Rudolf Buchbinder © Rita Newman
Mit Beethovens letzten beiden Klavierkonzerten ist die diesjährige Ausgabe des Grafenegg Festivals unter großem Beifall zu Ende gegangen. Ein musikalisch in großen Teilen befriedigender Abend lässt allerdings eine große Chance verstreichen.
Ludwig van Beethoven
Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58
Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur op. 73
Rudolf Buchbinder, Klavier und Leitung
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich
Wolkenturm, Grafenegg, 7. September 2025
von Willi Patzelt
Zweimal waren in Grafenegg neue Programmhefte zu drucken: Nachdem Zubin Mehta aus gesundheitlichen Gründen nicht wie geplant nach Europa reisen konnte, um das erste Klavierkonzert von Johannes Brahms und dessen erste Symphonie zu dirigieren, wurde Daniel Barenboim als Einspringer präsentiert. Doch auch er konnte nach einem Sturz nicht nach Niederösterreich reisen, sodass schlussendlich Rudolf Buchbinder nicht mit dem ersten Klavierkonzert von Brahms, sondern mit den Klavierkonzerten Nr. 4 und 5 von Beethoven zu hören war, die er vom Flügel aus leitete.
Aus einer historischen Perspektive ist das auch durchaus passend: Zu Zeiten Beethovens war es gang und gäbe, Klavierkonzerte vom Klavier aus zu leiten. Der Beruf des Dirigenten, so wie wir ihn heute kennen, wurde schließlich erst circa 25 Jahre später vor allem durch Felix Mendelssohn gleichsam erfunden.
Und dennoch tut es vor allem Beethovens viertem Klavierkonzert an diesem lauen Sommerabend im Wolkenturm von Grafenegg nicht sonderlich gut. Gerade im ersten Satz entsteht kein großer Bogen, keine wirklich gelungene Dramaturgie; vielmehr zerfällt die emotionale Vielschichtigkeit jenes Dialogs aus zart melancholischer Sanftmut und lebendig warmem romantischen Optimismus in Einzelteile und wird gewissermaßen spröde.
Doch mit dem zweiten Satz findet das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich zu einer kammermusikalischen Spannung und Klangfarben-Variabilität, die die dem Satz oft nachgesagte mythologische Orpheus-Inspiration zum Tragen bringt. Zumal Rudolf Buchbinder, als der wohl bedeutendste Beethoven-Interpret unserer Zeit, eine unglaubliche Fähigkeit zu anmutig lyrischem Gesang hat, der stets in einer Klarheit bleibt, die nie einem Schwulst anheimfällt und somit emotional authentisch maximal einnehmend wirkt. Es ist förmlich eine Umarmung mit dem Publikum, die dann im attacca-angeschlossenen Schlusssatz unbändig wird.
Es mag auch an der einsetzenden Spätsommer-Kühle gelegen haben, dass gerade im 5. Klavierkonzert die Holzbläser nicht nur meist in der Intonation zu tief aus dem Klangbild herausfallen. Und auch nicht nur wegen des im englischen Sprachraum benutzten Beinamens „Emperor“ würde man sich bisweilen einen stärker fundierten Tiefklang im Orchester wünschen. Und doch wird das Es-Dur-Konzert triumphal zu einem würdigen Abschluss des Festivals.
Dennoch wurde die Chance verpasst, in Grafenegg, wo Buchbinder im kommenden Festspielsommer die künstlerische Leitung abgeben wird, aus der misslichen Situation zweier krankheitsbedingter Absagen ein Zukunftssignal zu formulieren. Sicherlich wäre es schön gewesen, den im Moment wohl vor allem für seine Lebensleistung gefeierten Daniel Barenboim in Grafenegg zu begrüßen. Und doch gibt es genug junge Dirigenten, denen man Brahms in vertrauenswürdige Hände hätte legen können.
Zukunft sieht schließlich anders aus. Und doch ist es schön, dass Buchbinder mit Schuberts As-Dur-Impromptu op. 90 Nr.4, stimmungsvoll zur Mondfinsternis über Grafenegg, Zubin Mehta und Daniel Barenboim in einer Art und Weise würdigt, in der einem – so Theodor W. Adorno über Franz Schubert – die Träne aus dem Auge stürzt, noch bevor die Seele befragt wird. Der Kopf allerdings hätte sich an diesem Abend ein anderes Signal in Grafenegg gewünscht.
Willi Patzelt, 9. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Philharmoniker, Franz Welser-Möst Dirigent Wolkenturm/Grafenegg, 3. September 2025
Swing Dance Orchestra, Rachel Hermlin, Gesang Wolkenturm, Grafenegg, 26. Juli 2025