Wien meets HH: Ovationen gelten Heinz Ferlesch, der Wiener Singakademie und dem Bläserensemble Pro Brass für ein Programm voller Leidenschaft

Wiener Singakademie, Bläserensemble PRO BRASS, Heinz Ferlesch: La Passione  Elbphilharmonie Hamburg, 18. Januar 2025

Stehende Ovationen für Heinz Ferlesch, das Bläserensemble Pro Brass und die Wiener Singakademie (Foto: RW)

La Passione, Wie im Himmel also auch auf Erden
10 Konzertstücke,
Elbphilharmonie Hamburg, 
18. Januar 2025

Wiener Singakademie
Bläserensemble PRO BRASS
Leitung: Heinz Ferlesch

Und wie von Engeln gesungen, durchleuchteten die Vokalisen den weiten Raum. Besonders der hohe, über die anderen Stimmen hinwegsegelnde glasklare Sopran von Felicitas Moser öffnete beim Miserere von Gregorio Allegri den Weg zum allmächtigen Gott.

von Dr. Ralf Wegner

Heinz Ferlesch, der Leiter der Wiener Singakademie, subsumierte unter dem Rubrum La Passione 10 Musikstücke der letzten Jahrhunderte, in denen nach seinen Worten menschliche Leidenschaft tonal umgesetzt wird. Der Untertitel „Wie im Himmel, also auch auf Erden“ legt es nahe, es geht in dieser Passion nicht nur um den Frieden im Himmel, sondern ebenso um das Ungute auf dieser Erde, also auch um Krieg und irdische Umweltzerstörung.

Das Reaktorunglück in Tschernobyl nahm der Komponist Werner Pirchner (1940-2001) zum Anlass, ein alarmierendes, an Sirenengeheul erinnerndes, sich einbrennendes Hörwerk in gleißende Töne zu setzen. Wie die Posaunisten des Bläserensembles Pro Brass den heulenden Sirenenton trafen, erinnerte an Probealarme, wie sie unsere älteren Angehörigen noch bis in die 1970er Jahre in Angst und Schrecken versetzen konnten. Schließlich steigerten die Trompeten das musikalische Lamento bis zum ohrenbetäubenden Fortissimo. Was für ein beeindruckendes Stück, und es handelte sich um neue, zwischen 1982 und 1986 komponierte Musik.

Als Ausgleich öffnete sich danach (symbolisch) das Dach der Elbphilharmonie und gab den Blick auf den nächtlichen Himmel mit seinen Sternen frei (in Wirklichkeit imponierte die Elbphilharmonie von außen wie ein aus dem Nebel auftauchendes Geisterschiff). Die Sängerinnen und Sänger der Wiener Singakademie griffen sich alle ein wassergefülltes Weinglas, befeuchteten ihre Finger und rieben damit den Rand der Gläser. Ein hymnischer Glasharfenklang füllte den Raum, elegisch begleitet von den Stimmen der Choristen. Auch hierbei handelte es sich um ein modernes, erst 2011 komponiertes Stück von Ēriks Ešenvalds. An anderer Stelle mag diese Komposition den Rand des Kitsches streifen, hier in der glasklaren Akustik der Elbphilharmonie verwandelte sich der Raum in ein idyllisches Elysium.

Händel wurde auch gespielt, zum einen etwas aus der Feuerwerksmusik, zum anderen – als letztes Stück – das zur englischen Königskrönung stets intonierte, sehr feierlich-festliche Zadok the Priest, mit dem der Gekrönte an die Pflichten des Herrschers erinnert werden soll.

Danach sprang das Publikum unisono, soweit zu sehen war, in allen Rängen auf und spendete dem Dirigenten des Abends Heinz Ferlesch, den Musikern sowie den Sängerinnen und Sängern begeisterten Beifall. Denn zwischen den Stücke wurde nicht geklatscht, darum hatte Ferlesch in seiner Eingangsansprache auch gebeten.

Heinz Ferlesch, musikalische Leitung, und Mitglieder beider Ensembles (Foto: RW)

Zurück zum Anfang: Was wohl kaum jemand weiß, dass der als Wüstling auf dem englischen Thron in die Populärgeschichte eingegangene Heinrich VIII., der Frauenverführer und -mörder (geschieden, gerichtet, gestorben, geschieden, gerichtet, überlebt: Katharina von Aragon, Anne Boleyn, Jane Seymour, Anna von Kleve, Catherine Howard, Catherine Parr), selbst komponiert hat. Das Stück nennt sich Pastime with good company. Es handelt von Zeitvertreib, Tändelei, Liebe und Fröhlichkeit. Es endet, man mag es kaum glauben, mit Jedermann hat freien Willen.

Johann Sebastian Bach durfte auch nicht fehlen (Bist du bei mir). Als Höhepunkt von Passione geriet aber das um 1637 von Gregorio Allegri komponierte Miserere. Teile des Chors hatten sich dafür auf die Ränge der Elbphilharmonie begeben. Und wie von Engeln gesungen durchleuchteten die Vokalisen den weiten Raum. Besonders der hohe, über die anderen Stimmen hinwegsegelnde  glasklare, bis zum dreigestrichenen c ungetrübt emittierende Sopran von Felicitas Moser öffnete den Weg zum allmächtigen Gott. Mit diesem Klangerlebnis in dem Großen Saal der Elbphilharmonie kann wohl kaum ein anderer Saal und auch wohl keine Kirche mithalten, zumindest nicht akustisch.

La Passione wurde ohne Pause durchgespielt. Es gab eine Zugabe: Felix Mendelssohn Bartholdys Verleih uns Frieden gnädiglich.

Dr. Ralf Wegner, 19. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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