Rheingau Musik Festival: Ganz persönliche Christian-Gerhaher-Lieder in Wiesbaden

Christian Gerhaher, NDR Elbphilharmonie Orchester, Krzysztof Urbański,  Rheingau Musikfestival, Kurhaus Wiesbaden

Foto: Thomas Egli (c)
Rheingau Musik Festival

Kurhaus Wiesbaden, 17. August 2018

Christian Gerhaher, Bariton
NDR Elbphilharmonie Orchester
Krzysztof Urbański, Leitung

  • Gustav Mahler, Adagio aus Sinfonie Nr. 10 Fis-Dur „Die Unvollendete“
  • Gustav Mahler, Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn
  • Ludwig van Beethoven Sinfonie Nr. 3 Es-Dur op. 55 „Eroica“

von Phillip Schober

Mit fast zweihundert Veranstaltungen jährlich gilt das Rheingau Musik Festival als eines der bedeutendsten europäischen Sommerfestspiele der klassischen Musik. Bis zum Mittelrheintal fungieren ausgefallene Orte wie Klöster, Schlösser, Kirchen und Weingüter als Spielstätte für weltweite Spitzenmusiker. Zahlreiche Konzerte, Opern und Liederabende erfüllen den hohen kulturellen Anspruch des überregional angereisten Publikums. Am Freitag spielte das NDR Elbphilharmonie Orchester ein vorzügliches Programm zweier Sinfonien, verbunden durch intime Orchesterlieder des Spätromantikers Gustav Mahler. Die Interpretation jener sieben Lieder lag bei einem der renommiertesten Liedsänger der Gegenwart, dem Bariton Christian Gerhaher.

Die „Eroica“-Sinfonie von Ludwig van Beethoven ist mit einer Aufführungsdauer von etwa einer Stunde die erste große Sinfonie in der Orchesterliteratur. Durch dieses Werk entwickelte der Komponist mit gewagten Harmonien und neuartiger Rhythmik die Wiener Klassik immer weiter. Mit dieser, seiner dritten Sinfonie, ebnete Beethoven den revolutionären Weg für alle ihm nachfolgenden Komponisten und eben insbesondere auch für Gustav Mahler.

Mahler erntete jene Früchte, die sein Vorgänger aus Bonn behutsam pflanzte. Während Beethoven in der 1804 uraufgeführten „Eroica“ den Grundstein für die Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts legte, trieb Gustav Mahler 100 Jahre später mit seinen Sinfonien die romantische Kompositionstechnik bis an ihre Grenzen und gelegentlich auch darüber hinaus. Seine 10. Sinfonie, die „Unvollendete“, ist lediglich als Fragment überliefert. Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielte den einzig vollständig auskomponierten Satz, das Adagio.

Beide Komponisten, Beethoven wie Mahler, forderten die Hörgewohnheiten ihres Publikums heraus. Ihre Werke galten in ihrer jeweiligen Zeit als äußerst radikal und fortschrittlich. Diese revolutionäre innere Verbindung zwischen Beethovens „Eroica“ und Mahlers 10. Sinfonie wusste der junge polnische Dirigent Krzysztof Urbański gekonnt darzustellen.

Urbański führte beide Sinfonien in eng verbundener romantischer Lesart auf und arbeitete akribisch die gattungsspezifischen Details heraus. Der Dirigent stellte die mit hundert Jahren Abstand entstandenen Werke eindrucksvoll in einen ganzheitlichen Kontext, wodurch dem Publikum die Parallelität zwischen Mahlers letzter Komposition und Beethovens „Heroischer Sinfonie“ vermittelt werden konnte. In jedem Takt übertrug Urbański seine Energie auf das großartige musizierende Orchester. Dadurch zu Höchstleistungen angespornt, folgte dieses ihm mit jedem Schlag seines Dirigentenstabs.

Den Höhepunkt des Konzerts stellten jedoch die zwischen den beiden Sinfonien eingebetteten Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ dar. Komponiert und orchestriert von Gustav Mahler, in Wiesbaden vorgetragen von dem einzigartigen Christian Gerhaher. Seine Stimme sorgte trotz sommerlicher Temperaturen für Gänsehaut beim gesamten Publikum. Mit Wärme gefüllt trug diese durch den großen Kursaal mühelos über das stark besetzte Orchester hinweg. Dieser Bariton hält sämtliche Eigenschaften eines einzigartigen und geradezu idealen Liedsängers inne.

Die Kombination aus intellektueller Gestaltung mit dem Einsatz versierter Technik ließ Gerhaher die Schwierigkeiten der nicht sonderlich stimmenfreundlichen Instrumentierung mühelos meistern. Er versah jede einzelne Silbe mit individuellen Stimmfarben, angepasst an das vorliegende Versmaß. Jeder emotionale Ausbruch der Gesangsstimme wurde sorgsam Silbe für Silbe vorbereitet. Da Gerhaher immer die gesamte Phrase überblickte, wurde das Lied keineswegs zerstückelt, sondern in seiner Gesamtheit deutlich strukturiert auf den Höhepunkt hingeführt. Christian Gerhaher stellte seinen Liedvortrag in faszinierender Konzentration und frei von jeglicher Eitelkeit dar. Immer im Dienst des Komponisten gehalten, wirkten die Worte des Liedsängers nicht als Schauspiel, sondern als wahres Gefühl des Vortragenden in der Schilderung seiner persönlichen Erlebnisse.

An diesem denkwürdigen Abend wurden die sieben Mahler-Lieder in ganz persönliche Christian-Gerhaher-Lieder verwandelt. „Ich bin von Gott und will wieder zu Gott“ – wundervoll einfühlsam klangen die Worte aus Mahlers „Urlicht“ durch den Konzertsaal. Christian Gerhahers göttliche Stimme sprach damit aus, was das Publikum schon lange erahnte.

Ohne Zugabe verabschiedete sich der Sänger von seinem Wiesbadener Publikum und empfing geradezu bescheiden, versteckt in den Reihen des Orchesters, den über ihn hineinbrechenden Applaus.

Sein anrührender Ausdruck als Liedersänger ist auch in der inszenierten Oper zu entdecken. Erst kürzlich triumphierte Christian Gerhaher als leidender Amfortas in Richard Wagners „Parsifal“ bei den Münchner Opernfestspielen.

Das Kurhaus Wiesbaden ist der prunkvollste und gleichermaßen akustisch wohlklingendste Konzertsaal der gesamten Rhein-Main Region. Dieser faszinierende Bau ist eine zentrale Spielstätte des Rheingau Musik Festivals. Mit seinen ausschweifenden Parkanlagen, dem Bowling Green sowie mehreren wunderschönen Seen vermittelt das gesamte Gelände höchste Festspielgefühle. Die untergehende Sonne versüßte das Ambiente eines sommerlichen Konzertabends klassischer Musik.

Phillip Schober, 18. August 2018, für
klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Christian Gerhaher, NDR Elbphilharmonie Orchester, Krzysztof Urbański,
Rheingau Musikfestival, Kurhaus Wiesbaden“

  1. Ein toller Artikel, sehr schön geschrieben. Leider konnte ich selbst nicht kommen, aber ich freue mich Kritiken von solch hohem Niveau lesen zu dürfen – als wenn ich den Abend miterlebt hätte! Es war sicher ein wunderbares Konzert, vielen Dank Herr Schober für Ihre Rezension !

    Amalas

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