Foto © Daniel Dittus
Das klassik-begeistert Mandolinen-Special mit Avi Avital (Teil 2)
Im zweiten und letzten Teil unseres Interviews verrät Avi Avital unter anderem, was man besser nicht über sein Between Worlds Ensemble sagen sollte. Wenn man nicht möchte, dass harmloser Small Talk eine falsche Richtung nimmt… Und verspricht: Kein Dirigat ohne Mandoline in der Hand!
Jörn Schmidt im Gespräch mit Avi Avital
klassik-begeistert: Ich habe verstanden, dass man gefahrlos sagen kann, Avi Avital spiele Ukulele [Anmerkung Jörn Schmidt: Lesen Sie dazu bitte Teil 1 unseres Interviews mit Avi Avital]. Aber wenn ich schreibe, Ihr Between Worlds Ensemble sei Crossover 2.0…
Avi Avital: [sehr entschieden] Da reagiere ich ziemlich allergisch…
klassik-begeistert: Wieso das?
Avi Avital: Sie sagen ja auch nicht, Antonín Dvořák sei Crossover, nur weil seine 9. Sinfonie Aus der neuen Welt die Synthese verschiedener musikalischer Elemente ist. Die Musik der indigenen Völker, Volksmusik, die Hektik Amerikas… Wie auch Bartók und de Falla schafft Between Worlds aus unterschiedlichen Einflüssen etwas Neues und trägt es in den Konzertsaal. Es hebt Folklore so auf eine ganz neue Ebene. Während Crossover lediglich verschiedene Stile überlagert, beispielsweise Beethoven mit Disco Beats kreuzt.
klassik-begeistert: Sie haben es aber auch leichter als Bartók und de Falla, mit den Möglichkeiten des Internets…
Avi Avital: Stimmt, die traditionellen Melodien sind heute nur einen Klick entfernt. Das Internet verändert ebenfalls die Rezeption, denn auch das Publikum hat umfassend Zugriff auf das zugrundeliegende Material. Was wiederum ganz andere Herausforderungen an zeitgenössische Komponisten stellt.

klassik-begeistert: Würde Between Worlds auch funktionieren, wenn Sie Ihre Mandoline gegen eine Violine tauschen?
Avi Avital: [Mit Nachdruck] Keinesfalls. Between Worlds speist sich aus folkloristischer Musik, die global auf Zupfinstrumenten gespielt wird. Nur exemplarisch, in Indien ist das die Sitar. Ein Saiteninstrument wie die Violine kann dem nicht nahe kommen. Hinzu kommt, dass die Mandoline wie kein zweites Instrument ein Chamäleon ist, das viele kulturelle Traditionen imitieren kann.
klassik-begeistert: Zum Beispiel?
Avi Avital: Wenn ich zum Beispiel Rachmaninow auf der Mandoline spiele, lasse ich mein Instrument wie einen Balalaika klingen. Und erreiche so einen osteuropäischen Klang. Die Mandoline kann aber auch Bluegrass. Das kommt wunderbar, wenn wir Dvořáks Amerikanisches Quartett, sein Streichquartett F-Dur op. 96, aufführen.

klassik-begeistert: In dem Ensemble sehen Sie sich als Band-Leader. Warum vermeiden Sie den Begriff Dirigent?
Avi Avital: Das hat rein semantische Gründe. Man könnte sonst denken, dass ich mit Taktstock vor einem großen Orchester stünde, während ich bei Between Worlds aber zugleich die Mandoline spiele. Zudem klingt der Begriff demokratischer, im Ensemble bringt sich jeder gleichberechtigt ein.

klassik-begeistert: Wann möchten Sie den nächsten Schritt gehen und ein ausgewachsenes Sinfonieorchester dirigieren?
Avi Avital: Gar nicht, sage ich heute. Kein Dirigat ohne Mandoline in der Hand! Die Mandoline lässt mir keine Zeit das zu erarbeiten, was einen großen Dirigenten ausmacht.
klassik-begeistert: Bruckner oder Wagner zu dirigieren, das reizt Sie nicht?
Avi Avital: Nur, wenn Wagner für die Mandoline komponiert hätte… aber ich höre Bruckner und Wagner sehr gerne.
klassik-begeistert: Heutzutage sind Musiker recht generalistisch aufgestellt. Ein großes Sinfonieorchester kann genauso Bruckner spielen wie einen historisch informierten Mozart. Man muss auch kein Italiener sein, um Verdi authentisch spielen zu können. Richtig?
Avi Avital: [fragend] Ja…
klassik-begeistert: Zur Uraufführung des Konzerts für Mandoline und Orchester setzt Say dennoch auf die junge italienisch-türkische Dirigentin Nil Venditti. Bedarf das Werk eines besonderen Gespürs für türkische Traditionen?

Avi Avital: Zuvörderst ist Nil eine großartige Dirigentin, ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Sie ist innovativ und voller Energie, was sicher eine Rolle spielt. Auch ihre türkischen Wurzeln werden Einfluss auf die Interpretation haben. Aber jeder andere gute Dirigent wird das Werk in Zukunft ebenfalls faszinierend zum Klingen bringen.
klassik-begeistert: Wie klingt Schleswig-Holstein, wie schmeckt Schleswig-Holstein und wie sieht Schleswig-Holstein aus?
Avi Avital: Windig, salzig und ziemlich grün.
klassik-begeistert: Herzlichen Dank für das Gespräch!
Jörn Schmidt, 9. Juli 2025, für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Interview: kb im Gespräch mit Avi Avital, Teil I klassik-begeistert.de, 8. Juli 2025
Claudio Monteverdi, Marienvesper, Schleswig-Holstein Musik Festival Lübecker Dom, 9. August 2024