Das Rotterdam Philharmonic Orchestra in Berlin: Abend der Extraklasse

Rotterdam Philharmonic Orchestra, Yannick Nezet-Seguin,  Philharmonie Berlin

Foto: HANS VAN DER WOERD (c)
Philharmonie Berlin,
2.September 2018
Gastspiel Rotterdam Philharmonic Orchestra
Yannick Nezet-Seguin Dirigent
Bernd Alois Zimmermann Sinfonie in einem Satz (Fassung mit Orgel,1951)
Anton Bruckner Symphonie Nr.4 Es-Dur (Fassung 1878/80)

von Peter Sommeregger

Anlässlich des Musikfests Berlin ist in der Philharmonie auch das Rotterdamer Orchester zu hören, das in den letzten Jahrzehnten zu den Europäischen Spitzenorchestern aufgeschlossen hat. Dies ist vielleicht nicht zuletzt den beiden langjährigen Chefdirigenten Valery Gergiev und Yannick Nezet-Seguin geschuldet, die hohe Qualitätsstandards gesetzt haben. Letzterer verlässt das Orchester nun nach zehn Jahren, bleibt aber Ehrendirigent und begleitet seine Musiker noch auf einer Tournee anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Orchesters.

Die gewählten Kompositionen stellen beide höchste Ansprüche an das Können und die Brillanz eines Klangkörpers. Im ersten Teil hören wir Zimmermanns Sinfonie in einem Satz, in der früheren Fassung mit Orgel. Das nur 20minütige Stück in großer Orchesterbesetzung besticht durch seine straffe,konzentrierte Form, in der mehrere Pauken und das Xylophon besondere Akzente setzen. Entstanden in der Nachkriegszeit will es die Unsicherheit und Sorgen jener Zeit thematisieren. Besonders eindrücklich gelingen die Passagen, in denen ein martialischer Marschrhythmus dominiert. Schon nach diesem Stück zeigt sich das Publikum in der leider nicht sehr gut besuchten Philharmonie begeistert und spendet reichlich Applaus.

Bruckners vierte Symphonie, von ihm selbst die „Romantische“ genannt, ist ein viel gespieltes Repertoirestück, eignet sich aber gerade deshalb zur Demonstration eigenständiger Interpretation und individueller Auffassungen. Nezet-Seguin nimmt die Ecksätze extrem breit und großflächig. Auffallend dabei immer wieder extreme Tempowechsel und ausgedehnte Generalpausen. Er versteht es, dem Werk ein wenig von seiner einschüchternden Monumentalität zu nehmen. Die Blechbläser klingen unter ihm tatsächlich mehr wie Jagdhörner, der Klang ist  relativ weich und nicht so schneidend scharf, wie man es aus anderen Aufführungen kennt. In den mittleren Sätzen dämpft er das Orchester deutlich, manche Passagen gelingen dadurch fast kammermusikalisch filigran. Die gewaltige Architektur des finalen Satzes gelingt beeindruckend, das Orchester kann seine Qualitäten eindrucksvoll unter Beweis stellen. Das Publikum gönnt sich und den Musikern einen langen Moment der ergriffenen Stille, ehe tosender Applaus losbricht und den Musikern und ihrem charismatischen Dirigenten für einen wunderbaren Abend dankt.

Der sehr lang anhaltende Applaus entschädigt die Ausführenden sicher für die Enttäuschung, die sie beim Anblick der vielen leeren Platze in der Philharmonie vielleicht empfunden haben. Yannick Nezet-Seguin sorgt für ein Novum bei dem sonst üblichen Ritual der Weitergabe des Blumenstraußes, den man ihm überreicht hat: er gibt ihn nicht an ein weibliches Orchestermitglied weiter, er beglückt damit den ersten Hornisten, der allerdings in diesem Werk auch eine herausragende Leistung bot. Ein hoch befriedigtes Publikum ruft den Dirigenten immer wieder hervor und dankt ihm für einen Abend der Extraklasse.

Peter Sommeregger, Berlin, 3. September 2018 für
klassik-begeistert.de

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