Jonathan Tetelman © Ulrich Perrey
Jonathan Tetelmans Elbphilharmonie-Debüt hätte kaum erfolgreicher sein können. Mit einem bunten Reigen bekanntester Tenor-Arien aus den großen Opern von Verdi, Ponchielli und Puccini unterstreicht der mit strahlender Tenorstimme ausgestattete Amerikaner mit chilenischen Wurzeln seine Ambitionen am Startenorhimmel der Gegenwart.
Jonathan Tetelman, Tenor
Hamburger Camerata
Frédéric Chaslin, Dirigent
Elbphilharmonie, 3. Juli 2025
von Patrik Klein
Er ist jung, sieht blendend aus, hat leuchtende Augen und das Potenzial, jugendliche Frische mit tenoralem Können zu vereinen.
Im zarten Alter von acht Jahren hatte ihn bereits die Klassische Musik interessiert. Er ging in einen Chor und in eine Chorschule. Dort begeisterte ihn die mögliche Zukunft als Sänger mit Sinfonieorchester und Auftritten auf der gesamten Welt. Über seine chilenischen Wurzeln weiß er als Adoptivkind recht wenig.
Er studierte an der Manhattan School of Music in New York Gesang als Bariton, merkte aber schnell, dass er in dieser Stimmlage falsch angesiedelt war. Der langwierige Wechsel vom Bariton zum Tenor war dann zunächst kaum mit Fortschritten belohnt worden. Tetelman gab vorerst den Gesang auf und stieg ein in eine Karriere als DJ einer Rockband.
Doch es kam die Zeit der Rückbesinnung und der Entscheidung für die Oper. Nachdem er sein Studium abgeschlossen hatte, gab er eine Reihe von erfolgreichen Haus- und Rollendebüts an berühmten großen Opernhäusern. Er debütierte 2020 am Royal Opera House Covent Garden in London sowohl als Alfredo in „La Traviata“ als auch als Rodolfo in „La Bohème“, verkörperte die Rolle des Canio in „Pagliacci“ und des Cavaradossi in „Tosca“am Teatro Regio Torino sowie am Gran Teatre del Liceu in Barcelona und gab schließlich sein Rollendebüt als Pinkerton in „Madama Butterfly“ an der Opéra National de Montpellier.
Mit nur Mitte 30 feiert der lyrischer Tenor derzeit weltweit große Erfolge mit Puccini-Opern und Arienkonzerten.
Nun sind diese Arienabende in großen Konzertsälen mit Starsänger, Stardirigenten und häufig nur mittelmäßigen Orchestern bei gleichzeitig horrenden Eintrittspreisen immer mit Vorsicht zu genießen: etliche Ouvertüren, wenige aus dem Kontext gerissene Arien und ein manchmal erschreckend niedriges musikalisches Niveau sollen die Zuhörer dennoch vergnügen und möglichst viel Geld in die Kasse spülen.
Ich gebe zu, dass ich solche Abende von sogenannten Opernstars kaum noch besuche.

Zu meinem Bedauern war es auch an diesem Abend über weite Strecken wieder so.
Und bestimmt war es ein Hochgenuss für viele Gäste, Fans und Opernliebhaber. Denn es gab nach jeder Arie und jedem Orchesterstück rasenden Applaus und Standing Ovations – Eine Inflation an Standing Ovations genauer genommen.
Ich hätte erwartet, dass ein bestens gelaunter und gut disponierter Tenor Jonathan Tetelman die Bühne betritt und eine Aneinanderkettung schwierigster Tenorarien mit Bravour zum Besten gibt, denn das feine Programm mit Werken von Giuseppe Verdi, Amilcare Ponchielli, Pietro Mascagni und Giacomo Puccini hatte es in sich.
Ich hätte erwartet, dass Jonathan Tetelman seine strahlende, individuell kaum verwechselbare Stimme mit viel Einsatz, „Italianità“ und Charme zum Glänzen bringt, denn er ist an sich ausgestattet mit einem großen Stimmumfang dank seiner Vergangenheit als Bariton sowie einem schön dunkel gefärbten Timbre. Auf den von mir angehörten YouTube Videos vernahm ich strahlende hohe Töne, die mit viel Metall und Schmelz einen jeden schon in den Bann ziehen konnten.
Nun birgt eine komplett ausverkaufte Elbphilharmonie auch die Gefahr, dass man kleinste Unsicherheiten und minimale Fehler überdeutlich wahrnimmt. Singt man dann auch direkt zu Beginn des Abends drei wirklich schwere Arien aus I due Foscari, Luisa Miller und Macbeth, kommt es vor, dass Gestaltung und Phrasierung besonders in den leiseren Passagen leiden und ein für mich unangenehmes Vibrato den Musikgenuss stört.
Mir fehlte im ersten Teil oft die emotionale Tiefe, die Wärme, das Einfühlen in die Rolle. Ging es über das Mezzoforte hinaus, wurden die Töne mit unglaublicher Kraft gebildet und die hohen standen zwar wie eine Eins im Raum, aber berührt haben sie mich nicht. Der Funke wollte und wollte einfach nicht überspringen.
Zum Abschluss des ersten Teils die Stretta aus Il Trovatore, die sogar auf Grund des Jubels des Publikums mit Standing Ovations nach wenigen Sekunden wiederholt werden musste. Der Saal tobte schon wieder, oder immer noch?
Nach der Pause wurde es dann glücklicherweise besser. Vielleicht hatte der Tausch des Anzugs von vornehm Herrenschwarz auf champagnerfarben Leger die Nervosität des ersten Teils verhüllt. Mascagnis „Mamma, quel vino“ kam dann auch schluchzend leidenschaftlich und löste scheinbar den von mir empfundenen inneren Knoten beim Mann aus Übersee.

Bei Puccini wurde es dann deutlich authentischer, ja sogar richtig gut. Hier hatte man das Gefühl, dass der Gesang maximal übereinstimmte mit dem charakterlichen Umfeld der Oper, ohne Darbietung als isolierte Einheit.
„E lucevan le stelle“ aus Puccinis Tosca ließen dann auch für meinen Geschmack die Sterne leuchten. Dem Publikum sowieso, denn was gab es wieder? – Standing Ovations.
Was dann kommen musste, war klar: Nessun dorma, ein Knaller für jeden Tenor, der Geschichte schreiben möchte. Dass das Publikum ganz außer Rand und Band war, jubelte, rhythmisch applaudierte und förmlich ausrastete vor Glück, sollte nicht unerwähnt bleiben.
Nach zwei Zugaben mit Blumenstrauß, Umherwanderung auf der ganzen Bühne auch hinter das Orchester, wo man sich die ein oder andere geflashte Dame greifen und ansingen konnte, stand man schon wieder, wenn man von Künstler und Orchester noch etwas sehen wollte. Man sah einen höchst mit sich zufriedenen Sänger, der im Trubel auf der Bühne ein Selfie von sich und seinem Erfolg machte. Standing Ovations!
Ach ja, fast hatte ich es vergessen. Da war ja noch ein Orchester, ein gutes Orchester aus der Hansestadt, die Hamburger Camerata mit einem präzisen, deutlich metrisch weisenden Dirigenten Frédéric Chaslin, der das Ensemble mit recht wenigen Streichern gut im Griff hatte und besonders beim Intermezzo aus Cavalleria rusticana mit zierendem Harfenspiel und feinsten Nuancen in vielen Farben präsentierte.
Mein Fazit: Man sollte sich den jungen Mann aus Übersee noch einmal in einer kompletten Oper anhören, denn das könnte ein anderer Genuss sein, ein Genuss auch für meinen Geschmack.
Jonathan Tetelman, Tenor
Hamburger Camerata
Frédéric Chaslin, Dirigent
Giuseppe Verdi
Qui ti rimani . . . Dal più remoto esilio / Vorspiel und Arie aus der Oper „I due Foscari“
Quando le sere al placido / Vorspiel und Arie aus der Oper „Luisa Miller“
O figli, o figli mei … Ah, la paterna mano / Vorspiel und Arie aus der Oper „Macbeth“
Ouvertüre zu „La forza del destino“
Di quella pira (Lodern zum Himmel) / Arie aus der Oper „Il trovatore“
Amilcare Ponchielli
Cielo e mar / Arie und Zwischenspiel aus der Oper „La Gioconda“
Pietro Mascagni
Mamma, quel vino / Arie und Zwischenspiel aus der Oper „Cavalleria rusticana“
Giacomo Puccini
Donna non vidi mai / Man nennt sie Manon Lescaut / Arie aus der Oper „Manon Lescaut“
E lucevan le stelle / Arie aus der Oper „Tosca“
La tregenda / aus der Oper „Le villi“
Nessun dorma! (Niemand schlafe!) / Arie aus der Oper „Turandot“
Zugaben:
Eduardo Di Capua: ’O sole mio
Franz Lehár: Dein ist mein ganzes Herz
CD-Rezension: Jonathan Tetelman, The great Puccini klassik-begeistert.de, 27. Oktober 2023
Rising Stars 47: Jonathan Tetelman, Tenor – sein Weg führt direkt nach oben
CD-Rezension: A Star is born, Jonathan Tetelman klassik-begeistert.de
Unbedingt sollte man Opern besuchen mit Jonathan Tetelman, als Don Carlos begeisterte er uns neulich in der Deutschen Oper Berlin, in Madame Butterfly in der Philharmonie Berlin, im letzten Jahr in Bremen und auch im Schauspielhaus in Berlin und wird sicher auch in Werther und Fedora in Berlin glänzen. Ein solcher Abend lebt von tollen Arien, gerade Verdi und Puccini lassen sich schön verbinden. Hat man Domingo, Pavarotti und auch Carreras live erlebt, so spürt man, hier ist ein neuer, charismatischer, eigenständiger Stern aufgegangen. Ein leuchtender Auftritt in jeder Beziehung. Das haben alle gespürt. 2000 euphorische Menschen sprechen eine deutliche Sprache. Möge Jonathan Tetelman so authentisch und so sympathisch bleiben und auch Zeit behalten, sich gelegentlich einmal freie Tage für die Familie und für den Ausgleich zu gönnen.
Birgit Ohlsen-Goronzy