Schloss Esterhazy: Quartett-Marathon mit überragendem Kronos Quartet

Abschlusskonzert des Kronos Quartets,  Schloss Esterhazy, Eisenstadt

Foto: Von Bwag / wikipedia (c)
Schloss Esterhazy, Eisenstadt
Quartett-Marathon mit Abschlusskonzert des Kronos Quartets,
15. September 2018

von Julian Dworak

Erleichterung stand den Besuchern des Quartett-Marathons ins Gesicht geschrieben. Ein Guide verkündete die frohe Botschaft: „Zur Beruhigung, es handelt sich heute nicht um einen echten Marathon.“ Hohe Schuhe durften also an den Füßen bleiben. Das Wort Marathon bezog sich auf die Dauer und Art der Veranstaltung. Drei Quartette und ein Trio spielten in verschiedenen Sälen und Räumen. Der Ort des Geschehens war nicht Berlin, wo am Tag darauf der Weltrekord im echten Marathon gebrochen wurde. (Mit 2:01:39 Stunden übertraf der Kenianer Eliud Kipchoge den bestehenden Rekord um über eine Minute.) Im Schloss Esterhazy ging es gemütlich zur Sache, Pausen waren erlaubt. Fünf abwechslungsreiche Stunden vergingen fast wie im Flug. Krönender Abschluss, sozusagen die Zielfeier, war ein Konzert des Kronos Quartets. Gemeinsam mit jungen, aber bereits preisgekrönten Nachwuchsquartetten, dem Rolsten und dem Esmé Quartet, spielten die Musiker ein überragendes Abschlusskonzert.

Die Eisenstädter Fußgängerzone mündet direkt in das Schloss Esterhazy. Wer also ein wenig früher kam, der konnte noch einen Spaziergang durch die Altstadt genießen, Kaffee und eine legendäre Esterhazy-Schnitte inklusive.

Eine Fanfare von vier Bläsern läutete den Beginn des Quartett-Marathons ein. Kein simples Konzert, ein musikalisches Stationen-Theater buchten die Ticketbesitzer. Die Besucher wurden in zwei Gruppen aufgeteilt, und die Reise begann.

Gruppe B startete im Empiresaal, dem ehemaligen Speisesaal der Familie Esterhazy. Passend zur Location spielte das koreanische Esmé Quartett Haydns Streichquartett B-Dur op. 77 Nr.1. Bekannterweise wirkte Joseph Haydn über vierzig Jahre am Schloss Esterhazy und schrieb dort einige seiner Streichquartette. Als Zugabe spielten die jungen Koreaner ein modernes Werk. Über eine Streichuntermalung geigte die erste Violinistin Wonhee Bae improvisatorisch eine poppige Melodie.

Nach einem kleinen Zwischenstopp bei einem informationshaltigen Vortrag über die Familie Esterhazy gab es noch Zeit für einen ungeplanten Abstecher ins Weinmuseum (zumindest für Gruppe B).

Das zweite Mikrokonzert spielte das kanadische Rolston Quartet. In der Schlosskapelle konzertierten sie ebenfalls mit einem Quartett von Haydn (op.76 Nr. 1). Im Raum der Kapelle erstrahlte die Musik Haydns in einem ganz anderen Licht. Interpretationsvergleiche waren schwierig.

Eine große Auswahl gibt es im Fundus der Haydn-Quartette. Joseph Haydn, der Begründer des Streichquartetts, schrieb insgesamt 68 von ihnen. Möchte man sie alle an einem Stück hören, benötigt man mehr als einen Tag, es wäre ein regelrechter Ultramarathon

Die letzte Zwischenetappe ging im Haydnmuseum über die Bühne. Das Ensemble Continuum konzertierte auf historischen Instrumenten mit Haydns Klaviertrio Nr. 25 in G-Dur. Besonders stach das abschließende Rondo all´Ongarese hervor. Musik zum Tanzen. Und stehend war man schnell verlockt zumindest mit dem Körper zu wippen. Ein kleines Kind versuchte sich an einer Art Breakdance.

Das Intermezzo im Haydnmusem wirkte leider wie ein Lückenfüller. Kein Quartett, kein Konzertsaal, außerdem waren die Musiker nicht im Abschlusskonzert involviert.
Ein wenig undankbar war die Rolle der drei Musiker des Ensemble Continuum.

Die Ziellinie war überschritten und die Vorbereitungen für die Abschlussfeier waren bereits vollendet. Der Haydnsaal war in kühlem, bläulichem Licht gehalten. Heimelig und angenehm beruhigend war es im größten Saal des Schlosses. So eine Atmosphäre wünscht man sich für ein modernes kammermusikalisches Konzert.

Bevor die Musiker ihre Bögen zu schwingen begannen, trat der Primarius des Kronos Quartets auf die Bühne. David Harrington war die Souveränität in Person. Sicherer Blick, aufrechte Haltung, jahrelange Erfahrung als Musiker sowie Mensch stand dem Violinisten ins Gesicht geschrieben. Im Gespräch verriet er unter anderem einiges über das neue Projekt des Kronos Quartetts: Fifty for the Future.

Dem vom Kronos Quartet aus der Taufe gehobene Projekt Fifty for the Future gebührt eigentlich ein eigener Blog-Eintrag. Das Projekt ist vorbildhaft und stellt sich einzig und allein in den Dienst der Musik und junger Musiker: Fünfzig Auftragskompositionen für Streichquartett, von fünfzig verschiedenen Komponisten, aus fünf Kontinenten. Veröffentlicht innerhalb von fünf Jahren. Und das Geschlechter-Verhältnis ist auch fünfzig zu fünfzig. Das Besondere: Alle fünfzig Kompositionen sind Open Source, also jeder darf sich die Noten gratis herunterladen und frei von Tantiemen und anderen Kosten aufführen. Deshalb „für die Zukunft“, denn vor allem junge Streichquartette müssen oftmals jeden Cent umdrehen.

Die anschließenden Werke waren bis auf das Hauptwerk aus diesem neu geschaffenen Repertoire.

Das Rolsten Quartett performte ein äußerst innovatives Werk einer gebürtigen Inuit. Tanya Tariq ist im hohen Norden Kanadas geboren und aufgewachsen. Beruflich ist sie kattajjaq-Sängerin und neuerdings auch Komponistin. Bei diesem für Inuit traditionellen kattajjaq-Gesang singen sich zwei ProtagonistInnen gegenseitig in den geöffneten Mund. Wer hält es länger aus? Es ist wie ein Wettkampf. Jene Tradition übertrug Tariq in ihrer Komposition auf das Quartett.

Es knarrten die Bögen. Es schnarrten die Saiten. Perkussive Glissandi imitierten Stimmen. Zuerst wirkte es experimentell, gar ein wenig amüsant, doch nach kurzer Zeit nahm das Stück Form an. Die Vorstellung zweier Inuit, die sich gegenseitig in den Mund singen, gar brüllen, war nicht mehr abwegig. Klänge gestrichener Saiten mischten sich hinzu, blieben aber im Hintergrund.

In eine ganz andere Ecke der Welt entführte das Esmé Quartett. Sound of the Past aus der Feder der koreanischen Komponistin Soo Yeon Lyuh versetzte rasch in eine asiatische Klangwelt. Vor allem ausgeprägte Vibrato, über einen Halbton hinaus, verliehen dem Werk seine Färbung.

Schade, dass der Haydnsaal nur zur Hälfte gefüllt war! Das Kronos Quartet ist das wichtigste Quartett für moderne Streichquartett-Literatur. An diesem Abend präsentierten die Musiker Beyond Zero: 1914 – 1918 als Hauptwerk. Das multimediale Quartettstück ist nur eines von sage und schreibe circa tausend Werken, die für das Quartett geschrieben oder arrangiert wurden.

Bilder aus diversen Kriegen wurden auf eine Leinwand projiziert. Das Kronos Quartett untermalte währenddessen mit expressiver Musik der serbischen Komponistin Alexandra Vrebalov. Wobei untermalen hier ein Euphemismus ist. Hohe schrille Töne, verzweifeltes Gekreische, bedrohliches Gepolter. Scheinbar alle Nuancen von Angst, Depression und Resignation vertonte die serbische Komponistin in ihrer halbstündigen Komposition. Und das ging unter die Haut! Aber so ist Krieg und keinen Deut anders! Kurze Momente der scheinbaren Ruhe waren vielmehr ein Heraustreten aus dem Schmerz, eine Dissoziation. Krieg ist hässlich, in all seinen Aspekten, so die eindeutige Message. Zum Abschluss sangen vier serbische Mönche ein Fragment der byzantinischen Hymne „Ewige Erinnerung den Tapferen“. Untergangsstimmung mit Gänsehaut.

Beyond Zero: 1914 – 1918 war ein harter Brocken, vor allem nach den vielen vorangegangen Impressionen des Tages. Manch Zuhörer war sicherlich bereits in seiner Aufnahmefähigkeit eingeschränkt. Doch die Musik war genial, und das Konzept als Gesamtes beeindruckte. Bild und Musik verschmolzen zu einer Einheit. Das Kronos Quartet spielte abgeklärt und mit einer unwiderstehlichen Seriosität. Keine Bewegung war zu viel, niemand fiel aus der Reihe, die Musiker waren eine Einheit, ein Vorbild für aufstrebende Quartette.

Zum Abschluss versammelten sich alle drei Quartette und spielten Philip Glass´ Quartett-Satz. Es waren versöhnliche Klänge. Gewohnt minimalistisch, aber mit einem Hauch Genialität. Philipp Glass eben.

Quartett-Marathon – ein Konzept, das schnell von sich überzeugen konnte. Klassik der anderen Art, Klassik zum Erleben, kaum Statik. Sowohl der Quartettkenner als auch der Neuling war begeistert. Bitte mehr davon!

Julian Dworak, 17. September  2018, für
klassik-begeistert.de

Kronos Quartet :
David Harrington, Violine
John Sherba,
Violine
Hank Dutt,
Viola
Sunny Yang,
Violoncello
Alexandra Vrebalov,Komponistin
Beyond Zero: 1914 – 1918
My Desert, My Rose
Rolston String Quartet
Tanya Tagaq,
Komponistin
Sivunittinni
Esmé Quartet
Soo Yeon Lyuh,
Komponistin
Yessori (Sound from the Past)
Philip Glass
Ensemble Continuum

 

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