Norman und Niels Wilhelm Gade verband die spätere Domorganistin von Göteborg schwedische Tradition mit Musikexpertise und gilt als die erste schwedische Komponistin, die Orchesterwerke schuf. Dabei überzeugte sie so sehr, dass sie 1897 auch als Mitglied in die renommierte Schwedische Musikakademie aufgenommen wurde.
Man sollte also meinen, dass so eine Biografie Grund genug für einen Status als ewige Klassikerin sein sollte. Werke, wie ihre erste Sinfonie, ihre Konzertouvertüre in D-Dur, ihre Kammermusiken und auch ihre Oper „Fritiofs Saga“ hätten alle das Potenzial, in dieser Kolumne zu erscheinen.
Heraus ragen insbesondere ihre beiden Orgelsinfonien, von denen die „Symphonie in Es-Dur für Orgel und Blasorchester“ außerordentlich imposant ist. Beiden Werken merkt man Andrées beeindruckendes Können am Instrument an. Diese Sinfonie von 1892 besticht zusätzlich aber auch durch die gekonnte Kombination der Klangfarben und dem Bläsersatz. Ausdruck und Pracht der hier in Klänge gegossenen Noten wären eigentlich Grund genug, dieses Werk in den Konzertsälen rauf und runter zu spielen.
Leider aber ist das Gegenteil der Fall. So ist es schon herausfordernd, nur die Partitur über öffentlich zugängliche Quellen aufzuspüren. Die Pflege von Elfrida Andrées Erbe ist so vernachlässigt, dass nicht einmal die Stellung dieser Sinfonie in ihrem Gesamtschaffen geklärt ist. Mal nennen Quellen sie als ihre erste, das Werkverzeichnis in Öhrström nennt sie als ihre zweite Sinfonie, manchmal wird sie gänzlich ohne Nummerierung genannt.
Auch die Jahreszahl hilft nicht weiter, denn ginge man danach, müsste dies mindestens ihre dritte Sinfonie sein (ihre erste Sinfonie für Orchester entstand 1879, ihre Sinfonie für Orgel-solo wurde 1890 fertiggestellt, wobei eine frühere Version bereits 1871 aufgeführt wurde). Alleine diese Unklarheit wäre Grund für weitere Forschungsarbeit.
Dass dieses Werk alleine die Nachforschungen rechtfertigen würde, zeigen die wenigen Aufnahmen, die davon auffindbar sind. So ist der erste Satz geleitet von seinem Hauptthema ein Treiben von einem Höhepunkt zum nächsten, das sich auch wunderbar in einem kompletten Orchester umsetzen ließ. Die schillernden Klänge von vollem Orgelwerk zu Trompeten, Hörnern, Posaunen und Pauken sind aber bereits in dieser Form derart mächtig, dass sie einen Ausdruck voller majestätischer Schönheit vermitteln.
Dies setzt sich auch im zweiten Satz der Symphonie fort. Trotz seines ruhigeren Grundklangs kann die zarte Mischung der Orgelklänge mit den samtenen Bläsern sowohl im Piano als auch im Forte verzücken. Selten klingt Bläsermusik so erhaben, ohne gleich in Pathos abzudriften. Pathos finden wir stattdessen im dritten Satz „Allegro maestoso“ zur Genüge, der dieses Werk nach einem aufstrebenden Einstieg und gekonnter Mischung aus prächtigen Klängen und sensiblem Harmoniespiel in ein volles Finale führt. Noch weiter krönen könnten dies wohl nur Becken und Triangel!
Diese erhabene Musik hat so viel Potenzial, dass sie sich einerseits für regelmäßige Aufführungen und andererseits auch als Grundlage für weitere Kompositionen eignet. Immerhin scheint die Nachwelt den Namen Elfrida Andrée entdeckt zu haben, denn ihre Orgelsinfonien finden tatsächlich ab und an den Weg zur Aufführung. Doch ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft, wie man an dieser Sinfonie für Orgel und Blechblasorchester merkt. Gerade auch die bald beginnende Adventszeit könnte man also umso mehr nutzen, um einmal über das Standardrepertoire hinauszugehen und sich diesem versteckten Juwel zu widmen. Den Erfolg garantiert dieses Werk fast wie von selbst. Es bräuchte also nur noch die Aufführung.
Daniel Janz, 24. November 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Daniel Janz, Jahrgang 1987, Autor, Musikkritiker, Komponist, Stipendiat, studiert Musikwissenschaft im Master:
Orchestermusik war schon früh wichtig für den Sohn eines Berliner Organisten und einer niederländischen Pianistin. Trotz Klavierunterricht inklusive Eigenkompositionen entschied er sich zunächst für ein Studium der Nanotechnologie, später Chemie, bis es ihn schließlich zur Musikwissenschaft zog. Begleitet von privatem Kompositionsunterricht schrieb er 2020 seinen Bachelor über Heldenfiguren bei Richard Strauss. Seitdem forscht er zur Verbindung von Musik und Emotionen und setzt sich als Studienganggutachter aktiv für Lehrangebot und -qualität ein. Seine erste Musikkritik verfasste er 2017 für klassik-begeistert. 2020 erregte er zusätzliches Aufsehen durch seine Kolumne „Daniels Anti-Klassiker“. Mit Fokus auf den Raum Köln/Düsseldorf kann er inzwischen auch auf musikjournalistische Arbeit in Österreich, Russland und den Niederlanden sowie Studienarbeiten und Orchesteraufenthalte in Belgien zurückblicken. Seinen Vorbildern Strauss und Mahler folgend geht er der Frage nach, wann Musik ihre angestrebte Wirkung und einen klaren Ausdruck erzielt.
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Sehr schöner Artikel! Dieses Komposition kannte ich noch nicht.
Ich möchte jedoch bemerken, dass mir dieses Stück erst mit Kopfhörern wirklich Spaß gemacht hat! Nur so kommt die volle Wirkung zum Tragen.
Mit besten Grüßen
Fulgrim Chemos