Wiener Staatsoper, mon amour 2: „Wohnst Du eigentlich schon in der Oper?“

70-jähriges Jubiläum Wiener Staatsoper II   Wiener Staatsoper, 23. November 2025

Benjamin Bernheim als Rodolfo © Michael Pöhn, Wiener Staatsoper

Frauen und Männer gibt es viele. Wiener Staatsoper nur eine. Erbaut von Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicardsburg, thront sie seit 150 Jahren am Wiener Ring, der Prachtstraße der k.u.k. Monarchie.  Vor 70 Jahren hat man sie wieder eröffnet, am 5. November 1955.
Mit „Fidelio“ – eh klar, was würde besser passen als Beethovens „Freiheitsoper“ nach Jahren des Kriegs und der Zerstörung. Doch selbst US-Bomber konnten sie nicht dahinraffen. Am 18. März 1945, unabsichtlich soll es gewesen sein, der Bombenabwurf direkt über der Wiener Staatsoper. Bis auf die Grundmauern brannte sie nieder. Nur der Fronttrakt, die Feststiege, der Teesalon des Kaisers blieben erhalten. Klassik-begeistert-Autoren berichten über ihre Liebe zum Haus am Ring.

von Peter Sommeregger

Die Wiener Staatsoper feiert im November 2025 das 70-jährige Jubiläum ihrer Wiedereröffnung nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Festakt am 5. November und einer Reihe weiterer Veranstaltungen.

Eine Ausstellung im Balkonumgang der Staatsoper beleuchtet bis Ende Januar 2026 Zerstörung und Wiederaufbau mit Fotografien und Exponaten.

Die Auseinandersetzung mit der Thematik wird in der laufenden Saison durch verschiedene Veranstaltungen fortgesetzt, unter anderem mit der Fidelio-Premiere im Dezember.

+++

In Wien im ersten Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg aufzuwachsen, bedeutete, da und dort noch Ruinen zerstörter Gebäude und auch Baulücken als gegeben wahrzunehmen. „Das war der Krieg“ sagten die Erwachsenen, für ein Kind war das ein sehr abstrakter Begriff.

Eine Ruine aber weckte bei einer Vielzahl der Wiener große Emotionen, das war jene der Wiener Staatsoper, die einen gesamten Block zwischen Albertina und Opernring einnahm. Das mächtige Gebäude war bei einem der letzten Bombenangriffe auf Wien in Brand geraten und in Teilen zerstört. Als ich zum ersten Mal davon erzählen hörte, war der Wiederaufbau bereits beschlossene Sache, und meine Neugier, die Oper betreffend, wuchs.

Mein bereits vor meiner Geburt verstorbener Großvater, Rechtsanwalt in Wien, war ein großer Freund der Oper und hatte über viele Jahre ein Abonnement. Da meine Großmutter die Liebe zur Oper nicht teilte, kam meine Mutter in den Genuss der Opernbesuche mit ihrem Vater. Durch sie übertrug sich später diese Liebe auf mich.

Die Wiener Presse heizte im Vorfeld der Wiedereröffnung die Neugier kräftig an. Als schon damals eifriger Zeitungsleser war ich fasziniert von den Berichten über die einstige Glanzzeit des Hauses am Ring. Eine Artikelserie war „Und alle Lichter werden wieder strahlen“ betitelt, und wurde von mir geradezu verschlungen.

Am Tag der Eröffnung wurde der „Fidelio“ im Radio übertragen, meine Eltern und ich saßen natürlich vor dem Apparat. Schon bald darauf besuchten wir gemeinsam eine Aufführung der „Zauberflöte“. Meine Eltern waren ein wenig enttäuscht von der Gestaltung des Zuschauerraumes und der neu gestalteten Foyers, die für die damalige Zeit recht modern wirkten. Ich war dagegen hoffnungslos infiziert vom Virus Oper, und bin es bis heute.

 

Schon während meiner Schulzeit war ich häufig am Stehplatz auf der Galerie anzutreffen, das Stehparterre war meistens schon ausverkauft, wenn ich an die Kasse kam. Als ich mit sechzehn Jahren meine Buchhändler-Lehre begann, lag die Staatsoper praktisch auf meinem Heimweg, das führte zu manchen Spontanbesuchen.

Nie vergesse ich eine Tosca-Aufführung mit Antonietta Stella und Franco Corelli. Ich hatte bereits einen langen Arbeitstag hinter mir und nichts gegessen. Als im Finale des ersten Aktes der immer noch vorhandenen Wallmann-Inszenierung reichlich Weihrauch aus den Kirchenkulissen aufstieg, wurde ich plötzlich ohnmächtig. Der Billeteur wollte mich heimschicken, aber nach kurzer Erholung auf der wunderbaren Ringstraßen-Terrasse stand ich die Aufführung bis zum Schluss durch.

Für einen „Parsifal“ unter Karajan kampierte ich in der Schlange unter den Arkaden auf einem Campingbett. Endloses Anstehen war auch für die Premieren von „Lohengrin“, „Salome“ und „Elektra“ nötig, die alle Wieland Wagner inszeniert hatte, und Wien damit die ersten „modernen“ Inszenierungen bescherte. Fast alle Stücke des Repertoires konnte man damals noch in sehr konventionellen Versionen erleben, was in der Rückschau keineswegs ein Nachteil war.

Meine häufigen Opernbesuche veranlassten meine Mutter einmal zu der Bemerkung „Wohnst Du eigentlich schon in der Oper?“ Ich erinnere mich an eine ältere Dame, die tatsächlich jeden Abend am Stehplatz zu finden war, konsequent alle Aufführungen besuchte, dafür ohne Anstehen den besten Stehplatz bekam. Andächtig hörten wir jungen Besucher ihr zu, wenn sie von den früheren Stars sprach, und Vergleiche zog.

Als ich Wien 1966 in Richtung München verließ, war es die Staatsoper, die ich am meisten vermisste. Bei allen Besuchen in Wien wurden Opernbesuche eingeplant.

Zum Jubiläum des Hauses am Ring 1969 konnte ich Leonard Bernstein mit Beethovens „Missa Solemnis“ als Matinee in Traumbesetzung, und am gleichen Abend „Fidelio“ mit den Schwestern Rysanek unter Karl Böhm hören. Das sind Erinnerungen, die bleiben, aber gleichzeitig auch Standards gesetzt haben, die mich heute manche Gesangsleistung sehr kritisch beurteilen lassen.

Zur Zeit ist die Staatsoper bei meinen Wien-Besuchen nicht mehr unbedingt die erste Anlaufstelle. Ein Kreis schloss sich für mich, als ich vor einigen Jahren begann, Aufführungen als Rezensent zu besuchen. Meine Liebe zum Haus ist ungebrochen, und auch mit unzähligen Erinnerungen am Rande von Vorstellungen verbunden, an meine Mutter, lange aus den Augen verlorene Freunde und vieles mehr.

Peter Sommeregger, 23. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

70-jähriges Jubiläum Wiener Staatsoper I Wiener Staatsoper, 22. November 2025

Ludwig van Beethoven, Fidelio Wiener Staatsoper, 25. Februar 2023

Ludwig van Beethoven, FIDELIO (Urfassung), PREMIERE, Wiener Staatsoper, 1. Februar 2020

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert