Neues vom Hamburg Ballett: Es gibt weniger gute, aber auch sehr gute Nachrichten

Beitrag: Neues vom Hamburg Ballett  Hamburg Ballett, Hamburgische Staatsoper, 12. September 2025

Lloyd Riggins, künstlerischer Ballettdirektor des Hamburg Balletts © Kiran West

von Dr. Ralf Wegner

Wie man bei Gisela Sonnenburg vom Ballett Journal lesen konnte, schien bei der höheren Leitung des Hamburger Balletts nicht die Neigung zu bestehen, unsere herausragenden Ersten Solisten zurückzuholen, die angesichts der Führungskrise unter Demis Volpi ihre Kündigung eingereicht hatten: Alexandr Trusch, der wegen seiner Nijinsky-Interpretation eigentlich unersetzbar ist, hat einen Gastvertrag beim Dortmunder Ballett, Christopher Evans wird seine Kunst im Karlsruhe zeigen und Madoka Sugai tanzt fürderhin im US-amerikanischen Boston als Erste Solistin. Von dem begnadeten Alessandro Frola wird das Wiener Ballett profitieren.

Es ist aber auch Erfreuliches zu berichten, der aktuelle künstlerische Ballettdirektor Lloyd Riggins stellt eine Kombination aus einem der ältesten erhaltenen Ballette La Sylphide in der Choreographie von Auguste Bournonville auf die Bühne und kombiniert dieses Stück mit der Uraufführung einer Choreographie des Hamburger Ersten Solisten Aleix Martínez. Das ganze wird unter dem Rubrum Romantic Evolution/s subsumiert und ab dem 7. Dezember 2025 aufgeführt.

Bournonvilles Choreographien sind in Kopenhagen verwurzelt, und von dort holt Riggins den ehemaligen Direktor des Königlichen Balletts Frank Andersen, der, wie die Hamburgische Staatsoper mitteilte, einer der weltweit führenden Bournonville-Spezialisten ist. Andersen wird die dänische Fassung dieses Balletts aus dem Jahre 1836 über einen schottischen Edelmann, der einen weiblichen Luftgeist (La Sylphide) seiner lebensechten Braut vorzieht, zum Leben erwecken.

La Sylphide, Hamburg Ballett, Videostill YouTube, Tiago Bordin und Hélène Bouchet

La Sylphide premierte in Hamburg zuletzt unter der Intendanz von John Neumeier im Jahre 2008 in einer Version nach Filippo Taglioni. Die beiden Hauptpartien wurden damals von Hélène Bouchet und Tiago Bordin sowie von Silvia Azzoni und Alexandre Riabko phänomenal getanzt. Auch Bournonville ist in Hamburg nicht ganz unbekannt. Ab Dezember 2014 wurde sein Ballett Napoli aufgeführt, ergänzt um einen Mittelakt in der Choreographie des jetzigen künstlerischen Ballettdirektors Lloyd Riggins. Auch in diesem Ballett zeigten Silvia Azzoni und Alexandre Riabko ihr außerordentliches tänzerisches Können.

Aufführung des Bournonville Balletts Napoli am 10. Dezember 2014: Von links Konstantin Tselikov (Giacomo, ein Makkaronihändler), Otto Bubenicek (Gollo, ein Wasserdämon), Silvia Azzoni (Teresina), Alexandre Riabko (Gennaro, ein Fischer), Niurka Moredo (Veronica, Teresinas Mutter), Carsten Jung (Peppo, ein Limonadenhändler) (Foto: RW)

Und Alexandre Riabko wird auch bei der am 21. September 2025, also bereits in 10 Tagen, erfolgenden Wiederaufnahme von John Neumeiers absolut sehenswerter Choreographie auf Anton Tschechows Familiendrama Die Möwe auftreten. Und zwar als Pjotr Nikolajewitsch Sorin, der bei der Uraufführung von Lloyd Riggins verkörpert worden war. Im April 2018 sah ich dieses Ballett zuletzt und schrieb zum Inhalt (in Klammern die Erst- und Zweitbesetzungen der jetzigen Aufführungsserie):

„Wie schön fängt dieses Ballett nach Anton Tschechow schon an, wenn sich Konstantin in seine Liebe zu Nina hineinstei­­gert. Für mich ist Die Möwe eines der für Neu­meiers Stil charakteristischen und besonders überzeu­genden Werke. Mit jedem Sehen gewinnt die Chore­o­grafie mehr. Nicht die technische Perfektion steht im Vordergrund (die aber auch gefordert wird), son­dern die tänzerische Charakteri­sierung, geradezu die Ausmalung der Seelenzustände von zehn auf einem rus­sischen Landgut versammelten Perso­nen:

Kon­stan­tin (Louis Musin, Caspar Sasse), der sich in moder­ner Chore­o­grafie versucht und sich am Leben verliert, sei­ne Freun­din Nina (Ana Torrequebrada, Francesca Harvey), die ihn für den älteren, smar­ten Tänzer Trigorin (Matias Oberlin, Daniele Bonelli) ver­lässt und, von ihm enttäuscht, seelisch gereift, in die weite Welt geht, Kostjas Mutter Irina (Anna Laudere, Ida Praetorius), eine klassische Tän­zerin, die ihren Sohn liebt, aber für seine Kunst wenig Verständnis aufbringt, dafür umso mehr für ihren Ge­liebten Trigorin, Irinas Bruder Sorin (Alexandre Riabko, Louis Haslach), der seinem Neffen Kostja beisteht, Mascha (Xue Lin, Charlotte Larzelere), de­ren Liebe zu Kostja nicht erwidert wird und schließ­lich, vom Leben enttäuscht, den sie verehrenden Leh­rer Med­we­denko (Lennard Giesenberg, Javier Monreal) heiratet und Ma­schas Mutter Polina (Hayley Page, Ida-Sophie Stempelmann), die unter Duldung ihres Ehe­mannes, des Gutsverwalters Schamrajew (Florian Pohl, Pepijn Gelderman), eine Affä­re mit dem Arzt Dorn (Joaquin Angelucci, Florian Pohl) hat.

Aufführung des Balletts Die Möwe vom 25. April 2018: Xue Lin (Mascha), Ivan Urban (Sorin), Emilie Mazon (Nina), Marc Jubete (Konstantin), Silvia Azzoni (Irina), Carsten Jung (Trigorin), Yaiza Coll (Polina), Florian Pohl (Schamrajew), Mathieu Rouaux (Dorn)

Dieses überaus sehenswerte, 2002 in Hamburg uraufgeführte Ballett wird am 21. September, 22. September sowie am 16. Oktober 2025 mit der ersten und am 25. September, 28. September sowie am 25. Oktober 2025 mit der zweiten Besetzung zur Aufführung gelangen. Es gibt noch Karten. Man sollte sich beide Besetzungen ansehen. Es wird nicht eine bessere und eine weniger gute Aufführung geben. Denn unterschiedliche Rolleninterpretationen werden die Tiefenspannung dieses wunderbaren Balletts verstärken.

Dr. Ralf Wegner, 12. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

50. Nijinsky-Gala, Teil II Hamburgische Staatsoper, 20. Juli 2025

50. Nijinsky-Gala, Teil I Hamburgische Staatsoper, 20. Juli 2025

Nijinsky, Ballett von John Neumeier Hamburgische Staatsoper, 11. Juni 2025

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