Schweitzers Klassikwelt 141: Wenn kleine Bühnen sich an Opern wagen

Schweitzers Klassikwelt 141: Wenn kleine Bühnen sich an Opern wagen

Stadttheater Baden bei Wien – Urheber: Karl Gruber

Wenn im Programmheft der Wiener Staatsoper die Interpreten der jeweiligen Aufführung vorgestellt werden, kann zum Beispiel stolz vermerkt werden: „Sie gehört zu den gefragtesten Sopranistinnen.“ In den Monografien sind dann immer repräsentative Namen von Opernhäusern ihres Wirkens zu lesen. Es überstürzen sich Metropolitan Opera, Königliche Oper Covent Garden, La Scala di Milano, Deutsche Oper Berlin und andere große Häuser mehr. Viel bescheidener steht es in den Programmheften kleiner Theater.

von Lothar und Sylvia Schweitzer

Selbst das renommierte Tiroler Landestheater hatte für eine gesamte Parsifal-Inszenierung als Budget nur die Honorarhöhe eines Bayreuther Hauptrollensängers zur Verfügung gehabt. Da muss bei der Rollenbesetzung gezaubert werden.

Um es anschaulich zu gestalten, nehmen wir uns das Stadttheater Baden in der Nähe der Metropole Wien vor, zunächst als Operettentheater bekannt geworden. Zwischen Winter- und Sommerspielzeiten gab es früher Gastspiele des Konservatoriums der Stadt Wien. Im April 1998 stand eine ungewöhnliche Kombination zweier Einakter auf dem Programm. Puccinis „Schwester Angelica“ und nach der Pause Orffs „Die Kluge“. „Der König“ stieß später zum Ensemble der Wiener Staatsoper und „der Mann mit dem Maulesel“ zum Ensemble des Badener Stadttheaters.

Im April 2000 fuhren wir wegen „Così fan tutte“, einer unsrer Lieblingsopern und ebenfalls als Gastspiel des Konservatoriums, in die für uns schönste Stadt Niederösterreichs. Die Fiordiligi wurde kurz darauf als Rheintochter und Blumenmädchen an die Wiener Staatsoper verpflichtet. Don Alfonso gehörte ebenfalls einige Jahre zum Ensemble der Wiener Staatsoper und arbeitete sich bis zum Klingsor hinauf. Guglielmo ist am Sprung große Karriere zu machen. Ausnahmsweise, entgegen unsrem Konzept für diesen Artikel nennen wir seinen Namen: Thomas Weinhappel.

Der neue Intendant Michael Lakner zeigte sich in seiner ersten Saison couragiert. Er brachte im Herbst 2017 sieben Monate vor der Wiener Staatsoper den „Freischütz“ heraus. Dem Orchester der Bühne Baden konnte man den orchestralen Teil zutrauen. Ein Stadttheater darf sich die Freiheit nehmen Ort und Zeit in das heutige Salzkammergut zu versetzen.

Die Badener Agathe absolvierte ihr Bachelorstudium an der Anton Bruckner Privatuniversität Linz sieben Jahre vorher mit Auszeichnung und schloss ihr Masterstudium „Konzertfach Gesang“ 2013 ebendort ab. Am Volkstheater Rostock sang sie 2014 die Fiordiligi und im Jahr ihres Engagements für den „Freischütz“ schwärmte die Opernzeitschrift „Der neue Merker“ von ihrer wunderschönen, warm timbrierten Stimme als Zirkusprinzessin in der Grazer Oper. Sie war Finalistin beim Internationalen Gesangswettbewerb in Taschkent (Usbekistan). Im Vergleich dazu fanden wir in unseren Unterlagen eine Agathe an der Wiener Volksoper in den Achtzigerjahren, die damals noch keinen berühmten  Namen hatte. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass die Badener Agathe eine ähnliche Karriere schaffen wird. Zwar wurde sie an weiteren Theatern auch als Mozartsängerin engagiert, aber ihr Schwerpunkt wurde die Operette und der Konzertsaal.

Foto: Aus „Die Hochzeit des Figaro“, Bühne Baden, Oktober, November 2013 © Christian Husar

Ännchen, ihre Verwandte und Vertraute, avancierte in vier früheren Spielzeiten am Volkstheater in Rostock vom „Sandmännchen“ zur „Gretel“ und sang dort Mozartpartien wie die Despina, die Blonde und Zerlina. Unwillkürlich dachten wir bei dieser Rolle an die Badener „Susanna“ in „Figaros Hochzeit“, aber die war schon ans Staatstheater am Gärtnerplatz in München ausgewandert.

 

 

 

Bereits der frühere, leider zu früh verstorbene Direktor des Stadttheaters, Robert Herzl, bewies Mut, als er in eigener Inszenierung die fantastische Oper von Jacques Offenbach „Hoffmanns Erzählungen“ im Oktober 2009 erfolgreich herausbrachte.

Coverfoto: Christian Husar

Für Stella, Olympia, Antonia, Giulietta bzw. Muse, Niklausse waren zwei nicht mehr unbekannte Namen eingesetzt. Für Hoffmann fiel die Wahl auf einen Tenor, der später der Siegmund des Hawaii Opera Theater wurde, und der Darsteller der vier Bösewichte wurde später Ensemblemitglied der English Touring Opera, in den Anfängen „Opera for All“ genannt. Ihre Philosophie ist, Opern in die Säle kleinerer Ortschaften zu bringen, um für Opernfans von morgen zu werben.

Diese Produktion oder besser das Programmheft hat uns übrigens in eine unangenehme Situation gebracht. „Schweitzers Klassikwelt Nr. 123“ hatte die Bedeutung kleinerer Rollen zum Thema. Wir waren uns nicht sicher, ob auf einem Bild im Innern des Programmhefts der Diener Franz abgebildet ist. Nachdem uns das Pressebüro nicht weiterhelfen konnte, waren wir gezwungen mit dem vermutlichen Darsteller Kontakt aufzunehmen. Dieser zeigte sich konsterniert, dass das Büro nach fünfzehn Jahren ihn nicht mehr erkannte. Auch war er, wie wir zwischen den Zeilen entnehmen konnten, nicht begeistert, dass wir sein Foto im Zusammenhang mit einer kleinen Diener-Rolle bringen, wo er doch in der Zwischenzeit in Hauptpartien reüssierte. Wir hätten doch ein anderes Titelbild wählen sollen!

Lothar und Sylvia Schweitzer, 8. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Schweitzers Klassikwelt (c) erscheint jeden zweiten Dienstag.

Lothar und Sylvia Schweitzer

Lothar Schweitzer ist Apotheker im Ruhestand. Gemeinsam mit seiner Frau Sylvia schreibt er seit 2019 für klassik-begeistert.de: „Wir wohnen im 18. Wiener Gemeindebezirk  im ehemaligen Vorort Weinhaus. Sylvia ist am 12. September 1946 und ich am 9. April 1943 geboren. Sylvia hörte schon als Kind mit Freude ihrem sehr musikalischen Vater beim Klavierspiel zu und besuchte mit ihren Eltern die nahe gelegene Volksoper. Im Zuge ihrer Schauspielausbildung statierte sie in der Wiener Staatsoper und erhielt auch Gesangsunterricht (Mezzosopran). Aus familiären Rücksichten konnte sie leider einen ihr angebotenen Fixvertrag am Volkstheater nicht annehmen und übernahm später das Musikinstrumentengeschäft ihres Vaters. Ich war von Beruf Apotheker und wurde durch Crossover zum Opernnarren. Als nur für Schlager Interessierter bekam ich zu Weihnachten 1957 endlich einen Plattenspieler und auch eine Single meines Lieblingsliedes „Granada“ mit einem mir nichts sagenden Interpreten. Die Stimme fesselte mich. Am ersten Werktag nach den Feiertagen besuchte ich schon am Vormittag ein Schallplattengeschäft, um von dem Sänger Mario Lanza mehr zu hören, und kehrte mit einer LP mit Opernarien nach Hause zurück.“

Schweitzers Klassikwelt 140 : Wie voreingenommen sind wir als Rezensenten klassik-begeistert.de, 24. Juni 2025

Schweitzers Klassikwelt 139: Mittelmäßigkeit klassik-begeistert.de, 10. Juni 2025

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