„Die Frau ohne Schatten“ in Berlin: Tobias Kratzer erschlägt die Poesie mit der Brechstange

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten  Deutsche Oper Berlin, 26. Januar 2025 Premiere 

„Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin © Thomas Aurin

„Wahrlich, es ist angelegt aufs Zertreten des Zarten, und es siegt das Plumpe“ (Färberin, 2. Akt).

Dieses Zitat könnte als Motto über einer jeglicher Poesie und Empathie beraubten Deutung des Strauss-Hofmannsthalschen Meisterwerkes durch Tobias Kratzer stehen.

Richard Strauss
Die Frau ohne Schatten
Oper in drei Akten (1919)

Musik von Richard Strauss
Text von Hugo von Hofmannsthal

Regie   Tobias Kratzer
Ausstattung   Rainer Sellmaier
Dirigent   Sir Donald Runnicles

Deutsche Oper Berlin, 26. Januar 2025 Premiere 

von Peter Sommeregger

Bereits wenige Minuten nach dem Heben des Vorhanges ist klar, wohin die Reise geht: statt des Geisterboten erscheint ein Amazon-Zusteller, der Pakete in eine streng durchgestylte Wohnung liefert. Das übersinnliche Element des Stoffes versucht der Regisseur Tobias Kratzer konsequent auszublenden, entzieht damit aber dem Stück seine Glaubwürdigkeit und Poesie.
Es wird nicht sein einziger Fehler bleiben. Permanent unterläuft er die Vorgaben des Librettos, Hofmannsthal wusste schon, warum Kaiser und Kaiserin erst am Ende eine gemeinsame Szene haben. Bei Kratzer sind sie permanent ohne Interaktion beide auf der Bühne. Die großen, der Selbstreflektion dienenden Soloszenen der beiden werden so banalisiert.

Das Werk entstand während und unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg, der bekanntlich eine humanitäre Katastrophe bedeutete. Hofmannsthals Libretto, dem er danach noch eine Novelle folgen ließ, will als humanitäre Botschaft verstanden werden. Zwei Paare unterschiedlichster Art werden auf die Probe gestellt, erst wenn sie sich als reife Menschen bewiesen haben, können sie zu einer erfüllten Partnerschaft finden.

„Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin © Thomas Aurin

Kratzer wählt einen etwas plumpen Ansatz und reduziert die Thematik auf Mutterschaft, was zu verschiedenen peinlichen Szenen führt. Die Färbersfrau soll wohl Leihmutter werden, ein voyeuristisches Video deutet eine künstliche Befruchtung an, der Kaiser darf zwischendurch einmal onanieren, es gibt auch eine Fehlgeburt und einen ehelichen Koitus zu sehen.

Kratzer schöpft das Potential des schlechten Geschmacks voll aus, und greift bei der Charakterisierung der Figuren voll daneben. Wenig Erfreuliches wird auch dem Auge geboten, Rainer Sellmaiers Dekorationen und Kostüme sind von glanzloser Beliebigkeit geprägt.

„Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin © Thomas Aurin

Die Musik hat es an diesem Abend schwer, sich aus dem Würgegriff abstruser Regie-Einfälle zu befreien. Dass es ihr grandios gelingt, ist neben Donald Runnicles am Pult des satt, aber auch differenziert aufspielenden Orchesters der Deutschen Oper Berlin, aber vor allem den fünf Sängern der extrem fordernden Hauptrollen geschuldet.

Der Kaiser von Clay Hilley hat förmlich Testosteron in der Stimme, die über schier unbegrenztes Volumen zu verfügen scheint, ohne dabei in Brüllen zu verfallen. Der Färber Barak, der als einzige Figur einen individuellen Namen tragen darf, findet in Jordan Shanahan einen eher Lyrischen Interpreten, kann aber mit warmem Timbre überzeugen. Daniela Köhler als Kaiserin setzt ihren kräftigen, voluminösen Sopran gekonnt ein, die zarteren Passagen der Partie geraten ihr dabei  vielleicht ein wenig zu robust. Ihre Gegenspielerin, die Färbersfrau, wird von Catherine Foster sehr differenziert und ausdrucksstark gesungen, ihr gelingen die stärksten Momente des Abends. Marina Prudenskaya singt eine ausgezeichnete Amme, beeinträchtigt wird die Wirkung ihrer Figur aber durch die Regie, die alles Übersinnliche und Märchenhafte aus der Handlung tilgen will.

„Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss, Regie: Tobias Kratzer, Premiere am 26. Januar 2025 Deutsche Oper Berlin © Thomas Aurin

Am Ende mehrfach geteilte Reaktion des Publikums. Während Sänger, Dirigent und das Orchester verdient bejubelt werden, muss sich das Regieteam um Tobias Kratzer zahlreiche Buh-Rufe abholen, die redlich verdient waren. Man erlebte eine Inszenierung, die man ganz sicher kein zweites Mal sehen will.

Peter Sommeregger, 27. Januar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Besetzung: 

Der Kaiser  Clay Hilley
Die Kaiserin  Daniela Köhler
Die Amme  Marina Prudenskaya
Barak  Jordan Shanahan
Sein Weib  Catherine Foster

Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten Deutsche Oper Berlin, 26. Januar PREMIERE

Ein Abend mit Tobias Kratzer, dem neuen Chef der Hamburger Staatsoper, Gespräch mit Florian Zinnecker, Ressortleiter der Zeit Universität Hamburg, 8. Juni 2024

3 Gedanken zu „Richard Strauss, Die Frau ohne Schatten
Deutsche Oper Berlin, 26. Januar 2025 Premiere “

  1. Lieber Peter, ich danke Dir für Deine klaren Worte über den schlechten Geschmack dieses Kerls!! Sie bestätigen mich in meiner Entscheidung, diese Produktion auf gar keinen Fall erleben zu wollen. Der miserable Tannhäuser von Kratzer in Bayreuth hat mir schon gereicht. Beschämend, dass zahlreiche Kritiker diesen Mist auch noch hochjubeln!
    Die armen Hamburger, die diesen Strolch als Intendanten bekommen, tun mir jetzt schon leid.
    Lieben Gruß von Kirsten

  2. Dieser Text ist eine Unverschämtheit! Tobias Kratzer ist einer der genialsten Theaterzauberer der Gegenwart. Er folgt exakt dem Text, interpretiert aber neu. Nie gegen das Werk oder die Musik! So in der Frosch an der DOB, wie auch im genialen Rheingold hier in München. Wer neuen Ansätzen so offensichtlich pauschal negativ gegenüber steht, sollte halt wegbleiben. Und: Die Reaktionen in der Premiere war bei weitem nicht so negativ, wie hier beschrieben.

    Peter Knebel

  3. Es ist sehr bedauerlich, dass sich die völlig falsche Annahme, Die Frau ohne Schatten sei ein misogynes Stück, das Frauen nur in der Mutterschaft ihr Glück finden lasse, hartnäckig hält. Das ist alleine schon für einen so genialen Dichter wie Hofmannstahl viel zu oberflächlich und banal. Die Mutterschaft ist vielmehr nur eine Metapher für die Menschwerdung der Kaiserin. Erst als ihr bewusst wird, in was für ein Unglück sie die Färberin und den Färber zu stürzen im Begriff ist, Empathie empfindet und sich von den bösen Kräften in Gestalt der Amme trennt, wirft sie einen Schatten.
    Aber mit einem solchen tieferen Verständnis von Libretto und Partitur, in der sich diese Entwicklung der Kaiserin subtil spiegelt, ist Kratzer offenbar überfordert.

    Kirsten Liese

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