Schammis Klassikwelt 30: Von Räubern und Piraten

Schammis Klassikwelt 30: Von Räubern und Piraten  klassik-begeistert.de, 29. September 2024

Foto ©️ Jean-Nico Schambourg

Auf der Bühne werden sie zu Helden!

Keine Angst! Dieser Artikel handelt nicht von korrupten Politikern, geldgierigen Bankern und Wirtschaftsmanagern! Nein! Zu der folgenden Auflistung wurde ich angeregt anläßlich der Aufführung an dem Pariser “Palais Garnier” von Offenbachs Opéra bouffe “Les brigands” (Die Banditen). Im Gegensatz zu den eingangs genannten Personen werden hier “unehrliche” Zeitgenossen zu Sympathieträgern und sogar zu gefeierten Helden, auch wenn sie ihre Umwelt im Laufe des Abends zum Teil in Angst und Schrecken versetzen.

von Jean-Nico Schambourg

Die berühmteste literarische Vorlage in deren Zentrum ein “Krimineller” steht ist zweifellos Friedrich Schillers Roman “Die Räuber”. Diese Geschichte wurde nicht nur von Giuseppe Verdi vertont als “I Masnadieri” (1847), sondern schon vorher von dem italienischen Komponisten Saverio Mercadante in seiner Oper “I Briganti” (1836). Diese Oper konnte der Liebhaber von Opernraritäten vor einigen Jahren beim Rossini-Festival in Bad Wildbad wieder entdecken. Ein Mitschnitt dieser Aufführungsserie findet man auf CD bei der Firma Naxos. Verdis Oper hat öfters den Weg auf die Opernbühne gefunden, u.a. an der Bayerische Staatsoper in München.

Trailer © Bayerische Staatsoper

Von adeligem Stand und zum Räuberleben gezwungen ist Ernani aus der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi (1844), komponiert nach der Vorlage “Hernani” von Victor Hugo. Erst als er von Carlo V. seinen Adelstitel, seine Güter und seine Braut wiedererhält, wechselt Ernani wieder zurück in sein nobles Leben, dem er allerdings selbst wegen eines voreiligen blöden Schwurs im 2. Akt ein vorzeitiges Ende setzen muss!

Aus armen, sozial unstabilen Familienverhältnissen (schon der Vater war ein Bandit) stammt dagegen Dick Johnson, Anführer der Räuberbande aus Giacomo Puccinis Oper “La Fanciulla del West” (1910). Es braucht bei Puccini jedoch keines Strafverteidigers. Minnie rettet ihren Geliebten  mit Charme und Liebe vor dem Galgen und vor der Rache von Sheriff Jack Rance.

Jonas Kaufmann: Arie des Dick Johnson: Or son sei mesi (Wiener Staatsoper)

Viel lustiger geht es von Beginn an in der Opéra bouffe von Jacques Offenbach “Les brigands”, in Deutschland bekannt unter dem Titel “Die Banditen”, aus dem Jahre 1869 zu. Um an das große Geld zu kommen, schlüpft die lustige Räuberbande im Laufe des Abends in die Rollen von Bettlern, Köchen, Italiener, sowie Spanier. Am Ende stehen sie trotzdem mit leeren Händen da, weil sie von einem noch größeren Gauner um den Verdienst all ihrer Anstrengungen gebracht werden. Nach der erlassenen Amnestie wollen sie ehrliche Bürger werden.

Ein gutes Ende findet auch die Oper “Fra Diavolo” von Auber, die 1830 zur Uraufführung kam und die sich früher auch in Deutschland großer Beliebtheit erfreute. Hans Hopf, Rudolf Schock, Sándor Kónya, Nicolai Gedda sind nur einige der Tenöre, die den Bandenchef auf Bühne und Tonträger gebracht haben. Zwar wird diesmal der Räuber Fra Diavolo verhaftet, entkommt aber am Ende seiner gerechten Strafe, auch Dank seines bravourösen Gesangs.

Sergei Lemeshev: Barcarole des Fra Diavolo

Zwei weltberühmte Komiker ließen es sich nicht nehmen, 1933 in einem Film über Fra Diavolo mitzuwirken und sich sogar am Gesang zu versuchen: Stan Laurel and Oliver Hardy:

Mit viel Charme rettet in Carl Millöckers Operette “Gasparone” (1884) der als Nobelmann getarnte Räuber nicht nur das Vermögen der Witwe Carlotta vor den Machenschaften des habgierigen, tölpelhaften Bürgermeisters Nasoni. Er erobert auch schlussendlich das Herz der schönen, reichen Witwe, sowie das der Zuhörer mit seinem berühmten Lied “Dunkelrote Rosen”. Nicht nur Tenöre, sondern auch Baritone wie Josef Metternich, Hermann Prey, Thomas Hampson oder Simon Keenlyside haben sich dieses Schlagers angenommen und mit viel Schmelz vorgetragen.

Simon Keenlyside: Arie des Fremden: Dunkelrote Rosen

Einer Schmugglerbande begegnen wir in der Oper “Carmen” von Georges Bizet. Dem spießigen Guardia civil-Beamten Don José, der aus Liebe zu Carmen sich den Schmugglern anschließt, gefällt deren abenteuerliches Leben nicht und am Ende ersticht er seine Geliebte aus Eifersucht. Nicht jedem bekommt der Seitenwechsel von Polizei zu Banden, sorry Banken so gut wie mir (siehe Lebenslauf)!

Im Alter von 24 Jahren schrieb der englische Komponist Arthur Sullivan, in jungen Jahren noch ohne seinen berühmten Dramaturgen William Gilbert, seine zwei-aktige komische Oper “The Contrabandista” (1867). Die Oper wurde kein großer Erfolg, aber sie zeigt schon die Qualitäten und Kompositionstechniken auf, die Sullivan in späteren Werken erfolgreich einsetzten wird.

Vom Land aufs Wasser: Piraten gab es in der Kunst schon lange vor Johnny Depp und seinem Captain Jack Sparrow. Wer kennt zum Beispiel nicht die düstere Gestalt des Captain Hook, der seine abgeschlagene Hand durch einen Haken ersetzt hat, aus der Geschichte von “Peter Pan”?

Die bekannteste Oper über einen Piraten schrieb Vincenzo Bellini. Allerdings muss der tenorale Titelheld Gualtiero musikalisch hinter seiner Geliebten Imogene anstehen. Für sie schrieb Bellini die schönsten Melodien der Oper, so dass fast alle großen Operndiven sich an dieser Rolle versucht haben, die wenigsten allerdings auf dem künstlerischen Topniveau einer Maria Callas.

Maria Callas: Schlussszene der Imogene

Giuseppe Verdi widmete zwei Opern dem Korsaren, einem Piraten mit staatlicher Erlaubnis zum Plündern. “Il Corsaro” (1848), basierend auf dem Poem von Lord Byron, gehört in die Kompositionszeit, die Verdi selbst als seine “Galeerenjahre” bezeichnete.

Im Gegenteil hierzu entspringt die Oper “Simon Boccanegra” der schöpferischen Glanzzeit des Komponisten und ist einer meiner persönlichen Lieblingsopern. Die Geschichte des zum Dogen aufgestiegenen Korsaren wurde 1857 in Venedig uraufgeführt. Erst die Revision, angeregt durch Arrigo Boito, die 1881 an der Mailänder Scala auf die Bühne kam, brachte dem Werk den großen Durchbruch.

Richtige Piraten, die vor Entführung und Gewalt nicht zurückschrecken, gibt es in der Oper “The Pirates of Penzance”. Die komische Oper in zwei Akten, uraufgeführt 1879 in New York, gehört neben “The Mikado”, “H.M.S. Pinafore” und “Iolantha” zu den Werken vom englischen Erfolgsduo William Gilbert und Arthur Sullivan, die auch heute noch regelmäßig auf den Opernspielplänen auftauchen. So konnte man zum Beispiel letzte Saison am Staatstheater Mainz eine total gelungene amüsante Aufführung miterleben.

Trailer © Staatstheater Mainz

Wie schon bei Aubers Fra Diavolo, so hat auch bei der Verfilmung dieses Werks ein berühmter amerikanischer Schauspieler sich gesanglich hervorgetan: Kevin Kline in der Rolle des Piratenkönigs:

Es gibt noch eine Reihe weiterer Bühnenwerke in denen unehrliche Zeitgenossen eine zentrale Rolle spielen. So zum Beispiel in Kurt Weills Werk “Die Dreigroschenoper” oder in dessen historischen Vorgänger “The Beggar’s Opera” von John Gay (1728). Nicht sehr bekannt, aber trotzdem entdeckungswert, sind die Oper “Die Räuberbraut” von Ferdinand Ries (veröffentlicht auf dem Label cpo), sowie die Operette “Banditenstreiche” von Franz von Suppé (1867).

Schlussendlich sei noch erwähnt, dass auch dem größten und berühmtesten unter allen Dieben eine Oper gewidmet wurde. Die Rede ist von Robin Hood, den der englische Komponist George Alexander Macfarren 1860 zum Titelhelden seiner gleichnamigen Oper gemacht hat. Diese ist allerdings trotz der Berühmtheit seines Titelhelden weitgehend unbekannt, findet sich aber auf einer Aufnahme herausgegeben bei dem schon vorher erwähnten Label Naxos.

Fast alle diese “kriminellen” Bühnenfiguren gehen geläutert aus ihrer Geschichte hervor, ja sie werden zum Teil sogar zu ehrlichen Menschen!

Und das wiederum unterscheidet leider diese imaginären Figuren von manchen unehrlichen Vertretern aus der realen Politik und Wirtschaft!

Jean-Nico Schambourg, 29. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schammis Klassikwelt (c) erscheint regelmäßig am Sonntag.

                                                                                                         

Jean-Nico SchambourgJahrgang 1959. Gehört einer weltlichen Minderheit an: Er ist waschechter Luxemburger! Und als solcher war es normal, Finanzwirtschaft zu studieren. Begann seine berufliche Karriere bei der Kriminalpolizei, ehe er zur Staatsbank und Staatssparkasse Luxemburg wechselte. Seit jeher interessiert ihn jede Art von Musik, aber Oper wurde seine große Liebe. Er bereist ganz Europa, um sich bekannte und unbekannte Opern und Operetten anzuhören. Nebenbei sammelt der leidenschaftliche Hobbykoch fleißig Schallplatten über klassischen Gesang (momentan ungefähr 25.000 Stück). Sang in führenden Chören in Luxemburg, verfolgt seit einigen Jahren aber ausschließlich eine Solokarriere als Bass. Sein Repertoire umfasst Lieder und Arien in zwölfSprachen. Unter der Bezeichnung “Schammilux Productions” organisiert er selbst jährlich zwei bis drei Konzerte. Perfektionierte sein Singen in Meisterkursen mit Barbara Frittoli, Jennifer Larmore sowie Ramón Vargas, organisiert von “Sequenda Luxembourg”, einer Organisation zur Förderung junger Sängertalente, geleitet von seiner Gesangslehrerin Luisa Mauro. Neu auf klassik-begeistert.de: Schammis Klassikwelt, regelmäßig am Sonntag.

Jacques Offenbach, LES BRIGANDS, Opéra bouffe in drei Akten Paris, Palais Garnier, 21. September 2024

Schammis Klassikwelt 27: Sänger-Komponisten der Musikgeschichte – Teil 6 klassik-begeistert.de, 18. Februar 2024

Schammis Klassikwelt 26: Wenn es im Liederabend bellt, miaut, wiehert, zwitschert… klassik-begeistert.de, 17. März 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert