Barbara Frittoli gibt auch dieses Jahr wieder auf Einladung von Sequenda Oper Studio Luxemburg Meisterkurse in Operngesang in Luxemburg. Sieben Sängerinnen und ein Sänger haben das Privileg, am Unterricht teilzunehmen: fünf Sopranistinnen, zwei Mezzosopranistinnen sowie ich selbst als Bass. Teil 2 meines Berichtes befasst sich mit dem Ablauf der Meisterkurse die sich über vier Tage erstrecken.
Foto © Jean-Nico Schambourg: Barbara Frittoli & Diego Mingolla am Klavier
Nachdem ich im ersten Teil meines Berichtes Organisation und Ausführende vorgestellt habe, erzähle ich in diesem Artikel, wie die Kurse ablaufen. Da ich mit Barbara Frittoli auf du und du bin, erlaube ich mir in der Folge des Artikels sie mit ihrem Vornamen zu benennen.
Die ersten vier Tage der Woche sind dem Unterricht gewidmet. Jeder Teilnehmer hat täglich eine Dreiviertelstunde Unterricht mit Barbara und auch mit einem der Korrepetitoren. Die Kurse sind zwar öffentlich, aber leider nützen sehr wenige Musikinteressenten diese außergewöhnliche Gelegenheit.
Von Anfang an fällt die lockere Atmosphäre auf, die im Unterricht herrscht. Barbara verhält sich nicht wie eine “Diva”, die ihr Künstlertum gegenüber den “Schülern” in den Vordergrund stellen will. Stattdessen lässt sie die Schüler von Anfang an spüren, dass sie da ist, um ihnen zu helfen. Eine der jungen Sängerinnen hat so viel Respekt und Bewunderung für die große Künstlerin, dass ihr die Stimme anfangs wortwörtlich im Halse stecken bleibt. In einem kurzen Gespräch nimmt Barbara ihr das Lampenfieber und ermutigt sie, ihr ganzes Talent zu zeigen.
Der Unterricht findet größtenteils auf Italienisch statt, da alle Teilnehmer Italienisch mehr oder weniger fließend beherrschen. Es ist jedoch kein Problem, auf Englisch oder Französisch zu wechseln, falls etwas unklar bleibt.
Barbara beschränkt ihre Kurse nicht auf Ratschläge bezüglich der Interpretation der vorgetragenen Arien. Was nützt die Arbeit an der Interpretation eines Stücks, wenn technische Fehler eine gute Ausführung verhindern? Ihr Credo dabei lautet: Die Gesangstechnik muss dem Klang dienen, der Klang wiederum der Interpretation!
Barbara nimmt sich deshalb Zeit, an den technischen Themen zu arbeiten, die eine perfekte Ausführung ermöglichen. Dabei schafft sie es, ihre Hinweise durch verständliche Bilder zu veranschaulichen.
So erklärt sie zum Beispiel das oft missverstandene Prinzip des “in die Maske singen”. Es genügt hierbei nicht, den Ton durch die Nasengegend zu singen. Der Sänger muss dabei die Knochen des Kopfes zum Schwingen bringen, um dem Klang mehr Fülle zu verleihen. Die Knochen des menschlichen Kopfes sind für die Stimme das, was der Holzkörper für die Geige ist. Durch sie wird der Klang verstärkt und in den Raum getragen.
Barbara fährt mit einem weiteren Bild fort, das sich ebenfalls auf die Geige bezieht: Der Atem fungiert als Bogen. Man muss wissen, wie man ihn durch eine kontrollierte, anhaltende Atmung und nicht durch keuchende Stöße einsetzt. Dann erreicht man das, was man „auf dem Atem singen“ nennt.
Schon nach wenigen Minuten ist bei den Teilnehmern zu hören, wie sich die Stimmen öffnen, der Klang voller wird und das Ganze mit viel mehr technischer und körperlicher Leichtigkeit einhergeht. Der Körper widersetzt sich immer weniger der natürlichen Klangerzeugung, wodurch diese an Freiheit gewinnt. Wenn nötig und mit dem Einverständnis aller wird dann auch mal Hand am Körper angelegt, um die von Barbara erklärten physischen Abläufe spürbar zu machen.

Natürlich ist ein großer Teil des Unterrichts der Interpretation der verschiedenen vorgestellten Arien gewidmet. In diesem Zusammenhang spielen bei den jungen Sängerinnen die Rezitative eine wichtige Rolle. Ihnen wird daher große Aufmerksamkeit gewidmet, insbesondere denjenigen aus Mozarts Werken.
Für eine gelungene Phrasierung ist es entscheidend, den Kontext des vorgetragenen Stücks zu kennen und zu wissen, welche Gefühle die dargestellte Figur empfindet. Jeder Satz hat seine Bedeutung und muss entsprechend gesprochen und betont werden.
Barbara arbeitet mit einer Sängerin am Rezitativ der Gräfin Almaviva aus Mozarts “Nozze di Figaro”. In ihremRezitativ vor ihrer Arie “E Susanna non vien” (Und Susanna, sie kommt nicht) besingt die Gräfin den mit Susanna vereinbarten Kleiderwechsel, um den Grafen zu täuschen: “Cangiando i miei vestiti con quelli di Susanna, e i suoi co‘ miei” (Ich tausche meine Kleider mit denen Susannas, und ihre gegen meine).
Dieser auf den ersten Blick harmlose Satz ist in seinem zweiten Teil von entscheidender Bedeutung, da die Gräfin erkennt, dass ihre Kleider von einer Untergebenen getragen werden sollen und dass diese für diesen Moment in denselben gesellschaftlichen Rang wie sie selbst erhoben wird, was sie weiter kommentiert mit den Worten “A quale umil stato fatale sono ridotta” (Wie tief bin ich gesunken).
Dieser Satz darf demnach nicht oberflächlich interpretiert werden. Barbara zeigt, wie das gesamte Rezitativ gesungen werden muss, um alle die verschiedenen Gefühle der Gräfin hervorzuheben.
In einer weiteren Lektion arbeitet sie an der ersten Arie der Amelia aus Verdis “Ballo in maschera”: “Ecco l’orrido campo” (Hier ist der entsetzliche Ort). Der Zuhörer muss schon in den ersten Sätzen das Entsetzen hören, das Amelia empfindet, wenn sie diesen dunklen Ort betritt. Satz für Satz, Wort für Wort wird diese Arie seziert und analysiert.
Barbara verlangt, dass die Interpretin sich auf die Situation und die Gefühle der Figur konzentriert. Und immer die Mahnung, natürlich zu bleiben und zu singen, als ob man sprechen würde, ohne diesem oder jenem Wort einen dramatischen Überdruck zu verleihen. Verdi hat die gesamte szenische und musikalische Regie praktisch in das Orchester verlegt. Barbara engagiert sich mit ihrer ganzen Stimme, um der jungen Sängerin ihre Sicht dieser Arie zu vermitteln. Sie singt jede Phrase, jede Zeile mit voller Energie und Inbrunst als wäre sie selbst in einer Opernprobe.
Dies sind nur zwei Beispiele aus dieser Woche, es gäbe noch so viele mehr zu erwähnen. Mit einigen Sängerinnen erarbeitet sie die Schlusskadenzen der Arien. Sie gibt ihnen auch Tipps, wie sie an diesem Punkt ihrer Karriere am besten vorgehen sollten.
Dabei betont Barbara jedoch immer, dass es sich um ihre persönlichen Ratschläge für eine Interpretation handelt, die sie für die Stimme und die technischen Fähigkeiten der jeweiligen Sängerin aktuell für geeignet hält. Sie unterstreicht, dass sie nicht die absolute Wahrheit besitzt. Und doch: wenn man ihre Erklärungen hört, fühlt man sich dieser sehr nah!
Dazwischen lockert Barbara immer wieder die Kurse mit Anekdoten aus ihrer eigenen Karriere auf und erzählt von ihren Begegnungen mit den größten Sängern, Dirigenten und Regisseuren der Welt.

Die Kurse mit den Gesangslehrern sind ebenfalls äußerst interessant und lehrreich. Sie dienen der Vorbereitung auf den Unterricht oder der Weiterführung der Arbeit, die man mit Barbara Frittoli begonnen hat. Da beide Gesangslehrer außerdem ausgezeichnete Pianisten sind, können die Teilnehmer von ihrer Erfahrung profitieren und auch neue Melodien und Arien ausprobieren. Ihre Ratschläge betreffend Interpretation folgen in der Regel der Linie der Maestra, sie bringen aber auch eigene Ideen ein und ergänzen so die große Bandbreite an musikalischen Informationen, die den Schülern während der Woche vermittelt werden.
Es sind lange Tage für die Unterrichtenden, aber auch für die Sänger. Diese verfolgen natürlich auch die Unterrichtsstunden der anderen Teilnehmer, weil sie so viele Informationen wie möglich in diesen Tagen aufsaugen möchten.
In der ganzen Woche kommen sich die Teilnehmer untereinander näher. Diejenigen, die nicht in Luxemburg ansässig sind, wohnen in einem Kloster der Franziskanerinnen, das einige Zimmer für Touristen hält. Außerhalb des Unterrichts sieht man sich öfters zum Essen und verbringt auch sonst den einen oder anderen Moment zusammen, um sich auszutauschen oder sich gegenseitig zu helfen. Ich selbst betätige mich dabei als Fahrer, Bäcker oder Mädchen für alles. So vergeht die Woche viel zu schnell. Für Samstag ist das Schlusskonzert angesetzt, von welchem ich im letzten Teil demnächst berichten werde.
Jean-Nico Schabourg, 18. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at