Foto: »Le Sacre du Printemps«/Choreographie Marco Goecke Ballett des Staatstheaters am Gärtnerplatz © Marie-Laure Briane
Zwei vollkommen emotional entgegengesetzte Stücke werden zu einem beeindruckenden Ballettabend verbunden. Entspannt geradezu sanguinisch tanzt sich Verbruggens Amerikaner in Paris heiter in mein Herz. Goeckes Frühlingsopfer zerrt es mit auf die Bühne. Lässt es keinen Augenblick los. Am Ende habe ich Glück: das Opfer ist ein anderes.
Strawinsky in Paris – zweiteiliger Ballettabend
An American in Paris
»Farewell in Paris«
Ballett von Jeroen Verbruggen
Musik von George Gershwin und Aaron Copland (»Billy the Kid-Suite«)
Bühne Natalia Kitamikado
Kostüme Emmanuel Maria
Licht Jeroen Verbruggen
Choreografische Assistenz Benjamin Stone
Le Sacre du Printemps
Ballett von Marco Goecke
Musik von Igor Strawinsky
Bühne Marco Goecke
Kostüme Marvin Ott
Licht Udo Haberland
Choreografische Assistenz Patrick Teschner
Musikalische Leitung Michael Brandstätter
Dramaturgie András Borbély T.
Ballett Compagnie des Gärtnerplatztheaters München
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Staatstheater am Gärtnerplatztheater, München, 17. Juli 2025
von Frank Heublein
An diesem Abend führt die Ballett Compagnie des Münchner Gärtnerplatztheaters zwei neue Choreografien auf. »Farewell in Paris«, ein Ballett von Jeroen Verbruggen zur Musik von George Gershwin (An American in Paris) und Aaron Copland (»Billy the Kid-Suite«).
Im zweiten Teil folgt Le Sacre du Printemps, ein Ballett von Marco Goecke zur Musik von Musik von Igor Strawinsky. Michael Brandstätter leitet das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz konzentriert auf das getanzte Geschehen auf Bühne.

Jeroen Verbruggen taucht für An American in Paris die Bühne in warmes Licht, viel Rosa durch die Kostüme und auch Gegenstände auf der Bühne. Jugendstil ist angesagt. Tolle Dreier-Hebefiguren. Etwa wenn die Gehobene in den Luftspagat rotiert wird. Die Inszenierung fokussiert ein Licht umrandetes Oval. Besonders berühren mich die beiden Anima, getanzt von Ethan Ribeiro und Micaela Romano Serrano. Eine Stärke sind für mich die geradezu sprudelnden Ensembleszenen. Mal ausschweifend die Ordnung auf Spiel setzend. Mal überbordend wie die Blumensträuße, die vom Bühnenboden fallen. Mal lässig.

Nach der Pause dann ein zum ersten des Abends inhaltlich gegensätzliches düster fiebriges Stück mit Le Sacre du Printemps. Im April 2025 erst hatte das Bayerische Staatsballett Pina Bauschs legendäre Choreografie auf die Bühne des Nationaltheaters gebracht. Heute also Goeckes Version im Gärtnerplatztheater. Ganz anders wird dieselbe Wirkung an diesem Abend erzeugt. Beide Male für mich innerlich völlig stimmig. Vertraut und jedes Mal packt mich Goeckes Körpersprache intensiv. Oszillierende Tremolo-Vibrato Armschläge, kantige Bewegungen der Schultern und Köpfe. Turbo Trippelschritte, die abrupt in der Startfigur enden oder ins Dunkel des Bühnenabgangs verschwinden.

Duette, die auf mich wie Unterhaltungen oder Auseinandersetzungen wirken. Arme, die Körper von der Bühne sanft gleitend wegdrücken. Ist das Ausdruck des Opfer-sein-wollens? Frage ich mich. Mein Erstwirkeindruck ist humorig, wenn sich von hinten trippelnd als laufe der Film auf zweifacher Geschwindigkeit eine Tänzerin oder ein Tänzer aus der Reihe nach vorne stellt. Doch: ist das Ausdruck des Opfer-sein-wollens? Frage ich mich.

Goecke verzichtet auf Hebungen als Ausdrucksmittel. Einfach schwarz sind die Kostüme. Die Farbe des Körpers steht im Kontrast. Gleichgeschaltetes Wellen der weiten Hosen in einer Ensembleszene. Die Dynamik der Tänzerinnen und Tänzer übertrifft die der Musik. Dunkel Grau mit blassen Grün- und Blautönen wird die Bühne ausgeleuchtet. Das Frühlingsopfer ist männlich und wird von Goecke entritualisiert. In jedem Moment der Aufführung überträgt sich die Spannung der Körper, die jeden Muskel der Körper hervorheben, von der Bühne auf mich, in-ten-siv. Mein Glücksmoment am Schluss: das Opfer ist jemand anders als ich! So stark umgreift die Choreografie mein Herz.

Wieder habe ich wie schon im Mai im Museum Brandhorst, bei dem die Compagnie Cunningham tanzte einen Glücks-Moment. Dieses Ensemble hat sich sehr eigene, prägnante Ausdrucksformen draufgepackt in dieser Spielzeit. Sich und mir gezeigt, wie vielfältig und immer ausdrucksstark die Ballettcompagnie des Gärtnerplatztheaters jede tänzerische Herausforderung bravourös meistert. Ich zitiere Pina Bausch, die ich an diesem Abend durch zwei wundervolle unterschiedliche Choreografien tiefer verstehe: tanz, tanzt, sonst sind wir verloren!
Frank Heublein, 18. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
ensemble oktopus/Ballett-Akademie Reaktorhalle, München, 25. Mai 2025
Dance Festival: This resting, patience Schwere Reiter, München, 25. Mai 2025
Dancing Postmodernism | Merce Cunningham Museum Brandhorst, München, 8. Mai 2025