Vladimir Jurowski, Georg Nigl, Nicholas Ofczarek © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Drei Künstler vereinten Musik und Literatur zu einer bewegenden, erschütternden Anklage gegen Krieg und Unmenschlichkeit. Sie ist heute so aktuell wie seit je. Als Zeugen der Anklage wurden Gustav Mahler, Hanns Eisler und Karl Kraus aufgeboten.
Die letzten Tage der Menschlichkeit?
Lieder von Gustav Mahler, Hanns Eisler und Pete Seeger
Auszüge aus “Die letzten Tage der Menschheit” von Karl Kraus
Georg Nigl, Bariton
Nicholas Ofczarek, Sprecher
Vladimir Jurowski, Klavier
Wiener Staatsoper, 8. Jänner 2025
von Dr. Rudi Frühwirth
“S’ist leider Krieg” sang schon Matthias Claudius in seinem “Kriegslied” des Jahres 1778. Für Karl Kraus, der den Dichter hoch verehrte, war dieses “leider” der “tiefste Komparativ von Leid”. Und heute ist, wie so oft in der Geschichte der Menschheit, leider wieder Krieg, gar nicht so weit von uns.
Das brachte den Sänger Georg Nigl auf die Idee, gemeinsam mit dem Schauspieler Nicholas Ofczarek und dem Dirigenten und Pianisten Vladimir Jurowski die Kunst des vergangenen Jahrhunderts als Zeugin gegen Krieg und Unmenschlichkeit aufzurufen.
Lieder von Gustav Mahler, Hanns Eisler und Pete Seeger verwoben sich mit Texten von Karl Kraus zu einem flammenden Manifest gegen den Wahnwitz und das unmenschliche Leid des Krieges.
Karl Kraus war einer der wenigen Schriftsteller deutscher Zunge, der sich dem Kriegstaumel des Jahres 1914 verweigerte. Er erhob mit seinem Drama “Die letzten Tage der Menschheit” die schärfste Anklage gegen die Greuel und das Grauen des Weltkriegs, die je geschrieben wurde.
Gustav Mahler musste den Krieg nicht mehr erleben; dennoch sind die für diesen Abend ausgewählten Lieder aus “Des Knaben Wunderhorn” zutiefst geprägt vom Abschiednehmen – “Wo die schönen Trompeten blasen” – und von der Angst vor dem Tod, sei es am Galgen – “Der Tambourg’sell” – oder auf dem Schlachtfeld – “ Revelge”. Die einfachste und doch treffendste Zusammenfassung der conditio humana findet sich aber im “Urlicht”: “Der Mensch liegt in größter Not”.
Hanns Eisler wurde 1916 als Achtzehnjähriger, ein Jahr vor dem Abschluss des Gymnasiums, in ein ungarisches Regiment eingezogen und kehrte 1918 nach Wien zurück. Er studierte Komposition bei Arnold Schönberg, geriet jedoch bald in weltanschauliche Konflikte mit seinem Lehrer und zog nach Berlin. Zur Aufführung von “Die letzte Nacht”, dem Epilog der “Letzten Tage der Menschheit”, im Jahr 1930 in Berlin schrieb Eisler die Bühnenmusik. Seiner Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht verdanken wir etliche wichtige Lieder, wie zum Beispiel die “Ballade vom Wasserrad”, eine Parabel, die das Wasser aufruft, nicht unaufhörlich das Rad für andere zu drehen, sondern sich endlich seiner eigenen Stärke zu besinnen. Ein Höhepunkt des Abends war Eislers Vertonung des Gedichts “Der Graben” von Kurt Tucholsky, ein Aufruf an die Soldaten, einander über den Gräben und den Gräbern brüderlich die Hände zu reichen. Der sanfte Ausklang war ein Gedicht von Peter Altenberg in der zarten, subtilen Vertonung Eislers.
Georg Nigl sang Mahler und Eisler weniger auf Schönklang bedacht als auf höchste Wahrhaftigkeit und Ausdruckskraft. Eindringlich war sein Ton im “Urlicht”, sehnsüchtig in “Wo die schönen Trompeten blasen”, klagend im “Tambourg’sell”, ein gespenstischer Aufschrei in der “Revelge”.
Wenn Nigl in der Zeile “Tralali, Tralalei, Tralalela” in verzweifelten Sprechgesang verfällt, klingt das vollkommen richtig. Durchgehend mustergültig war auch seine Interpretation der Lieder von Hanns Eisler. Dass Nigl in der “Ballade vom Wasserrad” gelegentlich in Wiener Dialekt verfiel, fand ich amüsant – schließlich war Eisler Wiener und Brecht seit 1950 österreichischer Staatsbürger. Das bekannte Lied “Sag mir, wo die Blumen sind” von Pete Seeger” sang Nigl mit der gebotenen Wehmut und Ernsthaftigkeit; hier durfte auch Ofczarek mitsingen.
Vladimir Jurowski war ein einfühlsamer Begleiter, der sein pianistisches Können auch im Prelude op. 34/14 von Dmitri Schostakowitsch zeigen konnte. Das düstere Stück in es-moll passte perfekt zur Stimmung des Abends.
Der Burgschauspieler Nicholas Ofczarek las klug ausgewählte Ausschnitte aus “Die letzten Tage der Menschheit”, dem Kontext der sie umgebenden Lieder angepasst. Er begann mit der satirisch entlarvenden Ansprache des Wieners aus der 1. Szene des 1. Akts, setzte fort mit dem Monolog “Du großer Gott der Großen und der Kleinen” des Nörglers – ein Selbstportrait des Autors – aus dem Vorspiel, und endete mit der letzten Szene des 3. Aktes, ein nächtlicher Monolog des Nörglers in Blankversen von wahrhaft Shakespearescher Größe.
Dazwischen brachte Ofczarek neben etlichen anderen die bissig satirische Szene in der Viktualienhandlung des Vinzenz Chramosta, den Dialog des “starken Essers” mit dem “normalen Esser”, das Geschwätz der Journalistin Alice Schalek an der Front, sowie eine der grausamsten und erschütterndsten Szenen des Dramas: “Winter in den Karpaten”, von geradezu unheimlicher Aktualität in diesem Winter des Kriegs in der Ukraine.
Ofczarek zog alle Register seiner Schauspielkunst, meisterte glänzend alle Tonfälle, differenzierte bewundernswert die vielfältigen Figuren des Dramas. Den sich jedem Kenner der “Letzten Tage” aufdrängenden Vergleich mit den Lesungen von Helmut Qualtinger braucht Ofczarek nicht zu scheuen, und das ist das höchste Lob, das ich aussprechen kann.
Das intensive Zusammenspiel dreier außergewöhnlicher Künstler bescherte uns einen außergewöhnlichen, unvergesslichen Abend in der Wiener Staatsoper. Am Ende erhob sich das Publikum und spendete einmütig frenetischen Beifall.
Dr. Rudi Frühwirth, 9. Jänner 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Musikalisches Programm:
Hanns Eisler/Bertolt Brecht: Ballade vom Wasserrad
Hanns Eisler/Friedrich Hölderlin: An die Hoffnung
Gustav Mahler/Des Knaben Wunderhorn: Urlicht, Der Tambourg’sell
Hanns Eisler/Bertolt Brecht: Spruch 1939
Gustav Mahler/Des Knaben Wunderhorn: Wo die schönen Trompeten blasen
Hanns Eisler/Kurt Tucholsky: Der Graben
Dmitri Schostakowitsch: Prelude op. 34/14
Gustav Mahler/Des Knaben Wunderhorn: Revelge
Pete Seeger/Max Colpet: Sag mir, wo die Blumen sind
Hanns Eisler/Peter Altenberg: Und endlich stirbt die Sehnsucht doch