Lucrezia 2024, T. Mole, L. Foor © W. Hoesl
LUCREZIA
Un atto in tre momenti (1937)
Komponist Ottorino Respighi
Libretto von Claudio Guastalla
Reduzierte Orchesterfassung von Richard Whilds (2024)
DER MOND
Ein kleines Welttheater (1939)
Komponist Carl Orff
Libretto vom Komponisten nach dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm
Reduzierte Orchesterfassung von Takénori Némoto (2007)
Premiere des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper
Cuvilliés-Theater, München, 24. April 2024
von Frank Heublein
An diesem Abend feiert im Cuvilliés-Theater in München die Produktion des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper Premiere. Sie besteht aus Respighis Lucrezia und Orffs Der Mond, die zeitlich beide in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre entstanden sind.
Kurz gesagt ist Respighis Lucrezia Licht. Der Einakter überzeugt mich musikalisch und erfasst mich emotional. Orffs Der Mond ist Schatten, kompositorisch geht das Konzept in mir nicht auf. Im zweiten Teil von Orffs Einakter breitet sich Langeweile in mir aus, die ich durch mein inneres Fragen über das Stück erkenne.
Respighis Lucrezia ist üppige hochdramatische klangfarbenreiche Musik. Dirigentin Ustina Dubitsky holt aus dem schmal besetzten Orchester eine bemerkenswerte Wucht heraus. Das Bayerische Staatsorchester ist auch in dieser kleinen Größe ein großes und differenziertes Hörerlebnis. Präzise und klar leitet und führt Dubitsky die Musiker im Graben. Im Parkett sehe ich ihre deutlichen Einsatzzeichen für die Bühne. Die verkleinerte Orchesterfassung wurde eigens für diese Aufführung produziert.
Das sängerische Ensemble ist insgesamt auf hohem Niveau. Zwei Sängerinnen stechen heraus. Mezzosopranistin Natalie Lewis singt La Voce, zuerst aus dem 1. Rang heraus. Ein Gänsehautmoment. Im Übergang vom von Respighi genannten ersten zum zweiten Moment muss ich die Stimme einen kurzen Moment erst verorten. Warmes Timbre, kräftig und differenziert. Es bitzelt im Erinnern erneut über meinen Rücken.
Sopranistin Louise Foor singt und spielt die Titelrolle Lucrezia. Der dritte Moment ist fast ausschließlich eine Arie der Lucrezia. Eindringlich, verletzt, entschlossen, mit kraftvoller heller klarer Stimme zeichnet mir Louise Floor ein präzises Bild der Gefühlslage der vergewaltigten Lucrezia.
Regisseurin Tamara Trunova verkleinert den Handlungsraum der Bühne durch einen zarten Vorhang, der lediglich drei Meter Tiefe bis zum Bühnenrand frei gibt. Auf dem werden zuweilen Lucrezia Gemälde projiziert. Kaum als solche erkennbar, mir hat die Vorabsicht ins Programmbuch unterstützt. Dahinter eröffnet sich an einigen Stellen ein eindrucksvolles Schattenspiel.
Orffs Der Mond besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Teilen. Der erste wummert stramm, voluminös und schnell. Wiederholung ist ein auffälliges Kompositionselement. Der Mond ist schnell geklaut und installiert im Reich ohne nächtliches natürliches Licht. Die vier Burschen, die den Mond stehlen sind mit den Baritonen Gabriel Rollinson und Vitor Bispo, Tenor Haozhou Hu und Bass Paweł Horodyski stimmlich und schauspielerisch sehr gut besetzt. Der erste Teil ist humoristisch ausgestaltet. Unterhaltsam.
Im zweiten Teil wird die Komposition verhalten ruhig. Die wiederholenden kompositorischen Elemente führen in mir zu Zähigkeit. Es fühlt sich an wie Herumkauen auf einem nicht frischen Kaugummi. Es geht nicht recht voran. Die Lichtgeschwindigkeit des ersten Teils wird heruntergebremst auf Superzeitlupe. Trotz aller Bemühungen der ausführenden Künstler breitet sich Langeweile in mir aus. Gerade weil der erste Teil komödiantisch flott daherkommt. Petrus feiert zuerst mit, dann crasht er die Dauerparty der Toten, die durchs von den vier an Altersschwäche gestorbenen Burschen ins Grab mitgenommene Mondlicht erwachen und abfeiern. Allerdings wird das Feiern durch die langsame ruhige Komposition in diesem Teil eher konterkariert. Der Schwung des ersten Teils ist aus der Komposition verschwunden. Bis Petrus die Toten wieder zur Ruhe schickt, dauert es gefühlt viel zu lang. Ich stelle mir innerlich die Frage, warum Orff im zweiten Teil kompositorisch so wenig aufs Libretto eingeht, das er selbst verfasst hat.
Das Orchester in kleiner Besetzung ist in einem Moment im ersten Teil fast zu durchdringend, der Chor wird teilweise übertönt. Aus meiner Sicht ist das kein Fehler, sondern kompositionsinhärent. Die musikalischen Details des zweiten Teils schält das Orchester unter Ustina Dubitsky gut heraus. Das vermag mich nur nicht aus meiner Langeweile zu reißen.
Inszenatorisch gelingt auch hier Regisseurin Tamara Trunova ein schönes Bild: eine Scherenschnittartige Burg. Der Versuch der inszenatorischen Verbindung beider Stücke erschließt sich mir allerdings nicht. Die gemalten Lucrezias werden in Der Mond noch einmal projiziert – aber warum?
Die Mitglieder des Opernstudios zeigen in – beiden! – Stücken einmal mehr, welch hohe Qualität im Nachwuchs der Bayerischen Staatsoper steckt. Respighis Lucrezia ist ein emotional eindrucksvolles wie musikalisch spannendes Erlebnis, welches ich nicht missen möchte. Von Der Mond kann ich das nicht behaupten.
Frank Heublein, 25. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung
Musikalische Leitung Ustina Dubitsky
Inszenierung Tamara Trunova
Bühne Linda Sollacher
Kostüme Eva-Mareike Uhlig
Licht Benedikt Zehm
Video Ruslan Berezovyi
Chor Franz Obermair
Dramaturgie Laura Schmidt
Lucrezia
La Voce Natalie Lewis
Lucrezia Louise Foor
Servia Xenia Puskarz Thomas
Venilia Eirin Rognerud
Collatino Liam Bonthrone
Bruto Zachary Rioux
Tarquinio Thomas Mole
Tito Vitor Bispo
Arunte Paweł Horodyski
Spurio Lucrezio Paweł Horodyski
Valerio Vitor Bispo
Der Mond
Der Erzähler Liam Bonthrone
Vier Burschen, die den Mond stehlen Gabriel Rollinson, Vitor Bispo, Haozhou Hu, Paweł Horodyski
Ein Bauer Thomas Mole
Ein alter Mann, der Petrus heißt Daniel Noyola
Bayerisches Staatsorchester
Projektchor der Bayerischen Staatsoper