Christian Thielemann, Staatskapelle Berlin | Konzert zum Jahreswechsel 31. Dezember 2024 © Stephan Rabold
Ich ahne es schon: Wenn Thielemann und seine Kapelle so hoch ambitioniert weiterzusammen arbeiten, wird sie in nicht allzu ferner Zukunft die Berliner Philharmoniker überrunden. Gewiss hatte schon weiland Daniel Barenboim das Orchester in die Liga der Weltklasse weiter überführt, aber nun ist innerhalb von so kurzer Zeit schon wieder ein Niveauanstieg zu verzeichnen, insbesondere im makellos tönenden Blech.
Felix Mendelssohn Bartholdy
Ouvertüre „Die Hebriden“ op. 26
Violinkonzert op. 64
Sinfonie Nr. 3 op. 56 Schottische
Staatskapelle Berlin
Musikalische Leitung Christian Thielemann
Staatsoper Unter den Linden, 24. Februar 2025
von Kirsten Liese
Wann und wo hat man zuletzt schon ein Konzert mit einem ausschließlichen Mendelssohn-Programm gehört? Es muss schon sehr lange her sein, ich kann mich jedenfalls nicht an ein solches erinnern.
Dagegen hat mir der Pianist Menahem Pressler einmal berichtet, dass er in jungen Jahren, als er eine Platte mit Musik von Mendelssohn aufgenommen hatte, mehrfach mit dem Vorurteil konfrontiert wurde, Mendelssohns Musik besäße keine Tiefe. Kann das wirklich sein? Pressler konnte darüber freilich nur den Kopf schütteln. Und wer sich in Mendelssohns Musik versenkt, wird das wohl ebenso absurd aufstoßen.
Schließlich ist der leichtfüßig- elfenhafte Gestus von Mendelssohns Sommernachtstraum, den solche Kritiker im Kopf gehabt haben mögen, nur eine Facette in seiner Musik. Für die dramatische Ernsthaftigkeit wie auch lyrische Schönheit geben die im jüngsten Konzert der Berliner Staatskapelle anberaumten sinfonischen Werke ein gutes Beispiel.
Die standen keineswegs von Anfang an auf dem Programm, sondern verdanken sich dem Einsatz Christian Thielemanns, der die beiden Abende kurzfristig für den erkrankten Paavo Järvi übernommen hat.
Der geniale Brahms- und Schumann-Dirigent versteht sich auf die deutsche Romantik wie nur wenige Andere, und so schien absehbar, dass er die Bedeutsamkeit des immer noch ein wenig unterschätzten Mendelssohn herausstellen würde. Seine neue Stellung als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper gibt einen schönen Anlass, ein Studium von Mendelssohns Oeuvre zu vertiefen, das Repertoire zu erweitern.
Schon zu seinem Antrittskonzert hat Thielemann das zweite, selten gespielte Klavierkonzert mit Igor Levit aufgeführt, diesmal sollte es das bekanntere Violinkonzert sein, umrahmt von der Hebriden-Ouvertüre und der dritten Symphonie, der Schottischen – zwei Werke, die von der rauen schottischen Landschaft inspiriert sind und von der verfallenen Kapelle der Maria Stuart in Edinburgh.
Formal gesehen ist vor allem die Schottische ein komplexes Stück mit komplizierten Strukturen im Kopfsatz und im Finale, eine musikalische Reise durch herbe, karge Landschaften, deren Reize sich nicht alleine von den Noten her erschließen, außer vielleicht im zweiten Satz, dem Vivace non troppo mit seinem kecken thematischen Ohrwurm.
Ich muss gestehen, wann immer ich diese Sinfonie zuvor gehört hatte, selten genug, habe ich nie genau verstanden, wie die unterschiedlichen, teils wenig einprägsamen Motive ineinander greifen, insbesondere die dramatischen Passagen rauschten wild, vielleicht sogar ein wenig ungeordnet an mir vorbei.
Diesmal durfte ich die Sinfonie viel strukturierter und in sich organischer erleben, dies vor allem dank der stark herausgearbeiteten Kontraste, dem empfindsamen Spiel im Lyrischen und subtilem Dynamisieren, demzufolge die anrührendsten Stellen im Piano auch wirklich ganz, ganz leise und geheimnisvoll tönten.
Mendelssohn muss die Klarinette als Instrument wie Mozart sehr geliebt haben, jedenfalls hat er für sie in jedem Satz wie auch in der Hebriden-Ouvertüre die schönsten Soli geschrieben, die an diesem Abend in der Berliner Staatsoper in Tibor Remann einen sehr feinsinnigen Interpreten fanden.
Alle Achtung aber auch, wie die Staatskapelle zum Ende des ersten Satzes den großen Sturm entfacht, ein durch Mark und Bein gehendes Gewitter, das gleichermaßen an Beethovens Pastorale und das Vorspiel von Wagners Fliegendem Holländer erinnert. Da geht es ordentlich zur Sache, saust und braust es, ohne dass jedoch im Getöse einzelne Stimmen untergehen würden. Die Transparenz ist noch im größten Trubel gewahrt.
Ich ahne es schon: Wenn Thielemann und seine Kapelle so hoch ambitioniert weiterzusammen arbeiten, wird sie in nicht allzu ferner Zukunft die Berliner Philharmoniker überrunden. Gewiss hatte schon weiland Daniel Barenboim das Orchester in die Liga der Weltklasse weiter überführt, aber nun ist innerhalb von so kurzer Zeit schon wieder ein Niveauanstieg zu verzeichnen, insbesondere im makellos tönenden Blech. Und wer von den Anfängen bis zum Ende verfolgt hat, wie Thielemann die Sächsische Staatskapelle Dresden im Laufe seiner Ära in ihren Zenit gebracht hat, weiß, wozu dieser Mann fähig ist.
Auch das Violinkonzert gefällt mir an diesem Abend noch besser als zuletzt mit den Berliner Philharmonikern unter Marek Janowski und ihrem Solisten Augustin Hadelich. Auch der hatte freilich die melodiösen Stellen gefühlvoll gespielt, keine Frage. Und doch habe ich selten zuvor einen derart jugendlich verträumten Liebreiz in diesem Stück vernommen, sei es im melancholischen Hauptthema des Allegro molto appassionato oder im Andante.
Das tönte bei der spanischen Geigerin María Dueñas wie ein seelenvolles Lied ohne Worte, sinnlich, schön, trostreich und zärtlich. Und so wie Thielemann vielfach dem Orchester bedeutet, noch leiser zu spielen, so beherrscht auch sie die hohe Kunst des Pianospiels ohne Einbuße an Intensität bei wohl dosiertem Einsatz des Vibratos.
Der spritzige Finalsatz erinnerte im Gestus freilich an den elfenhaften Sommernachtstraum, schmetterlingshaft leicht kamen hier die Girlanden ohne virtuosen Selbstzweck zum Erklingen.
Thielemann, der an diesem Abend einmal mehr das ganze Programm auswendig dirigiert, weiß freilich um ein paar rhythmisch vertrackte Stellen zwischen Solo-Violine und Holzbläsern. Da werden seine Armbewegungen zugunsten von Präzision auch im Piano deutlich ausladender.
Das Publikum weiß das zu schätzen, feiert den Dirigenten und die bezaubernde Solistin gleichermaßen, die als Zugabe noch ein nachdenkliches, kaum bekanntes Stück, den Veslemøy’s Song von Johan Halvorson spielte.
Nur ein rein außermusikalischer Umstand stimmte an diesem sonst so tollen Abend verdrießlich: wie sich die Parkgarage über nutzlose kreuz und quergezogene Absperrbänder in ein Irrenhaus verwandelte! Was sollte dieses Labyrinth bewirken? Eine Schikane von Autofahrern? Eine sinnvolle Baustelle ließ sich jedenfalls nicht ausmachen. Am Ende ließen sich die Fahrerinnen und Fahrer aber nicht ins Bockshorn jagen und bahnten sich im Slalom zwischen den Autos ihren Weg zu nahe am Eingang gelegenen Plätzen. Absurdes Theater.
Kirsten Liese, 27. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
CD-Besprechung: Brahms/Levit/Thielemann klassik-begeistert.de, 15. November 2024