Das Jagdgewehr 2025 J. Zara, X. Puskarz Thomas © G. Schied
Ich trete in die laue Nacht hinaus und bin mir nicht sicher, wie ich mit der Einsamkeit, die sich mir mit dem Jagdgewehr einbrennt, umgehen möchte. Mit Monteverdi: „immer fliehend, werde ich mich doch stets in meiner Nähe haben.“
Das Jagdgewehr
Oper in drei Akten (2018)
Komponist Thomas Larcher
Libretto von Friederike Gösweiner nach der Novelle Das Jagdgewehr von Yasushi Inoue in der Übersetzung von Oscar Benl
Mit drei Madrigalen von Claudio Monteverdi
„O rossignuol“
„S’andasse amor a caccia“
„Vivrò fra i miei tormenti
Musikalische Leitung Francesco Angelico
Inszenierung Ulrike Schwab
Bayerisches Staatsorchester
Zürcher Sing-Akademie
Bühne und Kostüme Jule Saworski
Licht Lukas Kaschube
Chor Florian Helgath
Dramaturgie Ariane Bliss
Cuvilliés-Theater, München, 2. Mai 2025
von Frank Heublein
An diesem Abend wird das Ja, Mai Festival 2025 mit der Premiere von Thomas Larchers Oper Das Jagdgewehr im Cuvilliés-Theater in München eröffnet. Die Oper ist ein Auftragswerk der Bregenzer Festspiele, bei denen das Werk 2018 uraufgeführt wurde.
Die Aufführung beginnt in der wunderschönen Rotunde des Cuvilliés-Theaters. Auf der Ebene des zweiten Rangs singen die Sänger und Sängerinnen der Zürcher Sing-Akademie Monteverdis Madrigal „O rossignuol“. Ätherisch und doch klar und voll kommen die Stimmen bei mir an.

Und auch drinnen im Saal rezitiert der Chor erst, dann singt er das auslösende Gedicht des Dichters, in dem sich der Jäger wiedererkennt. Er wird stark getriggert und übersendet dem Dichter drei Briefe dreier Frauen. Diese sind textlicher Kern der Oper. Librettistin Friederike Gösweiner nutzt ausschließlich Teile der Novelle Das Jagdgewehr von Yasushi Inoue. Midori, die betrügende und betrogene Ehefrau Josuke Misugis. Saiko, Cousine Midoris und Mutter Shokos, sich selbst tötende Geliebte Misugis. Und Shoko, Tochter Saikos, die mit der Entdeckung des Verhältnisses ihrer Mutter zu ihrem Onkel mit diesem nichts mehr zu tun haben möchte.
Alle drei Frauen führen die Geheimnisse, die sie wahren oder entdecken zu einer fatalen verzweifelten Einsamkeit, die für eine nur im Selbstmord Auflösung ermöglicht. Geheimnisse bewahren – führt zur inneren Einsamkeit. Geheimnisse zu entdecken – führt zur inneren Einsamkeit. Die Verzweiflung. Unentziehbarer Sog. Alle drei Frauen entdecken Misugi in den Briefen ihre Geheimnisse und erzeugen mit diesen Eröffnungen seine Einsamkeit. Die Briefe schließen sein Inneres ab.

Das Opernstudio wird von zwei Ehemaligen unterstützt. Sopranistin Juliana Zara singt Shoko und Mezzo Xenia Puskarz Thomas Saiko. Vom Opernstudio selbst sing Sopranistin Eirin Rognerud Midori, Tenor Dafydd Jones den Dichter und Bariton Vitor Bispo Josuke Misugi. Auf allen Figuren lastet düstere Melancholie. Jede Frau drückt durch ihren Brief-Gesang ein klares weiteres Gefühl für mich aus. Shoko ist wütend, Saiko verachtet sich selbst und Midori ist entsetzt. Stimmlich werden die drei Partien im Verlauf der Soli in Extreme getrieben, auch in die leisen. Und auch in die höchsten Oktaven, einem Schrei nahekommend.
Die vierzehn Chorsänger und -sängerinnen der Zürcher Sing-Akademie stehen mal auf der Bühne, mal auf beiden Seiten im ersten Rang vorne. Sie verschmelzen mit den Solostimmen, unterlegen sie, sind räsonierende Resonanz der Figuren. Zudem unterstützen sie das Orchester durch Geräuscherzeugung. Stark.
Dirigent Francesco Angelico hat seine Musiker im engen kleinen Orchestergraben darüber hinaus auch in die vorderen Logen verteilt. Komponist Thomas Larcher setzt im anzahlmäßig kammermusikalischen Ensemble viel Schlagwerk ein. Ich erlebe ständige Spannung. Klangwolken, in Pauken- oder Trommelschlägen aufgelöst. Ziselierende Klangspritzerattacken. Harmonische Streicher geführte Abschnitte. Besonders erscheint mir die kompositorische Abstimmung des Orchesters mit den Sängern und Sängerinnen. Einige Male beginnen die stimmlichen Soli a cappella. In die Stille des ruhenden Orchesters wird hineingesungen und eher sanft leise erfasst mich das Gesungene und stürmt in mir umher. Das einsetzende Orchester verstärkt mein inneres Wogen.

Die Inszenierung Ulrike Schwabs und Raumgestaltung Jule Saworskis ist klug. Ein in den Innenseiten verspiegeltes Fünfeck, das durchschnitten Tische und sonstige Utensilien durch die Trennung hindurch „serviert“. Die Drehbühne verändert im letzten Teil die Atmosphäre deutlich und trägt zur Unterstützung der dramatischen Atmosphäre bei. Ich interpretiere: die Spiegel brennen den Akteuren ihre Geheimnisse reflektierend in die jeweilige Person hinein.
Die Integration von Monteverdis Madrigalen verstehe ich als kommentierende Umrahmung. Auch musikalisch ergänzt sich das Neue mit dem Alten wunderbar.
Der Text des Madrigals „Vivrò fra i miei tormenti“, das den Abend abschließt, ist eine Interpretation aller fünf Protagonisten des Jagdgewehrs. Es lautet: Ich werde inmitten meiner Qualen und Sorgen leben, in meiner gerechten Wut, rasend, umherirrend; / ich werde die einsamen und dunklen Schatten fürchten, / die meinen ersten Fehler in mich hineintragen, / und von der Sonne, die mein Unglück entdeckte, / werde ich scheu und entsetzt das Antlitz abwenden. / Ich werde mich selbst fürchten; und vor mir selbst / immer fliehend, werde ich mich doch stets in meiner Nähe haben.
In meinen Worten: Geheimnisse erzeugen Einsamkeit. Erzeugen reflektierenden Widerstand in einem selbst. Wer könnte von sich sagen, keine Geheimnisse in sich zu tragen?
Alle Künstler und Künstlerinnen inklusive Librettistin und Komponist bekommen verdienten großen Applaus für ein Kunstwerk, das lange in mir nachwirken wird. Ich trete in die laue Nacht hinaus und bin mir nicht sicher, wie ich mit der Einsamkeit, die sich mir mit dem Jagdgewehr einbrennt, umgehen möchte. Beim Heimradeln bemerke ich, dass ich mich instinktiv von den vielen Menschen auf der Straße distanziere. Ein Verarbeiten als Teil von Vielen erscheint mir unmöglich. Die eine Person, die ich mit diesem Gefühl ertragen wollte, die ich mit diesem Gefühl konfrontieren meinte zu können, die gibt es an diesem Abend nicht. Ich fühle mich in der Fortsetzung des Stücks einsam. Von welcher Figur genau? Nun, dieses Geheimnis nehme ich mit in die Nacht.
Frank Heublein, 3. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Shoko Juliana Zara
Midori Eirin Rognerud
Saiko Xenia Puskarz Thomas
Dichter Dafydd Jones
Josuke Misugi Vitor Bispo
Lucrezia und Der Mond Cuvilliés-Theater, München, 24. April 2024
Ja, Mai Festival München Brainlab Hauptsitz, München, 3. Mai 2023